Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Übekonzepte

"Wenn du das Stück besser spielen willst, musst du mehr üben!" ist eine ungenaue und wenig hilfreiche Aussage. Hausaufgaben sollten immer möglichst konkret sein, man sollte sich immer bewusst sein, was man an einem Stück üben sollte, und man sollte "mit angeschaltetem Gehirn" spielen.

Natürlich gibt es andererseits besonders am Anfang Hausaufgaben, die vor allem mehr Routine bringen sollen. Ein weiteres Stück mit dem fis auf der d-Saite benötigt kein philosophisches Nachdenken. Und man spielt ja - hoffentlich - auch zu seinem Vergnügen!

Ich möchte im Folgenden versuchen ein bisschen zu beschreiben, was das Gehirn so zu koordinieren hat, und grundlegende Übekonzepte vorstellen, die immer wieder bei der Erarbeitung als Grundtechniken hilfreich sein können. Das kann Eltern helfen, Schwierigkeiten zu verstehen, Erfolge zu würdigen und erwachsenen Lernenden Prozesse bewusster machen.

Ein Kapitel für Eltern, die sich fragen "Wie lernt mein Kind überhaupt anfangs die Noten auf der Gitarre umzusetzen?" gibt es hier.

Zwei verschiedene Arten, zu üben

Grundsätzlich sollte man sich bewusst sein, in welchem Modus man gerade übt: Entweder ich bin im Arbeits- oder Verbesserungsmodus, oder ich bin im Durchspielmodus.

Im Arbeitsmodus

  • entwickele ich Fingersätze und trage sie mir ein,
  • achte ich auf problematische Stellen und arbeite daran, bis sie besser - am liebsten perfekt und sicher laufen,
  • übe ich danach die Einbindung solcher Stellen in den Kontext,
  • spiele ich viel in sehr langsamem Tempo,
  • versuche ich konzentriert, Dinge auswendig zu lernen.

Im Durchspiel- oder Vorspielmodus

  • spiele ich ein Stück komplett durch, um zu überprüfen, wie gut es schon läuft,
  • versuche ich, dass angemessene Tempo für das Stück einzuhalten,
  • simuliere ich eine Vorspielsituation,
  • spiele ich ältere Repertoirestücke, um mein Repertoire zu pflegen.

Beide Arten des Übens haben ihre Berechtigung. Wenn der Schwerpunkt gerade auf dem Lernen eines neuen Stückes liegt, nimmt der Durchspielmodus vielleicht weniger Raum ein; wenn man kurz vor einem Auftritt ist, ist es umgekehrt.

Genaue Beschreibung: Selbstgespräch - Sportkommentar

Wir erklären uns die Welt ständig, indem wir einen inneren Monolog darüber führen. Wir benennen, beschreiben, kommentieren und bewerten ständig. Ohne jetzt die Diskussion anzufangen, ob es vielleicht noch andere Realitäten jenseits der allgemein anerkannten gibt, die wir nur nicht wahrnehmen, weil wir uns die eine dauern bestätigen, und ob Denken ohne Sprache (ob laut oder innerlich) möglich ist, möchte ich anregen, sich diese Tätigkeit zu Nutze zu machen, um Dinge zu lernen und im Gedächtnis zu verankern.

Wenn man das, was man gerade tut wie ein Sportkommentator im Stile der Radio-Berichterstattung von Fußball - Bundesligaspielen beschreibt, führt man die Tätigkeit wesentlich bewusster aus und kann Inhalte erheblich besser speichern.

