Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Besonderheiten

Diese Seite ist sozusagen ein Einschub. Hier geht es um rhythmische Besonderheiten. Eine Hemiole oder eine Synkope bestehen aus ganz normalen Notenwerten, sie finden in ganz normalen Takten statt und sehen auch ziemlich normal aus. Trotzdem sind sie inhaltlich irgendwie anders, was man erkennen und dann als Musiker umsetzen sollte.

"Swing" oder "Inégalité" ist eine Verabredung, die entweder in den Noten schriftlich fixiert ist oder nicht, weil die Zeitgenossen eines Musikstiles alle zu wissen glauben, wie man etwas spielt, und deshalb die Erläuterung weglassen. Wenn man in 300 Jahren ein Realbook mit Jazzstandards findet, ohne andere Quellen wie CDs zu haben - zugegeben ein unwahrscheinliches Szenario, aber für die Musik der Barockzeit traf das schon mal zu - werden die Finder vielleicht rätseln, ob die Menschen des 20. Jahrhunderts wirklich so unglaublich langweilig musiziert haben... der eigentliche Witz an diesen Noten ist ja, dass sie gespielt ziemlich anders klingen als sie notiert sind.

Hemiole

Hemiolen sind ein rhythmisches Phänomen, das vor allem im Dreiertakt auftaucht. Sie treten in barocken Couranten und Sarabanden, seltener in Menuetten in Rudeln auf, besonders kurz vor Schlüssen. Zwei Dreiertakte werden zu einem "großen Dreier" verbunden. Aus zwei Dreivierteltakten wird ein (gedachter) Dreihalbe - Takt. Man zählt also die Eins des ersten Taktes als EINS, die Drei des ersten Taktes als ZWEI, und die Zwei des zweiten Taktes als DREI. Das lässt sich am einfachsten an einem Beispiel zeigen:

Hemiole

Die Courante in C-Dur von Johann A. Logy habe ich mit blauen Klammern für die Hemiolen, und in der ersten Zeile mit Zählzeiten unter den Noten versehen, wobei unter Takt 5/6 für mich die erste wirklich deutliche Hemiole steht. Die Gitarrenstimme hat eine Rhythmusbegleitung in Vierteln für die normalen Takte und Halben für die Hemiolen.

Die auch harmonisch deutlichste Hemiole steht wohl in Takt 9/10. Hier wird sogar der Basston H von der Drei in Takt 9 nach Takt 10 hinüber gebunden, die Harmonie (Dominantseptakkord ohne Grundton mit Terz im Bass) bleibt über die Taktgrenze erhalten.

Bisweilen sind Hemiolen Ansichtssache: Takt 1 und 2 scheinen offensichtlich eine Hemiole zu enthalten - wenn ich die Stelle spiele, würde ich lieber die Eins und die Zwei des zweiten Taktes betonen, also einen sarabandenartigen "betonten Gegenrhythmus" spielen. (Die Audiodatei verhält sich hier neutral, weil sie keine Betonungen machen kann.) Das Gleiche gilt für Takt 11 und 12. Deshalb habe ich hier eine Klammer mit Fragezeichen gesetzt.
Ich glaube, die Unsicherheit, ob nun eine Hemiole vorliegt oder nicht liegt an den harmonischen Bewegungen: Subdominante auf der ersten Zählzeit von Takt 2, dann Doppeldominante auf der Zwei, und in Takt 12 die Subdominante auf der Eins, gefolgt von der doppelten Subdominante, die quasi eine Modulation nach D-Moll einleitet, welche in Takt 15 abgeschlossen und sofort wieder Richtung Ausgangstonart verlassen wird.

Die anderen Hemiolen (Takte 5/6, 9/10, 13/14 und 15/16) sind harmonisch deutlich geschlossener und damit eindeutiger.

Synkope

Bei einer Synkope wird eine betonte Note auf eine unbetonte Zählzeit vor - verschoben. Aus der "normalen" Figur Viertel - Achtel - Achtel ("Hän - sel und Gre - tel ver...) wird der Rhythmus Achtel - Viertel - Achtel (oder Viertel - Halbe - Viertel, oder eine verkleinerte Version...). Als Beispiel die zweite Hälfte von "Zingarese" (aus: Hob IX Nr. 28/I) von J. Haydn:

Synkope

Die Synkopen finden sich im ersten und dritten Takt. Es gibt auch mehrere Synkopen hintereinander, also "Synkopenketten", wie im Beispiel unten aus dem berühmten Menuett von Boccherini.

Synkopenkette

Swing, ternärer Rhythmus oder Inégalité

Swing 1

Hier wird das Swing-feel durch Noten angezeigt: Spiele Achtelgruppen triolisch so, dass die erste Achtel den Wert von zwei Triolenachteln, und die zweite den der dritten Triolenachtel bekommt.

Swing 2

Und hier steht einfach "swing" über den Noten - diese Angabe reicht auch.

Der Stückanfang ohne swing, mit geraden Achteln...

Der Anfang im swingfeel...

