Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Bewegung

Das Wort "Haltung" impliziert immer etwas Starres, gar Erstarrtes. Das ist fürs Musizieren natürlich nicht wünschenswert! Musik hat viel mit Bewegung zu tun, nicht nur beim Tanzen.

Offensichtlich bewegen sich die Hände an der Gitarre, und da an ihnen auch Arme, Schultern, Oberkörper und irgendwie ein ganzer Mensch hängen, wirkt sich die Bewegung der Hände aus. Beim Lagenwechsel wird der linke Arm bewegt, und das verändert das Gleichgewicht des ganzen Körpers. Das kann man bei Geigern, die im Stehen spielen, sehr schön beobachten.
Wenn ich mich bemühe, total starr und unveränderlich zu sitzen, wird das die Beweglichkeit des Armes beim Lagenwechsel hemmen.

Also alle Hemmungen ablegen? Jeder kennt das: man sieht einem Menschen beim Musizieren zu und empfindet spontan Unbehagen, weil seine Spielbewegungen einstudiert oder gar affektiert wirken (Wirken! Was nicht heißt, dass sie es für den Menschen selbst sind!). Oder man schaut jemandem zu und denkt "Gute Güte, da gibt's ja keine Regung!", was auch ziemlich unnatürlich aussehen kann.

Präzision durch Bewegung statt Erstarrung

In seinem sehr empfehlenswerten Buch "Einfach Üben" diskutiert Gerhard Mantel (Cellist, und damit prädestiniert für das Thema, man denke nur an die raumgreifenden Bewegungen des Bogenarms!) die Wechselbeziehung zwischen Alltags- und Spielbewegungen sehr genau, und auch zu den Gegensätzen Bewegung - Nichtbewegung und Ablenkung durch Bewegung - Sensibilisierung durch Bewegung schreibt er Interessantes: Ein Roboter verrichte die präziseste Arbeit, wenn seine Bewegungen möglichst klein und reduziert sind. Beim (musizierenden) Menschen sei dies genau anders: Die Wahrnehmung des Gehirns wird umso genauer, je mehr Gelenke in eine Bewegung einbezogen sind.

Wenn ich versuche, einen Lagenwechsel möglichst nur mit Hand und Unterarm auszuführen, Arm, Schulter und Oberkörper also ab Ellenbogengelenk möglichst ruhig zu halten, erhält das Gehirn weniger und nicht so genaue Informationen über den Bewegungsablauf. Das "Umkreisen" eines Zielpunktes mit Beweglichkeit in mehreren Gelenken erhöht Zielsicherheit, Lockerheit und Lerneffekt.

Fixierter Daumen

Anfänger halten bei "kleinen" Lagenwechseln, etwa wenn man bei einem Stück in der ersten Lage kurz das a im fünften Bund der e-Saite braucht, gerne den Daumen ängstlich an der gleichen Stelle fixiert und versuchen, durch Streckung der Hand den fünften Bund zu erreichen. Dann weiß das Gehirn nicht so recht "Bin ich jetzt eigentlich in der ersten oder der zweiten Lage?" und es ist nicht verwunderlich, wenn sie sich kurz darauf vergreifen.

Viel Erfolg versprechender ist, die vermeintlich sichere Position aufzugeben, die Hand mit Daumen zu verschieben und am besten noch auf dem a ein Vibrato zu machen, den Zielpunkt selber also locker zu umkreisen. Man trifft besser, man macht keine halben Sachen, und im Kopf wird gespeichert "In diesem Takt bewege ich die linke Hand von der Stelle!" Wenn dann noch erspürt wird, dass sich nicht nur die Hand, sondern der ganze Arm bewegt, und diese (kleine) Bewegung sich auf das Gleichgewicht des gesamten Spielers auswirkt, ist der Weg vom Roboter zum Musiker eingeschlagen!

Lagenwechsel 1

Ich greife f und g auf der e-Saite in der ersten Lage; im nächsten Bild folgt ein

Lagenwechsel 2

kleiner "halbherziger" Lagenwechsel zum a im fünften Bund der e-Saite - die Finger sind in der zweiten, der Daumen noch in der ersten Lage.

Lagenwechsel 3

Hier wurde der Daumen "mitgenom- men", das Gehirn orientiert sich in die neue Lage und weiß hoffentlich Bescheid...