Spracherwerb

Der Spracherwerb eines Kleinkindes läuft offensichtlich über ständiges Nachahmen, Wiederholen und Ausprobieren. Lange vor der üblen Strafe des Latein-Vokabel-lernens lernen Babys mit großer Begeisterung Vokabeln und freuen sich über die Eroberung der Welt durch Benennen. Wenn man das Glück hat, etwa als Austauschschüler längere Zeit im Ausland zu leben, macht man dieses Stadium noch einmal, wahrscheinlich etwas bewusster durch: man erobert sich die neue Schulumgebung, indem man nicht nur unbewusst abspeichert "Da ist das Klassenzimmer, da die Mensa, da der Musikraum, da fährt der Schulbus ab", man speichert wesentlich genauer, indem man die korrekten Bezeichnungen für all die Dinge in der fremden Sprache lernt. Dann kann man mit Menschen in der neuen Umgebung über die Dinge kommunizieren, und hat damit an ihrer Beschreibung der neuen Welt teil. Eigentlich ein einziger großer Spaß!

Dinge denken

viereck

Die Grundlage des Anfangsunterrichtes auf der Gitarre ist das Viereck Ton (Klang) - Note - Name - Ort auf dem Griffbrett. Wenn man nicht gewollt die Ebene der Benennung, also Note und Name ausklammert, weil man nach Gehör und Gefühl spielen will, muss man am Anfang dieses Zuordnungsviereck angehen. Dabei hilft das innere Selbstgespräch: je mehr der Lernende sich vorsagt, was er da gerade tut, und wie das alles heißt, desto schneller sind die Vokabeln drin.
Wie man eigentlich im Zusammenhang mit einer Gitarrenschule Noten lernt, versuche ich hier zu beschreiben.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Kinder diesen Lernprozess durchlaufen, der auf der Gitarre sehr komplex ist: es reicht ja nicht, dass eine Note einen Namen und einen Ort auf dem Griffbrett hat, nein, man muss auch noch lernen, dass das "a auf der g-Saite" genau das ist (also ein a, dass man auf der g-Saite greift, und nicht ein g, das auf der A-Saite zu finden wäre), und nicht einfach nur ein a (es könnte ja auch die A-Saite gemeint sein), und dass man zum Spielen mit der anderen Hand auch noch die richtige Saite anschlagen muss! Irgendwann lernt man dann auch noch, dass derselbe Ton auch auf der d-Saite, der A-Saite und der tiefen E-Saite zu finden ist, und warum und wo.

Erste Beschreibung

Je mehr der Lernende also beim Spielen eines Taktes denkt,

  1. "Ich greife das d auf der h-Saite,
  2. jetzt das c auf der h-Saite,
  3. nun schlage ich die h-Saite leer an,
  4. jetzt kommt das a auf der g-Saite,
  5. dann wieder die h-Saite,
  6. das c auf der h-Saite,
  7. wieder a auf der g-Saite
  8. und dann das leere g,

und schon habe ich die erste Zeile von 'Summ, summ, summ' gespielt", desto schneller lernt er die Zuordnungen. Aber das war bei weitem noch nicht genau genug!

Summ summ summ, Noten

Um die Begriffe wirklich genau zu erlernen (und ungenau nützen sie einem wenig, führen eher zu Verwirrung), muss die Beschreibung im Selbstgepräch auch genauer sein:

Genaue Beschreibung

  1. Ich greife mit dem 3. Finger das d auf der h-Saite im 3. Bund und schlage mit dem Mittelfinger (m) die h-Saite (2 im Kreis) an,
  2. dann greife ich mit dem 1. Finger das c auf der h-Saite im ersten Bund, hebe den 3. Finger ab und schlage mit dem Zeigefinger (i) die h-Saite an,
  3. vor dem nächsten Ton kommt eine halbe Pause, ich zähle "drei, vier",
  4. dann hebe ich auch den 1. Finger und schlage mit m die leere h-Saite an.
  5. Nun greife ich auf der g-Saite mit dem 2. Finger im zweiten Bund das a und schlage mit i die g-Saite an,
  6. danach schlage ich wieder die leere h-Saite mit m an,
  7. darauf greife ich das c im ersten Bund der h-Saite mit dem ersten Finger und schlage diese Saite mit i an,
  8. als nächstes greife ich wieder mit dem 2. Finger im 2. Bund der g-Saite das a und schlage die g-Saite mit m an,
  9. die ich danach mit i noch einmal anschlage, nachdem ich den 2. Finger angehoben habe.
  10. Am Ende der Zeile zähle ich wieder "drei, vier" während der halben Pause.