Swing

Swing oder shuffle sind Bezeichnungen aus Jazz, Blues oder generell populärer Musik, die in der aktuellen Popmusik allerdings eher ein Schattendasein fristen.
Leute, die sich auch mit den Wurzeln von Heavy Metal noch etwas auskennen, wissen, dass es in bestimmten Musiksstilen üblich ist, Achtelnoten in Zweiergruppierungen ungleich zu spielen: die erste wird verlängert, die zweite entsprechend gekürzt. In welchem Verhältnis, ob 2:1, 5:3 oder was immer die Noten eines Paares zueinander stehen, hängt vom Stil und vom Geschmack des Ausführenden ab. Während ein früher Boogie aus New Orleans eher scharf zu spielen ist, sollten bei einem entspannten Cool - Jazz - Stück die Achtel nur geringfügig ungleich sein, sonst klingt es zu zickig. Die Anweisung "swing" steht manchmal bei Jazzstücken, aber durchaus nicht immer. Zum Glück gibt es ja Tonträger, und die Tradition lebt noch!

Französischer Stil im Barock

Anders erging es der französischen Barockmusik: irgendwann begannen Musiker und Musikwissenschaftler bekanntlich, auf dem Gebiet "historische Aufführungspraxis" zu forschen (der Concentus Musicus, das Stammorchester des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, wurde 1953 gegründet) und historische Quellen zu lesen. Instrumentalschulen vom Ende der Barockzeit wie Leopold Mozarts Violinschule, J.J. Quantz' Querflötenschule oder C.P.E. Bachs Schule für Tasteninstrumente oder andere Schriften zur Musikästhetik beschreiben, dass im französischen Stil Noten des kleinsten strukturbildenen Wertes grundsätzlich ungleich zu spielen sind: die erste länger, die zweite kürzer. Nur wenn es sich um Sprünge handelt, Zeichen für Détaché oder Bögen über den Noten stehen, oder ausdrücklich "croches égales", also "Achtel gleich" dabei steht ist diese Grundregel außer Kraft gesetzt.
Diese Entdeckung muss ein ziemlich Schock für die Musikwelt gewesen sein, aber inzwischen hörte man sogar während einiger Jahre die sogenannte "Eurovisionsmelodie" von Charpentier im Fernsehen korrekt inegal gespielt.

In Beatles - Ausgaben steht eher nicht, ob ein Stück swingen muss, aber wenn man die Stücke hört merkt man das ja. Falls die Musik der Beatles irgendwann ähnlich lange nicht gespielt und gehört wird wie die Werke Couperins, Lullys oder Hotteterres, könnte es unter forschenden Musikwissenschaftlern großes Erstaunen geben, wenn irgendwo in einer Konzertbesprechung der merkwürdige Grundrhythmus vieler Stücke dieser ehemals bekannten Band beschrieben und danach von beflissenen Musikstudenten nachgespielt wird...

In Heften mit Stücken für junge Gitarristen gibt es immer viele Stücke, die im swing-feel zu spielen sind. Wir Lehrer finden, Stücke mit blue notes klingen einigermassen modern, und die meisten von uns verstehen nicht, was Gitarrenschüler mit Rap & Co anfangen wollen - doch nicht etwa daran Gitarre lernen? Die Schüler hingegen finden swing, übergebundene Noten, vorgezogene Akzente und was sonst so in ordentliche Rockmusik gehört eher anstrengend, und sie haben ja auch Recht. Diese Dinge sind nichts für Leute, die Mühe haben, eine punktierte Viertel richtig auszuführen: R & B aus Noten zu spielen ist nichts für kleine Kinder.

"Ausnotierter" Swing

Besonders anstrengend ist es allerdings, Stücke zu erarbeiten, in denen der Komponist den Swing "ausgeschrieben" hat, also einen Blues etwa als 12/8 Takt notiert hat, der als 4/4 Takt mit der Anweisung "swing" sehr viel übersichtlicher gewesen wäre...
Während man im 4/4 Takt "Ei-ner-lei, zwei-er-lei, drei-er-lei vier-er-lei" zählt, also die vier Zählzeiten als Grundstruktur mit Dreier-Unterteilung hat, muss man beim 12/8 Takt "1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 - 12" sagen, und dabei wird man schon mal leicht rappelig, auch wenn man die 1, 4, 7 und 10 betont spricht.

Außerdem - siehe die Notenbeispiele unten - sieht es einfach nicht richtig aus. Blues, Jazz, Boogie sind halt Musikstile im geraden Takt, die mit swing gespielt werden, und kein barockes Siciliano.

Swing 3

Oben sieht man das Notenbeispiel vom Anfang des Kapitels im Zwölfachteltakt - das sieht fast so kompliziert aus, wie dieses Wort.
Die Noten mit doppeltem Hals sind als Unterstimme als Viertel punktiert, als Ton der Oberstimme aber als Viertel (als Teil einer Gruppe von drei Achteln) zu lesen.

Im Notenbeispiel unten müssen die beiden Gruppen von drei Achteln im letzten Takt als Triolen geschrieben werden - das kann man im 12/8 Takt ohne die Triolenklammer schreiben.

Swing 4