Die Greifhand
Der Arm der Greifhand
Weil die Gitarre durch Fußbank oder die Gitarrenstütze höher liegt und in der Ebene der Gitarrendecke senkrecht gehalten wird, kann die Greifhand locker den gesamten Hals bis in die höchsten Bereiche des Griffbretts bearbeiten; der Oberkörper ist nicht im Weg.
Der Arm hängt zunächst locker neben dem Körper, dann winkelt man ihn im Ellenbogen an, und schon kann man vernünftig greifen.
Haltung der Greifhand
Da die Saiten der Gitarre eng beieinander liegen - wäre es anders, könnte man auf den äußeren Saiten kaum gleichzeitig greifen - muss man die Fingerkuppen schön senkrecht auf die Saiten setzen. Die Hand kommt von hinter dem Gitarrenhals, da dieser ja vor der Schulter ist. Der Arm kommmt von unten, das Handgelenk wird möglichst wenig geknickt, sondern gerade gehalten, die Handinnenfläche berührt nicht den Hals, damit die hohe e-Saite nicht abgedämpft wird, und die Finger werden umgebogen wie kleine Handstöckchen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Daumen!
Man kann die Spitze des Daumens oberhalb des Mittelfingers erahnen.
Der Daumen
Der Daumen befindet sich auf der Rückseite des Halses, etwa
gegenüber von Mittel- und Zeigefinger.
So haben die Finger einen weiten Aktionsradius und können die Saiten möglichst
senkrecht herunterdrücken.
Der Daumen dient als
"Gegendrucksensor"
und nicht als Haken, um die linke Hand samt Arm an den Hals zu hängen. Den Arm oben halten -
dazu hat man seinen Willen und die Armmuskeln!
Pinzettengriff
Wird der Daumen zwar auf der Halsrückseite, aber hinter dem Zeigefinger Richtung Gitarrenkopf platziert, ist die Orientierung der Finger auf dem Griffbrett schlechter: wenn man zum Beispiel einen Bleistift aufhebt, berührt man ihn wahrscheinlich mit Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger. Was sich zwischen diesen drei Fingerkuppen befindet, fühlt man.
Der Daumens Richtung Gitarrenkopf: kein Pinzettengriff, wenig Unterstützung für die kleineren Finger.
Außerdem werden Ringfinger und der kleine Finger, die beiden kleineren und schwächeren, "benachteiligt", wenn der Daumen hinter dem Zeigefinger liegt. Ihnen fehlen dann sowohl Orientierung als auch Kraft und Gegendruck.
Die Finger orientieren sich also auf dem Griffbrett an der Position des
Daumens gegenüber auf der Halsrückseite, ein Verhalten, dass man als Baby lernt, wenn man mit dem
"Pinzettengriff" gezielt einen Gegenstand anfasst, indem Daumen und Zeigefinger
opponierend greifen.
Der
Pinzettengriff
gehört zu den wichtigen Meilensteinen bei der Entwicklung eines Kleinkindes auf dem Weg zu immer
besserer Koordination der Feinmotorik!
Die Fingernägel an der Greifhand sind selbstverständlich kurz, damit man senkrecht greifen kann!
links:
Die Finger bilden einen "Tunnel", die Nachbarsaite wird nicht
berührt.
rechts:
Hier greifen die Finger schön senkrecht; der Daumen ist auf der Rückseite des
Halses.
Greifen - ein Beispiel
Die Greifhand ist für mich die weniger wichtige Hand, weil sie die vielen Töne zwar auswählt, die Anschlagshand aber für Timing und Ton(qualität) verantwortlich ist. Dass ich die Hände für unterschiedlich wichtig halte, hat natürlich Konsequenzen für Linkshänder. Trotzdem: was die Greifhand des Gitarristen und das Gehirn zu leisten haben ist enorm komplex.