Das also läuft im Prinzip im Gehirn eines Zweitklässlers ab, der ein solches Fünftonlied spielen kann. "Im Prinzip" soll heißen, dass Kinder im Ernstfall die Beschreibung der nötigen Bewegungsabläufe für die einzelnen Töne natürlich sprachlich auf Stichworte ohne Konjunktionen reduzieren. Schlecht läuft es, wenn der Schüler nur "das, und jetzt das, und jetzt die Note" denkt, also gar keine klaren Zuordnungen speichert.

Genaues Beschreiben vereinfacht späteres Lernen

Wenn diese Beschreibung verankert ist, ist das Erlernen weiterer Töne deutlich leichter. Wird sie völlig übergangen, also nur nach Gehör gespielt, muss das Anfangs nicht schlechter laufen, aber machen wir uns nichts vor: Wenn in Internet-Videos gezeigt wird, wie das Solo in einem bestimmten Popsong gespielt wird, benutzt der "Lehrer" auch Begriffe. Und ob "your second finger goes to the eleventh fret on the b-string, and then you move up three frets..." der direktere Weg zur Seligkeit ist, sei mal dahingestellt. Ich bin mit einer konkreten Beschreibung mit Bezug zu Noten immer gut zufrieden gewesen...

Was jetzt noch fehlt, wäre ein innerer Dialog zum Rhythmus des Liedes. Man kann beim Spielen mit dem Fuß die Zählzeiten klopfen, laut zählen, oder beides machen. Natürlich kann man auch die Notennamen singen, oder den Liedtext. Und wenn man's kann, denkt man mal an gar nichts und beobachtet nur und genießt!

Im Abschnitt "Greifen" habe ich versucht darzustellen, was alles in einer zweistimmigen Passage mit gegriffenen Tönen in Oberstimme und Bass passiert - wenn man das in die "Sportkommentar-Sprache" übertragen wollte, käme eine Unmenge Daten zu Tage! Trotzdem ist genau das, die wirklich minutiöse Beschreibung in Worten, beim Erlernen einer schwierigen Stelle oder eines komplexen Griffwechsels ein probates Mittel, die Sache wirklich in den Griff zu bekommen! Wer schreibt, der bleibt; wer beschreibt, der schafft Lerninhalte in sein Langzeitgedächtnis!

Ruhige Greifhand

Zu Beginn des Unterrichts ist es wichtig, sich anzugewöhnen, nicht jeden Finger der Greifhand einzeln zu setzen, sondern Finger stehen zu lassen und vorzubereiten. In der Grafik unten ist das durch die gestrichelten Bögen angedeutet. Diese Idee wird im nächsten Abschnitt über "Chunks" noch weiter ausgeführt.

  1. a) Der erste Finger lässt das c nicht los, sobald das d angesteuert wird, sondern bleibt noch stehen. Dann findet der dritte Finger das d leichter, und die Hand bleibt ruhiger.
  2. b) Dann bleibt der erste Finger auf dem f im ersten Bund der e-Saite stehen, während der dritte das g greift, um für das wieder kehrende f abgehoben zu werden.
  3. c) Schließlich greifen nach dem leeren e die Finger 3 und 1 gleichzeitig im 3. und 1. Bund; zunächst erklingt das d, und nach dem Abheben des dritten Fingers die Schlussnote c.
Finger stehen lassen

Die Gitarre darf nicht zu groß sein

Solch eine gute Technik der Greifhand, auf der man aubauen kann, gewöhnt sich der Schüler am Anfang an, oder eben nicht. Ein ganz wesentlicher Faktor ist dabei, dass das Instrument nicht zu groß ist: wenn der 1. Finger losgelassen werden muss, um mit dem 3. Finger den dritten Bund zu erreichen, wird es nichts mit den ruhigen Bewegungsabläufen...

Finger immer vorbereiten?

