Die Anschlagshand
Die Anschlagshand ist für mich ganz klar die wichtigere Hand. Niemand erwartet von einem Sportler, dass er Bälle mit einem Schläger trifft, beschleunigt, zielt, den er in der schwächeren Hand hält. Auch Kugelstoßer oder Speerwerfer, die nicht aufgrund raffinierter Topspins oder Stoppbälle ihr Spiel gewinnen, stoßen oder werfen mit dem stärkeren Arm.
Befehlsabfolge
Wer wirklich bewusst anschlägt, also mit der Anschlagshand Impulse gibt und steuert, der wird das mit seiner "ersten" Hand machen. Die andere Hand hat zwar viel und wichtige Arbeit, aber sie wählt die Töne nur aus, während die erste gestaltet und das Timing bestimmt. Die Befehlsabfolge mit Reaktion der Nerven sieht für mich so aus: im Gehirn wird der Befehl gegeben, die Anschlagshand erzeugt den Ton und die Greifhand geht koordiniert mit. Wenn ein Linkshänder ein Instrument lernt, sollte die Händigkeit berücksichtigt werden. Bei der Gitarre gibt es hier relativ viel Toleranz, da haben wir den Streichern etwas voraus...
Stärkere Hand als Greifhand?
Das immer wieder gebrachte Argument, Linkshänder sollten ruhig wie Rechtshänder, also auf einer "normalen" Gitarre spielen, weil bei ihnen dann die kräftigere und geschicktere linke Hand die schwierige und komplexe Greifarbeit übernimmt ist lustig: wenn man es ernst nimmt, müssten wir Rechtshänder eigentlich alle auf Linkshänder-Gitarren (und -Geigen, -Celli etc.) spielen, damit sich dieser große Vorteil auch für uns auswirkt!
Die ersten fünf Minuten
Aber oft wird in den ersten fünf Minuten des Gitarrenunterrichts - die Gruppe kommt zur ersten
Stunde, die Instrumente werden verteilt - dadurch, dass der Linkshänder genauso eine Gitarre wie
die anderen bekommt eine Entscheidung angebahnt, die sich auf sein ganzes Leben als Gitarrist
auswirken wird. Das passt für mich - Entschuldigung - in die fünfziger Jahre des letzten
Jahrhunderts. "Gibt dem Onkel mal die liebe Hand!" wurde man damals zurechtgewiesen, und
gezwungen, mit rechts zu schreiben.
Natürlich braucht der Lehrer für diesen Moment
Vorbereitung, die Motivation, Gitarren umzubesaiten, und das Einfühlungsvermögen einem Kind zu
helfen, dass vielleicht gerade nicht so auffallen möchte.
Die Haltung der Anschlagshand
Der rechte Unterarm liegt auf dem Zargenrand, und die Anschlagshand hängt etwa beim Schalloch locker über den Saiten.
Beweglichkeit des rechten Armes
Im Sommer immer in der Nähe der Gitarren: ein Ärmel!
Die Stelle, an der der rechte Unterarm liegt, ist nicht festgelegt oder unveränderlich. Im Gegenteil: Gitarristen rutschen mit dem Arm hin und her, um unterschiedliche Klangfarben zu erzeugen. Deshalb habe ich, wenn ich ein T-Shirt anhabe, immer gerne einen selbst genähten "Ärmel" am rechten Unterarm. Das verhindert auch, dass die Sehnen im Unterarm durch die Zargenkante gereizt werden, und man kann solche Unterarmschoner auch kaufen.
Handrücken gewölbt
Der rechte Handrücken sollte leicht gewölbt sein und so viel Abstand zur Decke haben, dass sowohl die Finger als auch der Daumen parallel zur Decke anschlagen können. Die Hand mit ihrer Haltung bestimmt also die "Arbeitsebene" der Finger und des Daumens: etwa parallel zur Ebene der Saiten. Wenn man die Saiten aus dieser Ebene "herausrupft", schlagen sie auf den Bundstäben auf, und es gibt mehr Geräusche als Töne.
Der Daumen schlägt vor den Fingern an, nicht in die Hand hinein. So stößt er nicht mit den Fingern zusammen, Daumen und Finger können an einander vorbei ausschwingen.
