Umstimmen der E-Saite auf D
Am häufigsten muss man bei Gitarrenstücken wohl die tiefe E-Saite auf D umstimmen, also einen Ganzton tiefer. In einer kleinen Bilderfolge möchte ich zeigen, dass es dafür ein hilfreiches Schema gibt, an das man sich ungefähr halten kann.
Bei den meisten Konzertgitarren, jedenfalls denen, die ich kenne, kann man davon ausgehen, dass
man den Wirbel für das
E erstmal getrost 360°, also eine volle Umdrehung im Uhrzeigersinn
(man schaut ja von hinten auf die drehende Hand) drehen kann, um sie einen Ganzton
tiefer zu stimmen. Tatsächlich wird am Ende herauskommen, dass man
etwa 450° drehen muss.
Achtung:
Linkshänder drehen anders herum, um
tiefer zu stimmen! Für sie sind die Bilder spiegelverkehrt.
In welche Richtung man allgemein drehen muss, kannst du
hier
sehen.
Bitte vor dem Drehen die Saite anschlagen, damit man hört, was man tut! Zur Verdeutlichung habe ich einen roten Punkt auf den Wirbel geklebt, und los geht es:
Ich fasse den Wirbel der 6. Saite an und drehe den roten Punkt auf mich zu...
Hier ist eine Viertel Drehung im Uhrzeigersinn geschafft,
jetzt ist der Punkt unten, also bei 180°,
drei Viertel der Strecke,
und hier ist der Punkt wieder oben.
Jetzt schlage ich die 4. Saite, also das "normale d" an, danach einen Oberton über dem 12. Bund der sechsten Saite, und stelle fest:
Noch etwas zu hoch! Etwa eine Viertel Drehung weiter, und meine neue tiefe D-Saite stimmt.
Hier beginnt der Rückweg: drehen gegen den Uhrzeigersinn (Linkshänder drehen im Uhrzeigersinn!)...
180 Grad gedreht,
360° - der Wirbel steht wieder wie in der D-Stimmung,
Vergleich des Flageolett über dem 7. Bund der A-Saite mit dem Flageolett über dem 5. Bund der E-Saite,
und die abschließende Korrektur: noch eine 90° - Drehung, und ich habe wieder eine E-Saite!
Was man noch bedenken sollte: jede Saite, die man höher stimmt, zieht sich nach einiger Zeit
wieder etwas tiefer. Das scheint logisch zu sein: man zwingt die Saite in einen strammeren
Zustand, und sie dehnt sich wieder etwas zurück. Irgendwo bei einer Wicklung, bei einer Kurve am
Steg, irgendwie macht sie das halt.
Aber: eine Saite, die man tiefer stimmt, zieht sich auch immer wieder etwas höher (Warum
das so ist muss mir mal jemand erklären, bitte!).
Jedenfalls sollte man nach dem Umstimmen die Saite einige Male etwas
kneifen. Das beugt vor, und
man sollte immer darauf achten, ob die Saite nach einigen Takten nicht doch noch ein bisschen
nachgestimmt werden möchte. Das ist normal.
Bei den
Stimmtönen gibt es eine Audiodatei
in der am Ende auch ein tiefes D zu hören ist. Wenn man nicht sicher
ist, ob das Stimmen nach dem Flageolett erfolgreich war, kann man dort nochmal zusätzlich
kontrollieren.
Umstimmen der g-Saite auf fis
Wenn man die 3. Saite um einen Halbton tiefer stimmt, hat man die Stimmung, die auf der Laute in
der Renaissance und auf der
spanischen vihuela de mano üblich war. Damit erschließt sich eine ganze Welt an
Musikstücken, die man direkt aus Tabulaturen auf der Gitarre spielen kann - wenn man sie nicht
lieber auf Instrumenten der entsprechenden Zeit spielt.
Persönlich finde ich es immer noch
am natürlichsten, Stücke für diese Instrumente auf der Gitarre zu spielen. Bei Werken
für Lauten mit mehr als
sechs Chören fehlen mir zu viele Bässe, und die Barockgitarre ist, was die Besaitung und
Stimmung angeht, von der modernen Gitarre fast am weitesten entfernt.