Junge Schüler denken manchmal erstaunlich genau über das Stehenlassen und das Vorbereiten der Finger nach! Dabei versuchen einige, zum Beispiel das a auf der g-Saite schon am Anfang eines Stückes zu greifen, obwohl erst noch einige Töne auf der h-Saite zu spielen sind. Das ist vielleicht eine gute Idee, funktioniert aber nur, wenn der zweite Finger auf dem a schön senkrecht steht, sodass die h-Saite nicht surrt oder gar ganz abgedämpft wird.

Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

In "Chunks" denken

Das englische Wort "chunk" bedeutet "Stück, Brocken, Klumpen" und wird in der Lernpsychologie benutzt, wenn es um das Merken von Dingen oder Handlungen geht. Die Idee ist, nicht einzelne Dinge zu lernen und dann aneinander zu hängen, sondern mehrere Dinge als "Chunk" auf einmal zu erfassen.

Grenzen des Kurzzeitgedächtnisses

Laut dem Artikel "George A. Miller, The Magical Number Seven, Plus or Minus Two: Some Limits on our Capacity for Processing Information" ist die magische Grenze für unser Gehirn sieben - mehr einzelne Dinge kann man nicht auf einmal im Kurzzeitgedächtnis speichern.

Um diese Grenze zu überschreiten, fasst man Dinge zu Chunks zusammen, und wendet nicht immer generelle Regeln an, wie zum Beispiel "Immer wenn ich ein d auf der h-Saite greifen muss, greife ich das dahinter liegende c mit." oder "Wenn ein Lied auf der h-Saite beginnt, greife ich das a auf der g-Saite vorsichtshalber mit." (siehe voriger Abschnitt).

Man muss die Chunks finden

Statt dessen versucht man sowohl beim ersten Durchspielen, als auch beim Lernen, kurze Chunks zu erfassen, zu analysieren und dann entsprechend zu handeln.
Die Frage "Finger generell vorbereiten - ja oder nein?" kann man nicht generell beantworten. Es kommt auf die zu spielenden Noten an, und ich halte es für besser, immer vorausschauend zu lesen und kleine Gruppen von Noten zu erfassen.

Beispiellied

Als Beispiel habe ich das Lied "Der Kuckuck und der Esel" ausgewählt und in sechs Chunks unterteilt, die grün umrahmt und nummeriert sind. Weiterhin sieht man in der Grafik blaue "Minichunks", einen lila "Minichunk", rote gestrichelte Linien, die wie im Notenbeispiel des vorigen Abschnittes "Finger vorbereiten!" bedeuten, und kleine rote Warndreiecke.
Die "Minichunks" enthalten immer die Noten, bei denen technisch etwas besonderes passiert, während die restlichen Töne im übergeordneten Chunk Wiederholungen der "interessanten Stelle" oder einfach banale Tonwiederholungen sind, die nicht so viel Aufmerksamkeit erfordern.

Bevor ich mich an die genaue Beschreibung mache: ja, drei Chunks sind acht Töne lang, aber sie entsprechen den Textabschnitten des Liedes, und es gibt in allen Tonwiederholungen. Außerdem hieß es ja "plus oder minus two".

Der Kuckuck und der Esel

Chunk 1 spielt sich nur auf der h-Saite ab, die Töne d-h im ersten Minichunk wiederholen sich, im zweiten Minichunk spielt man d-c und bereitet dabei das c schon beim Greifen des d vor!

In Chunk 2 muss man c-a wiederholen. Man kann das a gleichzeitig mit dem c greifen, aber - Warndreieck! - der zweite Finger muss senkrecht stehen oder abgehoben werden, damit das folgende c nicht abgedämpft wird.
Den ersten Finger auf dem c sollte man aber bestimmt bis zur letzten Note stehen lassen, sonst "watscheln" die Finger 1 und 2 unruhig auf dem Griffbrett!

Chunk 3 beginnt mit zwei aufgestellten Fingern auf der h-Saite und ist sehr einfach.