Der Handrücken befindet sich leicht gewölbt über der Decke. Dadurch kann der anschlagende Zeigefinger locker wie eine Schaukel schwingen.
So sieht der Spieler seine rechte Hand von oben. Die Finger werden im freien Anschlag die Nachbarsaiten nicht berühren. Für den angelegten Anschlag ist eine minimale Anpassung nötig.
Gelenke
Die Bewegungen der Finger erfolgen vom Fingergrundgelenk her. Das ist von der
Fingerspitze aus gezählt das dritte Gelenk, da wo die Handfläche beginnt, von oben gesehen
umgangssprachlich die Knöchel. Der Daumen bewegt sich vor allem im
Sattelgelenk, das Grundgelenk wird quasi automatisch ein wenig gebeugt. Das
Endgelenk bleibt in Streckstellung.
Die Finger geben im ersten Gelenk etwas nach, wenn sie
die Saite berühren.
Wenn das funktionieren soll, darf man in den Mittelgelenken nicht "krallen", und um das zu vermeiden, muss die Anschlagshand eben einen gewissen Abstand von der Decke haben.
Hält man die Hand zu flach, macht man in etwa dasselbe, wie wenn man an einer zwei Meter hohen Schaukel ein drei Meter langes Seil befestigt. Entweder das Kind schaukelt ständig in den Sand, oder ein Riese hebt die Schaukel jedes Mal an. Das macht der Gitarrist mit flacher Haltung, indem er bei jedem Anschlag mit der Hand von den Saiten weghüpft.
Angelegter Anschlag oder apoyando
Der angelegte Anschlag ist für mich zunächst einmal die "sicherere" Technik für das Melodiespiel. Wenn man frei anschlägt besteht immer die Gefahr, Nachbarsaiten auch zu treffen, also ungewollte Töne zu erzeugen. Deshalb spielen Anfänger, die nur frei anschlagen, erst mal vorsichtig und leise, oder sie krallen die Finger sehr stark und reißen an den Saiten, oder ihre Hand wird bei jeden Anschlag von den Saiten weg gezogen, damit keine falsche Saite berührt wird. Das führt natürlich zu unruhigen und unsicheren Bewegungen, und schnell kann man so auch nicht spielen.
Beim Anlegen bleibt die Hand tendenziell ruhiger, weil ja immer ein Finger Kontakt mit der Saite hat. Außerdem wird beim Anlegen ein vorhergehender Ton auf einer tieferen Saite immer automatisch abgedämpft.
Zeige- und Mittelfinger beim angelegten Wechselschlag.
Der Daumen steht auf der tiefen E-Saite als Stütze, was durchaus dem realen Spielgefühl entspricht: Wenn man zweistimmig spielt, berühren ja ein Finger und der Daumen gleichzeitig zwei Saiten.
Links holt der Zeigefinger gerade aus, während der Mittelfinger an der h-Saite ruht; rechts ist es umgekehrt.
Man kann den Apoyando - Anschlag tatsächlich auf zwei Arten falsch machen: wenn
beide Finger an der Saite kleben, oder wenn beide in der Luft in der "Ausholposition" sind,
macht man es nicht richtig.
Der eine Finger verlässt in dem Moment die Saite, wenn der
andere Finger ankommt. Die Finger wechseln sich ab wie die Beine beim Gehen.
Gehen kann man ebenfalls falsch: wenn beide Füße gleichzeitig in der Luft sind, geht man
nicht, sondern man läuft, und wenn man versucht, beide Füße am Boden zu lassen kommt man nicht
weit.
Freier Anschlag oder tirando
Für den freien Anschlag braucht man eine gute Handhaltung, und hier muss man das Wort "Haltung" wirklich ernst nehmen wie für eine Person: der Unterarm liegt ja auf der Zarge, und die Hand schwebt über den Saiten, etwa so, dass eine Apfelsine in die Hand hineinpasst. Dabei weiß die Hand, (!) wie und wo sie sich befindet. Sie ist kein totes Stück Holz, also starr, aber sie hat doch eine feste Position, von der aus Finger und der Daumen ihre "Arbeitsebenen" finden können. Das bedeutet, dass sich die Finger ab dem ersten Fingergrundgelenk, der Daumen ab dem Sattelgelenk bewegen und ihre Saite anschlagen können, ohne dass die Hand als Ganzes beim Anschlag von den Saiten weggezogen werden muss, damit auch wirklich nur eine Saite angeschlagen wird.
