Neue Technik
Wenn man die englische Wikipedia-Seite aufsucht findet man heraus, dass die ersten elektronischen Stimmgeräte von 1936 datieren - das hätte ich nicht gedacht! Allerdings sind die kleinen Geräte, die man heute nutzt, und die Mikroprozessoren enthalten, erst seit 1975 auf dem Markt. Witzig - das ist lange Zeit völlig an mir vorbei gegangen! Ich besitze mehrere Stimmgabeln und mein Gehirn.
Trotzdem können Stimmgeräte, besonders solche, die man an ein Instrument anklemmen kann, oder die in die Klangregelung einer Gitarre mit Tonabnehmer oder in Verstärker oder Effektgerät integriert sind, sehr praktisch sein, denn manchmal ist es so laut, dass man eine Gitarre nicht nach Gehör stimmen kann.
Was haben die Menschen nur früher gemacht? Nun, man spielt einen Ton, der stimmt, spielt den zweiten, und vergleicht. Man muss genau zuhören, und auf die Schwebungen achten. Dann stimmt man den zweiten Ton so, dass er mit dem ersten übereinstimmt, und passt auf, dass die Schwebungen verschwinden - dann sind die Töne gleich. Wenn man das häufig macht, kann man es irgendwann ziemlich gut.
Was macht man heute? Man schaltet das Gehirn aus, die Stimm-App an, und liest. Und dabei gibt es Möglichkeiten, Fehler zu machen, die einem beim Stimmen nach Gehör nicht unterlaufen.
Stimmgabeln benutzen heutzutage nur noch Chorleiter, die auf Stil halten, und die Anfangstöne eines Stückes vor Publikum nicht von einem Instrument abnehmen, sondern sich die Stimmgabel ans Ohr halten, die richtigen Intervalle finden und dem Chor die Töne vorsummen. Und Leute wie ich, die glauben, dass eine streng nach App gestimmte Gitarre nicht so gut stimmt, wie wenn man die Feinheiten nach dem eigenen Urteilsvermögen austariert.
Einstellungsmöglichkeiten
Trotzdem habe auch ich eine Stimm-App auf meinem Smartphone, schon um demonstrieren zu können,
wie sie funktioniert.
Das Wort "Chromatisch" in
Bild 1 bedeutet, dass ich in den Einstellungen gewählt habe, dass sie
jeden Ton erkennen soll, nicht nur die sechs Saiten der Gitarre, der Zeiger darunter ist minimal
rechts von der Mitte, das heißt: das A, das ich gerade gespielt habe ist
etwas zu hoch. Es sollte mit 110 Hz schwingen (Sollwert), hat aber tatsächlich 110,1 Hertz
(Istwert), der Abstand beträgt 1 Cent.
Darunter stehen noch weitere Angaben zu den
Einstellungen, die ich gewählt habe.
Die Liste der Einstellungen in Bild 2 ist gar nicht so lang, denn
alle, bei denen "[Pro]" davor steht, kann ich nur auswählen, wenn ich die bezahlte Version der
App installiert habe.
"Temperiert" heißt, dass ich die normale gleichschwebende Stimmung
gewählt habe, nicht eine Stimmung mit unterschiedlich großen Halbtönen nach Kirnberger o.ä.
"Spreizung" bezieht sich darauf, dass Klaviere oft so gestimmt werden, dass sie unten
etwas zu tief und oben etwas zu hoch gestimmt werden, um die Steifigkeit des Saitenmaterials
zu korrigieren. Die anderen Punkte werden bei den nächsten Bildern erklärt.
Hier habe ich "Chromatisch" ausgewählt - die App erkennt alle Töne. Bei manchen Stimmgeräten gibt es eine Funktion, die nacheinander "Gitarre, Bass, Ukulele, Cello" aufruft, und wenn man versehentlich an diesen Knopf kommt, will das Gerät plötzlich partout eine C-Saite haben, die es auf der Gitarre eigentlich nicht gibt.
Auf dieser Seite kann ich die Frequenz des Kammertons a anpassen. Ich habe den wohl immer noch gültigen Kammerton mit 440 Hertz gewählt, obwohl heute Orchester oft auf 442, 443 oder gar 444 Hz spielen. Da ich momentan nicht mit Orchestermusikern zusammen spiele, brauche ich meine Gitarre nicht zu strapazieren.
Bei dieser App kann man tatsächlich wählen, ob sie die Töne auf deutsch, englisch oder italienisch/französisch anzeigt. Stimmgeräte und Stimm-Apps, die nur englisch sprechen, zeigen die h-Saite als B an. Das deutsche b heißt auf englisch bekanntlich Bb. Das kann verwirrend sein - man muss das wissen!
Fehlerquellen
In welche Richtung man drehen muss, kannst du hier sehen.
Aber simulieren wir den häufigsten Fehler in der Benutzung von Stimm-Apps beziehungsweise Stimmgeräten, denn darum soll es hier gehen: Man starrt fasziniert auf den Zeiger oder die leuchtenden Dioden, die durch rote Pfeile anzeigen "du bist zu hoch" oder "drehe mal tiefer", und grün aufleuchten, wenn der gewünschte Ton erreicht ist. Aber das ist nur die halbe Information!
Ich schlage die tiefe E-Saite an, und sie ist etwas zu tief. Ich stelle mich ungeschickt an, und drehe in die falsche Richtung.
Die Saite ist jetzt noch tiefer, aber ich habe meinen Fehler nicht bemerkt und drehe noch mal in die gleiche Richtung. Das passiert schon mal!
Sieh mal an, plötzlich ist der Ton viel zu hoch, das ist ja merkwürdig. Na, stimmen wir eben noch tiefer!
Wunderbar, jetzt stimmt die Saite doch ziemlich genau!
Was mir entgangen ist: von Bild 7 nach Bild 8 ist in der Mitte die Anzeige von "E" auf "D♯" umgesprungen. Als der die Aufmerksamkeit fesselnde Zeiger plötzlich "viel zu hoch" anzeigte, "hörte" die Stimm-App gar kein E mehr, sondern die nächste tiefere Note, das Dis, und dafür war die Saite zu hoch. Und als ich die Saite endlich "gut" gestimmt hatte, hatte ich eine Gitarre mit einer tiefen Dis-Saite, statt eines E.
Das ist also ein Lesefehler, der tatsächlich häufig vorkommt. Man muss zwei Parameter überwachen: erstens ist die Frage "Bei welchem Ton bin ich überhaupt?" und zweitens "Bin ich zu hoch, oder zu tief?".
Und für die erste Frage muss man wissen, wie die Gitarresaiten heißen. Was mich an die
Unterrichtsstunde erinnert, als ein Schüler nur noch auf "Geh du alter Esel hole Fisch" (eine
Eselsbrücke für die Reihe der Kreuztonarten) kam, und sich nicht mehr an "Eine alte Dame ging
Haifisch essen" erinnern konnte.
Aber der Spruch für die Saiten heißt ja auch "Ein Hund
gräbt draußen alles ein."