In Chunk 4 könnte man zu Anfang wieder auf die Idee kommen, das a auf der g-Saite vorzubereiten - ich würde lieber den "Minichunk" c-h-a ein paarmal genau üben und dabei das a jeweils neu greifen, und dann am Ende den zweiten Finger auf dem a wegnehmen, damit die beiden hs am Schluss sauber klingen.

Chunk 5 und 6 sind die kompliziertesten. Im ersten sehe ich zunächst zwei Minichunks, leeres g und a und leeres h und c. Im dritten muss man den dritten Finger so sauber auf das d auf der h-Saite stellen, dass er der e-Saite nicht im Weg ist, oder man muss ihn anheben.

Ihn anzuheben ist womöglich die bessere Idee, denn dann kann man - lilaner Minichunk - beim erneuten Hinstellen den 1. Finger mit platzieren um das c vorzubereiten.

So kommt man gut in den Chunk 6 hinein, der den Text "zur schönen Maienzeit" mit einer einfachen absteigenden Linie bringt.

Die Chunks der letzten Zeile sind durch den lila umrahmten Minichunk mit einander verbunden, durch den Text aber von einander getrennt. Man kann sie zwar in zwei Stücke teilen, muss aber die Verbindung auch einüben, um das Stück ohne Stocken zuende spielen zu können.

Immer ganze Chunks dieser Größe gleich erfassen zu wollen wäre ein ehrgeiziges Ziel für den Anfänger. Deshalb die grafische Idee mit den Minichunks: in Chunk 3 zum Beispiel kann man die Tonfolge d-c-h ganz gut auf einmal erfassen, und der Rest, dreimal h und zweimal c ist auch schnell überblickt. Wenn man mit dieser Einstellung übt, hat man die sechs Abschnittchen schnell intus.

Greifen oder nicht?

Die Konstruktion der Gitarre - sechs Saiten, die einen Ton erzeugen, wenn man sie anschlägt; für die anderen Töne muss man anschlagen und greifen - ist für manchen Anfänger ein kleines Problem, besonders wenn man Tonleitern abwärts spielt.

Auf dem Klavier muss ich IMMER eine Taste drücken, um einen Ton zu erzeugen. Die Herstellung des Tones übernimmt ein Hämmerchen, das durch die Taste an die Arbeit geschickt wird, und die Auswahl des Tones übernimmt dieselbe Taste.
Bei der Gitarre liegt die Tonerzeugung bei der Anschlagshand (wenn man mal von Spezialtechniken wie Abzug und Aufschlag absieht), und die Tonauswahl meistens bei der Greifhand, manchmal aber bei der Gitarre. Das heißt: bei manchen Tönen muss ich mit der Greifhand etwas tun, bei anderen muss ich eben nichts tun.

Dieses Konzept beim Gitarrenspiel zu verinnerlichen fällt Anfängern anfangs manchmal schwer. Das Greifen erfordert so viel Aufmerksamkeit, dass das Nicht-Greifen vergessen wird. Die Arbeit der Anschlagshand wird eher zur Routine, was hier aber wenig hilft.

greifen - leere Saite

Beispielsweise ist meist kein Problem, so eine kleine Fünftonreihe wie im Bild oben aufwärts zu spielen: man schlägt die g-Saite an, greift dann das a im 2. Bund und schlägt an, dann muss ich auf die h-Saite wechseln, schlage an, danach greife ich c und d und schlage jedes mal die Saite an.

Beim Abwärtsspielen wird komischerweise der Ton h gerne mal vergessen. Zunächst mal scheint es widersinnig, den dritten Finger vom d wegzunehmen, um das c möglich zu machen: normalerweise tut man etwas irgendwo hin, um einen Effekt zu erzielen! Wenn man etwas weg nimmt, ist doch etwas weg, davon kann doch nichts entstehen?! (Natürlich schlägt man auch an, aber da die Aufmerksamkeit so auf der Greifhand liegt...) Und dann ist die nächste große Aktion, den zweiten Finger auf das a auf der g-Saite zu stellen, und darüber wird die leere h-Saite vergessen.