Auf Grund einer solchen "guten Handhaltung" kann man sicher und schnell mit den Fingern anschlagen, ohne ständig nachbessern oder überhaupt darüber nachdenken zu müssen, wie die Hand gerade so im Raum ist: "sie weiß", wo sie sein muss.
Der Zeigefinger vor dem freien Anschlag,
im Moment der Saitenberührung, wobei das erste und zweite Gelenk auf Grund des Widerstandes nachgeben,
...und hier befindet er sich nach dem Anschlag in der Ausschwingphase.
Feinarbeit: der Anschlag auf der Gitarre
Wenn man von der Handhaltung weiter ins Detail blickt, quasi auf die Fingerspitzen, wird erst klar, was für ein sensibles Thema der Anschlag einer Gitarrensaite ist.
Eine Saite ist ein elastisches Ding, das heißt, je mehr der Anschlag seinem Ende entgegengeht, umso stärker wird der Widerstand, den die Saite dem Finger entgegensetzt! Natürlich braucht man auch Fingerspitzengefühl für Klaviertasten, hier muss man gegen das Gewicht der Hammermechanik arbeiten, aber die Eigenschaft einer Saite, weich zu sein, aber eben doch auch Widerstand zu bieten, ist doch etwas sehr Spezielles.
Das kann man sehr deutlich beobachten, wenn der gleichzeitige zweistimmige Anschlag eingeführt wird: solange man einstimmig auf den hohen Saiten spielt, kann man den Daumen auf einer Basssaite aufstützen und hat damit einen festen Halt. Beim zweistimmigen Spiel muss ein Finger eine elastische Saite in die eine, der Daumen aber in die Gegenrichtung anschlagen. Zwei gubbelige Widerstände auf einmal - das führt zu großer Verunsicherung!
Angelegter Wechselschlag
Betrachtet man die folgenden acht Bilder zum angelegten Wechselschlag mit Zeige- und
Mittelfinger, sieht man diesen Bewegungsablauf: der eine Finger nimmt mit der Fingerkuppe
Kontakt zur Saite auf, dann wird aufgrund der Bewegungsenergie mehr Druck aufgebaut, sodass der
Finger über die Kuppe bis zum Nagel rutscht, dabei die Saite spannt, wobei das letzte
Fingerglied je nach Elastizität und Lockerheit nachgibt. Dann rutscht der
Fingernagel von der Saite, und der Finger landet angelegt an der Nachbarsaite.
Darauf
beginnt derselbe Ablauf mit dem anderen Finger von vorn, und wenn der zweite Finger anschlägt,
löst sich der erste von der Nachbarsaite um seinerseits wieder auszuholen.
Der Zeigefinger berührt die e-Saite mit der Fingerkuppe.
Der Zeigefinger baut Druck auf und rutscht Richtung Nagel.
Der Fingernagel kurz vorm Anschlag.
Der Zeigefinger landet an der h-Saite.
Der Mittelfinger berührt die Saite, der Zeigefinger beginnt sich zu lösen.
Der Mittelfinger rutscht über die Kuppe Richtung Nagel, der Zeigefinger wird zurück geführt.
Der Nagel des Mittelfingers an der Saite.
Nach dem Anschlag: der Mittelfinger liegt an der h-Saite, der Zeigefinger ist bereit für den nächsten Anschlag.
Freier Zerlegungsanschlag
Beim freien Anschlag ist der Bewegungsablauf ganz ähnlich, nur dass die Richtung der Bewegung, die Ebene, in der sich die Finger bewegen, etwas anders geneigt ist.
Der Zeigefinger liegt noch locker an der g-Saite,
hier ist er kurz vorm Anschlag, die Saite hängt am Nagel, das letzte Fingerglied gibt nach,
und fertig ist der Anschlag: der Zeigefinger hat sich über die d-Saite hinweg in die Hand hinein bewegt.