Als kleines Beispiel eine Sequenz von 2 ½ Takten aus einem nicht mehr ganz einfachen Stück, einer Aria von Sperontes in Noten und Fotos. Das gleiche Notenbeispiel steht zweimal zwischen den Bildern, damit man immer beides im Blick hat.
Standard-Fingersätze
Das Schöne an dem Beispiel ist: auf praktisch jede Fingersatzkombination folgt eine bestimmte
andere, und man kann es so einrichten, dass fast immer ein Finger, der gerade "frei hatte", den
folgenden Ton übernehmen kann.
Es ergeben sich viele Standard-Fingersätze, die immer wieder in Stücken vorkommen. Man
kann zum Beispiel die Grundregel "Wenn du im Bass und im Diskant einen Ton im dritten Bund
greifen musst, nimmst du am besten auf der Basssaite den dritten, und in der Oberstimme den
vierten Finger" ableiten.
Das Stück ist nicht wirklich schwierig, weil nie mehr als zwei Töne gegriffen werden müssen und
keine Lagenwechsel vorkommen. Das Halten der Noten ist aber absolut wichtig, denn nur so kann
man gebunden spielen.
Nachdem der Lernende lange einstimmig gespielt hat, und dann meist
mit leeren Bässen oder gelegentlichen gegriffenen Noten im Bass zu tun hatte, zeigt sich bei
solchen Stücken, wer wirklich beißen kann!
1: (Notengrafik unten) Bei Ziffer 1 im blauen Kreis greift der 3. Finger das f auf der d-Saite und die Finger 1,2 und 4 sind frei...
2: ... schon greifen Finger 1 und 2 die Töne e und c; der 3. Finger orientiert sich zum dritten Bund der A-Saite.
3: Hier greift der 3. Finger das C auf der A-Saite, und bleibt dort bis zum Ende des Taktes. Die Pause in der Unterstimme entsteht, indem die Anschlagshand dämpft, oder der 3. Finger ganz kurz angehoben wird, ohne die Saite völlig zu verlassen.
4: Ende des zweiten Taktes hält der dritte Finger noch das C; der kleine Finger übernimmt das b auf der g-Saite.
5a: Der 4. Finger (Ziffer vor dem f in der unteren Stimme) muss schnell von der g-Saite auf die d-Saite wechseln; dadurch ist der 3. Finger frei für das folgende C. Der freie 2. Finger wird auf das a gesetzt.
5b: Hier die andere Möglichkeit: der 3. Finger wechselt schnell vom C (bei 4) zum f (Fingersatz hinter der Note); danach muss er schnell zurück zum C. Der Mittelfinger hält das a auf der g-Saite.
6: Der dritte Finger greift also das C, während der 2. kurz angehoben wird...
7: ...um bei Ziffer 7 im Notentext wieder auf derselben Stelle, beim a auf der dritten Saite zu landen.
8: Die beiden freien Finger 1 und 4 greifen das tiefe F respektive das f auf der d-Saite. Der zweite Finger wird wieder ein wenig angehoben, um das a zu dämpfen.
9: Der zweite Finger geht zurück an den alten Platz, der vierte wird gehalten, der erste aber losgelassen, damit sich die Bassstimme vom großen zum kleinen f bewegt.
10: Während der zweite Finger noch auf dem a steht, greift der Zeigefinger das e auf der d-Saite. Damit es erklingen kann, muss der 4. Finger natürlich angehoben werden.
11: Im neuen Takt greifen 4 und 1 kurz nach einander (der Zeigefinger muss ja von der d-Saite zur hohen e-Saite springen) die Töne d und f. Der 2. Finger wird sofort nachgesetzt werden, um den D - Moll - Akkord zu komplettieren.
Immer wieder liest oder hört man, dass es sich positiv auf Intelligenz, Konzentrationsfähigkeit etc. auswirkt, ein Musikinstrument zu erlernen. Ich hoffe, die Beschreibung oben verdeutlicht, dass alles Andere eine Überraschung wäre! Und das war ja "nur" die Tätigkeit der Greifhand in nicht mal drei Takten...