Ein kleines und unbedeutendes Problem im Anfangsunterricht, dass für mich aber doch hier hin gehört, weil es mit der Struktur der Gitarre zusammen hängt. Mehr dazu unter der Überschrift "genaue Beschreibung" und den beiden folgenden Abschnitten "Ruhige Greifhand" und "In Chunks denken".

Hin- und zurück

3 Töne

Eine andere Schwierigkeit bei Anfängern: wenn man die ersten drei Töne einer Saite übt, lasse ich gerne die Töne hin und zurück spielen, also Ton 1, Ton 2, Ton 3, Ton 2 und von vorne. Im Beispiel rechts ist Ton 1 das h, c und d sind Nummer 2 und 3 auf der h-Saite.

Aber statt die gewünschte Wiederholung h - c - d - c - h - c - d - c... zu spielen, kommt bei Anfängern oft die Version im unteren Bild h - c - d - h - c - d heraus.
Irgendwie scheint es einfacher zu sein, drei Schritte vor zu gehen, zwei Finger hin zu stellen, und dann wieder zum Start zu springen, statt einen Schritt zurück zu machen.

Leere Bässe bei Akkorden

G-Dur und D-Dur

Eine vergleichbare Schwierigkeit gibt es bei den Akkorden: Der G-Dur-Griff besteht aus 6 Tönen. Selbstverständlich darf man da alle Saiten anschlagen, das wird auch vom Griffbild angezeigt, befinden sich doch zu greifende Töne auf der sechsten, fünften und ersten Saite. Dazwischen sind weiße Punkte neben dem Sattel - das sind die leeren Saiten, die ich auch anschlagen darf.

Beim D-Dur-Akkord wird auf den Saiten eins bis drei gegriffen, und vor der d-Saite steht ein leerer Kreis.
Merkt sich der Anfänger, dass er A- und E-Saite nicht anschlagen sollte?
Wenn man die A-Saite "aus Versehen" mit erwischt, entsteht ja lediglich ein Quartsextakkord, aber wer fröhlich die tiefe E-Saite mitschrammelt, erzeugt ein ordentliches Gebrummel, aber keinen ordentlichen Akkord.

Weil die Gitarre so ist, wie sie ist, darf ihr Benutzer mehr denken: nicht jede leere Saite darf man auslassen, denn "ein nicht gegriffener Ton ist noch lange kein Nicht-Ton", und nicht jede leere Saite darf man anschlagen!

"Erklärend spielen"

"Erklärend spielen" ist ein Übekonzept, das dem oben beschriebenen Selbstgespräch ähnelt, aber weniger verbal abläuft, sondern mehr auf zeigen beruht. Dabei braucht man nicht notwendig jemanden, dem man etwas zeigt, es geht hierbei mehr um eine innere Haltung beim Spielen und Üben.

Kein Metrum, dafür Zeitlupe

Um sich selber eine schwierige Stelle wirklich klar zu machen, wirklich genau vorzuführen, welche Bewegungen z.B. die Greifhand macht, setzt man beim Spielen das Metrum außer Kraft, schert sich also nicht groß um rhythmische Richtigkeit, sondern hält bei entsprechenden Stellen inne, verfällt in zeitlupenartiges Spielen, übertreibt Bewegungen, spürt der Energie nach, die für das Schwungholen, fürs Ausschwingen, das Abbremsen nach dem Lagenwechsel erforderlich ist. Wie einer Choreografie für ein Ballett schaut man dem Tanz der Finger auf dem Griffbrett zu und staunt.

Spüren und Zeigen

Die Betonung liegt hier also mehr auf Spüren und Zeigen als auf dem "Sportkommentar" des Abschnitts über das innere Selbstgespräch. Dessen möglichst genaue verbale Beschreibung zielt mehr auf das intellektuelle Verstehen, während ich hier eher das Intuitive, das Spüren und Fühlen meine. Wie viel oder auch wie wenig Druck man zum Beispiel braucht, um einen Ton innerhalb eines Barrégriffes sauber hinzubekommen, ist auch eine Sache der Bewußtwerdung eines Gefühls, nicht nur eines Gedankens.