Der Mittelfinger biegt sich, kurz vorm Verlassen der h-Saite,
hier ist er nach dem Anschlag über den Saiten, während der Ringfinger schon unter Spannung steht.
Der Ringfinger hat die e-Saite angeschlagen und hängt locker neben den anderen Fingern.
Die Bewegungsebene beim Anschlag
Da die Saiten der Gitarre nur knapp über den Bundstäben schweben, ist es wichtig, dass der
Anschlag
möglichst parallel zur Ebene der Saiten
und der Decke erfolgt. Wenn man sich die Saite mit einem Finger "krallt", hochzieht und dann
loslässt, schlägt sie auf den Bundstäben auf und es knallt ordentlich - es sei denn, man geht
überaus vorsichtig zu Werke.
Wenn man mit Absicht so spielt, heißt die Spieltechnik "Bartók-Pizzicato".
Das hat für mich große Bedeutung beim Anfängerunterricht! Kann man sagen, dass der angelegte oder der freie Anschlag anfangs leichter zu lernen sei?
Zunächst mal muss ich zugeben: Als Schüler eines Scheit-Schülers bin ich parteiisch: für mich ist der angelegte Anschlag die Technik, mit der man beginnen sollte. Eine Begründung ist für mich aus dem Bewegungsablauf herzuleiten:
Angelegt
Nehmen wir an, ich möchte die h-Saite anschlagen:
Beim angelegten Anschlag muss der Finger
seine Bewegungsbahn
etwas über der Saitenebene beginnen,
damit er nicht versehentlich die e-Saite berührt, dann schlägt er die h-Saite an und landet
an der g-Saite.
Das ist eine relativ sichere Sache: man kann ordentlich ausholen, mit Schwung durch die
Saite, die ungefähr in der Saitenebene schwingen wird, und dann wird der Finger an der
Nachbarsaite abgefangen.
Apoyando: die Bewegungsebene beginnt oberhalb der e-Saite, geht durch die h-Saite und wird von der g-Saite gestoppt.
Tirando: der Finger startet etwas unterhalb der Saitenebene zwischen e-Saite und h-Saite, hat also einen kurzen Ausholweg, geht durch die h-Saite und muss oberhalb der g-Saite ausschwingen.
Freier Anschlag
Beim freien Anschlag hingegen muss der Finger von etwas unterhalb der Saitenebene kommen, wenn der Anschlag "vorbereitet" ausgeführt wird, der Finger also vorher die Saite berührt. Er kann nicht weiter als bis zur benachbarten e-Saite ausholen, muss dann die h-Saite treffen und sollte danach die benachbarte g-Saite nicht berühren.
Beim "unvorbereiteten" freien Anschlag bewegen sich die Finger wie Schaukeln, machen also eine Art Halbkreis und treffen die Saiten am jeweils tiefsten Punkt der Bewegung.
Da das Treffen der beiden Nachbarsaiten vermieden werden muss, die Ebene der Anschlagsbewegung
also in einem engeren Korridor verläuft, und es keinen Halt gibt außer dem der Haltung,
sieht die Bewegung beim Anfänger häufig vorsichtiger aus und der Ton ist entsprechend dünn.
Oder die Saite wird wirklich ordentlich gekrallt und vom Griffbrett weg gerissen, was
häufig einen nicht so schönen Ton mit hohem Geräuschanteil erzeugt.
Eine andere nicht so
gute Taktik ist, bei jedem Anschlag die ganze Hand etwas von der Decke weg zu bewegen, um so den
anschlagenden Finger sicher über die Nachbarsaite zu heben.
Beim Unterricht mit Grundschulkindern, die die erste oder zweite Klasse besuchen, merkt man deutlich, wer über feinmotorische Übung verfügt, also im Vorschulalter viel gebastelt, gepuzzelt und gemalt hat: so wie die Kinder einen Stift sehr verschieden und auch unterschiedlich locker halten, gehen sie auch mit dem Problem um, etwas elastisches, nicht wirklich festes, aber doch widerborstiges wie eine Saite anzuschlagen.