Gedachte innere Mitte

Also: Showgehabe und einstudierte Bewegungen, die Musikalität signalisieren sollen einerseits, und natürliche Spielbewegungen andererseits sind von außen nicht immer leicht zu unterscheiden. Die einen nutze, wer's mag, die anderen verbiete man sich nicht, um seine Entwicklung nicht einzuschränken. Möglicherweise ist nicht alles nötig, was E-Gitarristen so auf der Bühne veranstalten (spiegelt aber Spaß und erhebliches Können wieder!). Konzertgitarristen, deren Bewegungsradius offensichtlich kleiner ist als der von Streichern, Klavierspielern oder Schlagzeugern, dürfen sich trotzdem etwas bewegen.

Die Haltung ist ein Modell, wie der Körper als "Arbeitsbühne" die Arme mit den Händen am Instrument "bereitstellt". Man kann die Sache auch rückwärts denken: wenn man die Bewegungsabläufe eines Gitarristen beobachtet, liegt irgendwo im Zentrum von Hebel- und Kreisbewegungen, Verschiebungen und Streckungen eine gedachte Haltung als innere Mitte, die aber nicht starr ist, sondern flexibel.

Gitarrespielen im Stehen

Gitarre im Stehen

Konzertgitarre im Stehen zu spielen habe ich erst sehr spät entdeckt, obowhl ich E-Gitarre, Bass oder Westerngitarre schon immer lieber so spiele. Mit der Konzertgitarre geht es nicht wirklich genau so gut wie im Sitzen, ist aber eine toller Ausgleich. Besonders beim Unterrichten größerer Gruppen in der Schule stehe ich gern, weil mich die Kinder dann alle gut sehen, und ich mich mit Gitarre zu jemandem hin bewegen kann.

Dazu habe ich an der Gitarre einen Gurtpin in der Zarge beim Klotz, dort wo bei eingebauten Tonabnehmern eine Buchse für ein Klinkenkabel eingebaut ist, und am Halsfuß einen zweiten Gurtpin befestigt, sodass die Gitarre wie eine Western oder eine Jazzgitarre vor dem Körper hängt.

Mit der verbreiteten Aufhängung "ein Gurtpin am Unterklotz (an der Zarge unten) und dann eine Art Schnürsenkel durch den Kopf verknoten" war ich nie zufrieden, weil die Gitarre sich dann etwas weiter nach rechts einpendelt, also nicht wirklich da hängt, wo sie hinge, wenn sie aus der Sitzhaltung einfach abheben würde. Anders ausgedrückt: wenn ich mich mit meiner hängenden Gitarre hinsetze, landet sie genau so auf den Beinen, wie ich sie sonst auch positioniere.

Nachteile des Stehens

Der größte Nachteil ist der, dass es weniger Kontaktpunkte gibt als im Sitzen. Bei der klassischen Sitzhaltung sorgen die Punkte linker Oberschenkel, rechte Oberschenkelinnenseite, Brust und der rechte Unterarm für Stabilität. Man nutzt sie häufiger als man denkt, um Gegendruck zu erzeugen. Besonders schwierige Stellen funktionieren nicht so gut im Stehen, weil die Gitarre zwar am Oberkörper lehnt, aber der ist halt nicht eckig, sondern immer rund, und sobald man irgendwo von vorne drückt, weicht die Gitarre "um die Kurve" aus. Wenn man über den zwölften Bund hinaus greifen muss, kommt man mit dem Körper "nicht so gut um die Gitarre herum" wie im Sitzen, weil die Gitarre nicht durch die Beine fixiert ist.

obere Lagen
Gurtpin 1
Gurtpin 2

Aber das Spielen im Stehen hat den begeisternden Vorteil, dass man nicht die ganze Zeit sitzt! Da man (ich als Gitarrenlehrer zumindest, und sicher auch andere Berufsgruppen und vor allem Schüler) am Tag genug sitzt, ist es sehr angenehm zwischendurch mal einfachere Sachen wie Blattlesen, Durchprobieren von neuen Stücken oder ähnliches im Stehen zu machen. Was sich natürlich erst ab einer gewissen Übedauer lohnt. Andererseits bietet das Stehen einen leichteren Zugang zum Thema "Bewegung"...