Gerhard Mantel stellt in seinem wirklich lesenswerten Buch das Rezept des "Einbrennens" vor, bei dem man bei einem einzelnen Sachverhalt oder Ton mindestens fünf Sekunden verharrt, um sich dessen Eigenschaften wirklich einzuprägen. Eventuell mehrmals und - wichtig - mit Pausen wiederholen, und man hat bessere Chancen, eine Passage richtig im Langzeitgedächtnis zu verankern.

Das Wort "einprägen" gemahnt ja an den Vorgang des Prägens einer Münze, "einbrennen" klingt, als ob man einen CD-Brenner als Analogie für das Gehirn hernimmt. Auf alle Fälle sollte man immer wieder daran denken: das Gehirn ist kein Strohhaufen oder Holzklotz (hoffentlich), sondern ein komplizierter Apparat, in dem das, was wir global "Lernen" nennen letztendlich Veränderungen auf bio-chemischer Ebene meint. Da passiert etwas Wirkliches mit Materie.
Deshalb ist auch jeglicher Optimismus, Fehler könne man sich ja schnell eben wieder abgewöhnen völlig unbegründet! Gerade die schlauen Kinder brauchen lange, um die deutsche Griffweise auf der Blockflöte zu "verlernen", nachdem sie umgestiegen sind - weil sie sie besonders gründlich erlernt und sich eingeprägt haben.

"Rückwärts üben"

Fingersätze für die Greifhand können auf der Gitarre enorm komplex sein - oft muss man lange überlegen, bis man die beste Möglichkeit gefunden hat. Beim Finden und Erarbeiten eines Fingersatzes für eine schwierige Stelle muss man immer wieder vom Ziel zum Ausgangspunkt rückwärts überlegen. Oft genug spielt man einige Tage eine Version, bevor man auf eine andere kommt, die dann ihrerseits etliche Übesitzungen probiert wird, bis man merkt "Die ist es!" Und man bleibt am Ende häufig bei einer weniger eleganten, dafür aber gängigeren und praktikableren Lösung.

Was liegt also näher, als Stücke "von hinten nach vorne" zu üben?!

Man kann sich Viertaktgruppen vornehmen, oder auch kürzere Phrasen. Auf alle Fälle beginnt man mit dem Ende oder einem Etappenziel, und wenn das "sitzt" geht man zur Stelle davor, und wenn diese klappt, kümmert man sich um die Nahtstelle. Dann ist die drittletzte Taktgruppe an der Reihe, man übt die Überlappung zur zweitletzten und so weiter.

Dieses Verfahren hat viel für sich, besonders bei komplexen Stücken: einmal ist das, was man nach der aktuell beackerten Baustelle spielt immer schon bekanntes und gekonntes Material. Das ist psychologisch sehr erfreulich. Man denkt nicht ständig "oh, wie werde ich das hinkriegen..." - nur ein Trick, aber ein netter.

Außerdem ist dieses "rückwärts üben" eine gute Hilfe, wenn man vorhat, ein Stück auswendig zu lernen.
Und man ist tendenziell etwas disziplinierter bei der Arbeit. Wie verlockend ist es immer wieder, doch mal weiter zu spielen als man das Stück eigentlich beherrscht, und es ist ja auch wichtig, den Überblick übers große Ganze zu gewinnen... Wenn ich von hinten aus ein Stück erarbeite, ergibt sich leichter "rituelles" Verhalten der Lernaufgabe gegenüber: "Nein, nur zwei Takte, wie vorher...!" ist die Devise. Diese Strenge hilft mir jedenfalls, nicht zu viel über die Stränge zu schlagen.

"Zusammenstauchen"

Karl Scheit hat es in seinen Ausgaben von Bachs C-Moll Präludium für Laute (nach D-Moll transponiert) oder den Vorübungen zu einigen Nummern aus Carcassis Opus 60 vorgemacht: wenn ein Gitarrenstück sehr von der akkordischen Struktur geprägt ist, ist es sinnvoll, diese separat aufschreiben. Allerdings findet man auch schon in Diabellis op. 39 "XXX sehr leichte Übungsstücke für die Guitare" eine Akkordzusammenfassung vor einigen Stücken.