Für mich ist der Beginn mit dem angelegten Melodiespiel der Weg, erst einmal eine gewisse Sicherheit und Routine aufzubauen, die einen kräftigen und schönen Ton erzeugt, statt vorsichtig die einzelne Saite "herauszupicken", immer darauf bedacht, keine unerwünschten falschen Töne und keine Geräusche von auf die Bünde klatschenden Saiten zu hören.
Die Wichtigkeit der Anschlagsarten Apoyando und Tirando
Ist also der angelegte Anschlag der wichtigere? Auch wenn der improvisierende Gitarrist, der Flamencogitarrist oder der Ensemblespieler ihre Läufe und Solostimmen wegen des von Hause aus kräftigeren Tones und der größeren Sicherheit meist angelegt spielen, ist die wichtigere Anschlagsart, das, was der brave Gitarrenspieler am meisten tut, wenn der Tag lang ist, sicherlich der freie Anschlag!
Saiteninstrumente sind eine merkwürdige Instrumentengruppe. Während ein Klavier für jeden Ton eine Saite hat, man also durchaus c, cis, d, dis und e gleichzeitig spielen kann, ist das auf Saiteninstrumenten nicht möglich.
Auf der Gitarre kann man bis zu sechs Töne gleichzeitig spielen, aber diese liegen immer relativ weit auseinander. Auf einer Saite kann man definitiv nicht zwei Töne gleichzeitig spielen. Und wenn man mehrere benachbarte Töne, z.B. c, d, e gleichzeitig spielen will, muss man sie auf drei verschiedene Saiten legen und oft darauf hoffen, dass einer von ihnen mit einer leeren Saite gespielt werden kann. Das c greift man im 5. Bund der g-Saite, das d im dritten der h-Saite, und die leere e-Saite übernimmt das e. So etwas klappt aber nicht bei allen Tönen.
Melodiespiel
Beim Melodiespiel werden Ausschnitte aus Tonleitern verwendet, Halb- Ganz- oder auch mal Anderthalbtonschritte, aber auch Akkordtöne, also größere Intervalle. Die kleinen Intervallschritte klingen in der Regel dissonant, also versucht man sie sauber zu trennen.
Akkorde bestehen tendenziell aus größeren Intervallen, die gerne gut zu einander passen, also gleichzeitig gehört werden möchten. Hier gibt man sich Mühe, nicht abzudämpfen, sondern die Saiten klingen zu lassen.
Für eine tonleiterartige Melodiefolge ist der angelegte Wechselschlag eine gute Wahl: was auf einer Saite liegt, wird durch den jeweils folgenden Ton beendet, und bei Saitenwechsel nach oben dämpft der anlegende Finger die noch schwingende tiefere Saite ab. Nur bei der Note d im zweiten Takt des Beispiels oben muss man aufpassen, aber wenn man den 3. Finger ein bisschen "unsauber" aufsetzt, wird dadurch das vorhergehende leere e abgedämpft.
Spielt man einen Lauf mit Lagenwechseln gar auf einer Saite, beendet jeder neue Ton garantiert den vorhergehenden.
Akkorde
Bei akkordartigen Tonfolgen, auch wenn sie Teil einer Melodie sind, möchte man meist gerne viel Klang haben. Die Pianisten haben dafür das rechte Pedal: tritt man das rechte Pedal, werden alle Dämpfer von den Saiten gehoben, sodass alle angeschlagenen Töne weiterklingen, und nicht angeschlagene Saiten per Resonanz mitschwingen können. Das macht den Ton voller, kann allerdings bei zu ausgiebigem Gebrauch die Musik stark verunklaren. Man möchte ja nicht Dissonanzen gleichzeitig hören oder die Dominate in die Tonika hineinbinden, also muss man mitdenken und das Pedal immer wieder loslassen, um Struktur zu schaffen.
Der Beginn von Beethovens "für Elise" mit Pedalbezeichnungen: bei "Ped." wird das Pedal getreten, beim Stern ist es loszulassen.
Bei der Gitarre kommt hier der freie Anschlag zum Einsatz: nur wenn man tirando spielt, können die Nachbarsaiten unbehelligt weiterschwingen und Akkorde als gleichzeitiger und nicht nur als nachzeitiger Klang hörbar werden.
In diesem Walzer von F. Carulli aus Opus 121 ist freier Anschlag mit klarer Zuordnung der Finger angesagt: Die Basstöne spielt der Daumen p , die g-, h- und e-Saite bedienen die Finger i, m, a, der Zeige-, Mittel- und Ringfinger.
Unten der Anfang von Carcassis Etüde op. 60,2: wenn man immer mit dem Daumenschlag (beim roten Stern) zugleich die Finger i,m und a auf ihre jeweilige Saite stellt, hat man einen ähnlichen Effekt wie bei der Aufhebung des rechten Klavierpedals. Außerdem ist die nächste Serie freier Anschläge vorbereitet.
Der Anfang des folgenden Rondos aus op. 241 von Carulli sieht nach Melodiespiel aus, und tatsächlich könnte man die ersten vier Noten angelegt spielen. Dann aber muss im freien Anschlag gespielt werden, auch in Takt 2, denn wenn man bei der dritten Note, dem a auf der g-Saite anlegte, würde man die halbe Note d im Bass abdämpfen.
Differenzierung zwischen Melodie- und Akkordspiel
Das ist eine wichtige Sache beim mehrstimmigen Spiel: auch wenn eine Stelle nach Melodiespiel aussieht, muss man darauf achten, gleichzeitig zu spielende oder noch klingende andere Stimmen nicht durch anlegen versehentlich abzudämpfen. Auf dieses Mitdenken wird auch in allen alten Lautenschulen hingewiesen, da die Tabulatur, die für die Notation genutzt wurde, die Notenlänge der individuellen Stimmen nicht angeben kann. Man muss die Akkorde und die Stimmverläufe musikalisch mitvollziehen, ansonsten ist eine Tabulatur eine Schrift für Leute, die Musik nicht wirklich begreifen.
Lockerheit
Diese zwei Takte aus einer Gigue von J.A. Logy könnte man bis auf die beiden letzten Achtelgruppen angelegt spielen, aber wenn man es probiert, geht es im freien Anschlag viel lockerer.
Das nächste Beispiel aus demselben Stück ist wieder ein "Muss-Beispiel": die drei Noten jeder Achtelgruppe werden auf drei Saiten gespielt. Legte man i bei der zweiten Note an, würde die vorher angeschlagene g-Saite abgedämpft, bei Anlegen des g mit dem Mittelfinger die h-Saite: der "Pedal-Effekt" wäre perdu!
Geschwindigkeit
Wenn man die vorigen Beispiele vergleichend im angelegten und im freien Anschlag spielt, merkt man auch: richtig auf Tempo kommt man im angelegten Modus nicht, sobald es um zerlegte Akkorde geht. Die gitarrentypische Technik, einen Akkord zu greifen und diesen mit einem bestimmten Anschlagsmuster arpeggiert zu spielen, funktioniert im Tempo nur im freien Anschlag, ganz abgesehen davon, ob man es wünschenswert fände, die Töne nicht ineinander klingen zu lassen.
Daumenanschlag
Wenn der Handrücken der Anschlagshand etwas gewölbt über der Decke schwebt, so dass eine Apfelsine oder ein Tennisball hineinpassen würde, trifft der Daumen eher mit der Spitze oder dem Nagel auf die Saiten und der produzierte Ton wird klarer. Berührt der Daumen flach mit der breiten Seite die Saiten, bekommt man besonders mit alten Saiten nur sehr dumpfe, wenig zeichnende Basslinien. Der Gesamtklang der Gitarre verliert viel von seiner Wärme und seinem Obertonreichtum.
Der Daumen macht beim Anschlag im Prinzip eine Art Kreisbewegung, es sei denn, man möchte eine benachbarte Saite abdämpfen: durch Anlegen dämpft man die nächsthöhere, durch eine Ausholbewegung mit Berühren die nächsttiefere Nachbarsaite.
Beim Anschlag der A-Saite...
Nach dem Anschlag schwingt der Daumen über die d-Saite.
Hier wird nach dem Anschlag der A-Saite an die d-Saite angelegt, die damit abgedämpft wird.