Beim Üben ist es sehr hilfreich, die Akkordstruktur beim Lesen der Noten zu erfassen und das Ganze auch so zu spielen: alles, was man in einem Takt oder Sinnzusammenhang gleichzeitig spielen kann, gleichzeitig zu greifen und anzuschlagen. Dabei immer vorauslesen und den nächsten Griffwechsel antizipieren. Dadurch beschleunigt man die Auffassung des Stückes und versteht es gründlicher, und man gewöhnt sich an, zu haltende Töne als solche zu erkennen. Das gibt mehr Klang und ähnelt dem Effekt, den Klavierspieler mit der Benutzung des rechten Pedals erzeugen.

Sor, Walzer normal

Oben: die ersten acht Takte eines kleinen Walzers von Carulli, der eigentlich nur aus Akkordzerlegungen besteht.

Unten: Der Anfang des gleichen Stückes "zusammengestaucht". Lediglich in Takt 1 und 5 liegen zwei Akkordtöne auf einer Saite, müssen also nacheinander gespielt werden. Alle anderen Töne kann man gleichzeitig spielen, was - wenn man es darauf anlegt - das Stück auch sehr verkürzen kann...

Sor, Walzer gestaucht

Der "Raumspareffekt" des zusammengestauchten Aufschreibens fällt bei folgendem Beispiel noch deutlicher ins Auge: "Una Limosnita por Amor de Dios" von Barrios Mangoré ist ein Tremolo - Stück, bei dem man pro Zeile gerade mal zwei Takte unterbringt und damit 6 Seiten für die Komposition braucht. Gestaucht passen acht Takte in eine Zeile.

Barrios, Tremolo normal

Den vier ausgeschriebenen Takten oben entspricht die Hälfte der unteren Zeile!

Barrios, Tremolo gestaucht

Einen besonders großen Übeeffekt hat man von diesem Verfahren, wenn man die Noten nicht aufschreibt, sondern "im Kopf zusammenstaucht". Dadurch macht man auch große Fortschritte im Blattlesen.

Üben vor dem Spiegel

Sehr nützlich und zu empfehlen ist es, dann und wann vor einem großen Spiegel zu üben, in dem man sich möglichst ganz sehen kann. Man beobachtet dabei viele Dinge: Zunächst einmal sitzt einem jemand gegenüber, der falsch herum spielt. Nachdem man sich daran gewöhnt hat kann man überprüfen:

  • Stimmt die Haltung einigermaßen?
  • Ist der Oberkörper verdreht?
  • Sind die Schultern gerade?
  • Befindet sich die Gitarre gerade vorm Körper oder sind die Beine zu eng zusammen?
  • Guckt der Daumen weit über den Hals?
  • Stehen die Finger der Greifhand einigermaßen senkrecht?
  • Hängt der Ellenbogen der Greifhand locker?
  • Sind Lagenwechselbewegungen flüssig oder eher eckig?
  • Hüpft die Anschlagshand wild herum oder ist sie ruhig?
  • Schneide ich beim Spielen Grimassen?
  • Ist vor allem die Mundpartie entspannt (Lieber den Mund leicht geöffnet haben, den Unterkiefer also entspannt, als mit den Kiefern mahlen!)?

Viele Digitalkameras verfügen über die Möglichkeit, Videoaufnahmen zu machen, die gut genug sind, um sich selbst in Bezug auf die obigen Fragen in Augenschein zu nehmen. Oder man setzt sich vor das Notebook mit eingebauter Webcam.

Die Gitarre ist für das Publikum ein dankbares Instrument. Den Notenständer nicht zu hoch und etwas zur Seite der Greifhand gestellt braucht der Gitarrist eigentlich weiter keine Show - Effekte, um interessant zu beobachten zu sein.