Um das A abzudämpfen bevor ich ein d spiele, mache ich hier eine kleine Ausholbewegung und berühre die A-Saite mit dem Hautpolster neben dem Nagel.
Daumen oder Finger?
Für Gitarrenschüler manchmal geradezu mystische Fragen:
- Wann schlägt man mit dem Daumen an, wann mit den Fingern im Wechselschlag?
- Muss man ab der d-Saite nicht mit dem Daumen anschlagen?
- Kann auf der g-Saite ein Basston liegen?
- Wie schlage ich eine Tonleiter an, wenn sie die magische Grenze zwischen Bass- und Diskantsaiten überschreitet?
Es gibt keine Gesetze
Es gibt kein Gesetz, dass vorschreibt, dass man auf bestimmten Saiten nur mit dem Daumen oder den Fingern anschlagen darf. Wenn eine Phrase sehr tief liegt, und es bequem ist, spielt man mit dem Daumen, wenn man eine hohe Melodielinie hat, besonders wenn schnelle Noten dabei sind, bietet sich der Wechselschlag an.
Fast immer kann man aber zuordnen: "Das gehört doch zur Melodie..." oder "Das ist doch jetzt Teil der Begleitung!" Besonders in zweistimmigen Sätzen sollte man sich hierüber Gedanken machen. Für den Bass ist eher der Daumen zuständig, das ist eine klare Zuordnung!
Bass heißt tief
Das Wort für "Bass" bedeutet (auf Latein, Französisch und Italienisch) ursprünglich niedrig, tief, oder tiefer. Das heißt: wenn ich zwei Stimmen spiele, ist die tiefere der Bass, auch wenn er relativ hoch ist! Eine Melodie auf der e-Saite kann schon mal Basstöne auf der h-Saite unter sich haben, das ist normal, und die spiele ich dann mit dem Daumen!
Für mich gibt es eine klare Grundregel im mehrstimmigen Spiel: Die Note, deren Hals nach unten geht, spiele ich mit dem Daumen. Wenn mal ein Basston auf der g- oder h-Saite auftaucht, und man diesen mit einem Finger anschlägt, geht die klare Identifikation der Stimme mit dem Daumen verloren. Diese Zuordnung ist für mich so etwas ähnliches wie die auf dem Klavier: die Begleitung gehört in die linke Hand, die Melodietöne in die rechte. Natürlich gibt es für alles Ausnahmen!
Also ist die Antwort auf die dritte Frage nach Basstönen auf der g-Saite ein ganz klares "Ja!"
Eine Melodie kann auch schon mal bis auf die d- oder A-Saite hinunter gehen - dann spielt man eben mit den Fingern.
Tonleitern
Generell würde ich Tonleitern oder Melodien mit Wechselschlag üben, denn meistens möchte man dabei doch schnell und fließend spielen. Es ist auch sehr interessant, Tonleitern nicht nur mit m i oder i m zu spielen, sondern mit drei Fingern, also i, m, a anzuschlagen. Dabei kommt es dazu, dass man die Saitenwechsel immer wieder mit anderen Fingern machen muss, was die Flexibilität im Kopf trainiert.
Es gibt natürlich auch den Wechselschlag mit p i, der aus der Anschlagstechnik der Renaissancelaute kommt, und der sogar auf der hohen e-Saite ausführbar ist! Dieser Wechselschlag wird aber eher selten genutzt.
Stützfinger
Wichtig finde ich dies: wenn du einstimmig spielst, stütze beim Spielen mit Wechselschlag den Daumen auf eine tiefe Basssaite (meist die E-Saite). Beim Daumenanschlag stütze die Finger auf der hohen E-Saite auf.
Dadurch gewöhnst du dir eine gute Handhaltung an, sodass du nicht alles neu lernen musst, wenn du mit dem zweistimmigen Spiel beginnst. Stelle dir immer vor, dass eine Apfelsine unter deiner Hand Platz hat, dann hat dein Handrücken den Abstand zur Gitarrendecke, den er für ordentlichen zweistimmigen oder freien Anschlag braucht.
Und wenn du im Wechselschlag bis auf die tieferen Saiten gehst? Dann musst du dir vorstellen, dass dein Daumen, der inzwischen in der Luft hängt, immer noch auf einer Saite aufgestützt ist.
Nicht gut ist es, beim Daumenanschlag die Finger auf die Decke packen, oder beim Wechselschlag den Daumen unter die Bässe zu klemmen. Das sind schlechte Angewohnheiten, die dich viel Zeit beim Umlernen kosten werden.
Fingernägel
Zum Kapitel "Haltung" gehören irgendwie auch die Fingernägel des Gitarristen. Sie sind an den beiden Händen unterschiedlich lang.
Greifhand
Die Nägel der Greifhand müssen sehr kurz gehalten werden, damit du die Finger möglichst senkrecht aufsetzen kannst, ohne die Nachbarsaiten zu berühren oder gar abzudämpfen. Ab einem gewissen Schwierigkeitsgrad der Stücke kann man seine Fortschritte mit zu langen Nägeln definitiv zum Stillstand bringen, weil man die Finger in zu flachem Winkel und nicht mit der Fingerkuppe aufstellt.
Schon beim einstimmigen Spiel hat man das Problem, dass die weiche Fingerbeere die Saiten oft nicht stark genug herunterdrückt und gegriffene Töne dadurch scheppern. Man gewöhnt sich falsche Bewegungsmuster an und lernt nicht, einen Punkt auf dem Griffbrett zu treffen, wenn man die Finger so flach auf die Saiten legt, dass sie immer mehrere Saiten berühren (unabsichtlicher Barrégriff).
Anschlagshand
An der Anschlagshand hingegen lässt man die Nägel wachsen, bis sie etwas über die Kuppe hinausragen. Es ist eine Kunst, möglichst richtig und glatt geschliffene Nägel zu bekommen. Um die richtige Anschlagskante jedes Nagels zu finden, gibt es einen Trick:
Man nimmt ein Stück (7 x 10 cm) sehr feines Schleifpapier (1000er Körnung), faltet es einmal und hängt es so ins Schalloch, dass die eine Hälfte über den Diskantsaiten liegt. Nun schlägt man einen Moment fröhlich mit den Fingern der Anschlagshand an, dreht das Ganze zu den Bässen um und schrappt ein bisschen mit dem Daumen über das Schleifpapier. Jetzt sieht man: jeder Fingernagel hat eine individuelle "Anschlagskante", da er ja auch einen eigenen Anschlagswinkel hat. Die gefundene Gerade zieht man mit feinen Feilen nach und rundet die Ecken ab, sodass nichts hakt. Manche Gitarristen haben wirklich lange Nägel an der Anschlagshand, andere bevorzugen die kürzere Variante, damit die Kuppe ein bisschen am Spielgefühl beteiligt ist.
Nagel- oder Kuppenanschlag?
Man kann natürlich auch nur mit der Fingerkuppe anschlagen, aber die Nägel produzieren einen klareren Ton. Schnelle Zerlegungen sind leichter zu spielen, da ein gut geschliffener Nagel besser an der Saite abgleitet als eine Fingerkuppe.
Andererseits kann der Anschlag mit den Nägeln auch Nachteile haben: ein Auftritt steht an, und zwei Tage vorher bricht bei einer unachtsamen Bewegung ein Nagel. Dann muss der Gitarrist zum Psychologen. Oder ein Gitarrero betätigt sich als Hobby - Klavierspieler. Dann klackern die Nägel auf der Tastatur, und allen anwesenden Pianisten wird schlecht...
Image und Schönheit
Die unterschiedlichen Nagellängen sehen schon komisch aus, und Jugendliche haben oft Imageprobleme deswegen. Das ging mir als Junge Ende der 60er Jahre nicht anders! Man muss halt dazu stehen, dass man Gitarre spielt!
Besonders Schülerinnen empfinden die kurzen Nägel an der Greifhand als nicht schön... kurze Nägel können aber durchaus gepflegt, sauber und bunt lackiert sein. Gleiches gilt für die Anschlagsnägel, und da kann man sich doch mal freuen, dass wir nicht hunderte oder mehrere tausend Euro für einen Bogen ausgeben müssen!