Eine Seite aus dem sogenannten Capirola - Lautenbuch, einer außergewöhnlich schönen Handschrift eines der Schüler von Vicenzo Capirola, entstanden zwischen 1515 und 1520 in Venedig.
5. Bund-Methode
Die Stimmanweisung nach der "5. Bund-Methode" wird für 3=fis so abgewandelt:
Im 4. Bund der d-Saite ist das fis. Stimme die neue
fis-Saite nach diesem Ton.
Überprüfe danach, ob das
a im 3. Bund der fis-Saite zur leeren A-Saite passt!
Die h-Saite muss man dann natürlich nach dem 5. Bund der fis-Saite stimmen!
Oberton-Methode
Die
fis-Saite nach der
Oberton-Methode geht so:
Spiele den
Oberton über dem zwölften Bundstab der A-Saite, und stimme danach das im dritten Bund gegriffene
a der fis-Saite. Beim Greifen bitte nichts verziehen. Je nach Laune
kannst du mit der Anschlagshand am Wirbel drehen - ich höre mir den gestimmten Ton lieber genau
an und drehe dann am Wirbel und vergleiche wieder.
Auch die dritte Saite auf fis hört man am Ende der Audiodatei bei den Stimmtönen.
Die "Renaissancestimmung"
In dieser "fis-Stimmung" oder "Renaissancestimmung" (Barocklauten sind völlig anders gestimmt) sind also alle Töne auf der dritten Saite einen Bund höher zu greifen. Das g liegt im ersten Bund, gis im zweiten, und es dauert schon seine Zeit, bis man sich daran gewöhnt hat, reflexartig das a im dritten Bund zu greifen wenn man einen A-Dur-Akkord liest.
Akkorde
A-Dur-Akkorde sehen aus wie D-Dur in der Normalstimmung, E-Dur wie A-Dur, und C-Dur ist ausgesprochen ekelig zu greifen. Dafür kann man sowohl H-Dur als auch H-Moll ohne Barré greifen, und überhaupt merkt man bald: Stücke, die für diese Stimmung geschrieben sind, funktionieren so auch ziemlich gut! Auch wenn in den ersten Übertragungen früher Lautentabulaturen die Herausgeber noch gerne "verbessernd" eingriffen, Fingersätze für Normalstimmung machten oder gar einfach den Notentext veränderten: für mich war jedenfalls die Entdeckung, dass in der Scheit - Ausgabe der Pavanen Luys Milans Tabulatur und Transkription nicht übereinstimmten, der Auslöser für Mißtrauen und die Gier nach Faksimile-Ausgaben.
Tonhöhe
Im Ernstfall sollte man sich dann noch angewöhnen, die Stücke in G-Stimmung zu denken: eine sechschörige Laute ist nicht auf E - A - d - fis - h - e gestimmt, sondern auf G - c - f - a - d - g (Der eben beschriebene A-Dur-Akkord ist also in Wirklichkeit ein Akkord auf C!). Das wird natürlich erst wichtig, wenn man mit anderen Instrumenten zusammen musiziert. Im Zusammenspiel mit anderen Gitarren (Lauten) zeigt die Tabulatur ihre praktische Seite: Ob die Laute auf G, A, oder tiefer auf F oder D gestimmt ist, ist egal. Bei Duetten für zwei ungleiche Lauten kann man auch mal tauschen, ohne gleich "neu Noten lernen" zu müssen.
Wenn man sich in diese Stimmung ein bisschen hineindenkt, kann man alle frühen Tabulaturen für Laute (bevor sie siebenchörig wurde) und die spanischen Werke für Vihuela spielen. Ob sich das lohnt? Es ist eine Unmenge Musik, einiges ist einfach, aber vieles ist auf einem Niveau geschrieben, das dem Spieler alles abverlangt, inklusive den Kauf eines ordentlichen Kapodasters, denn die Griffe sind zum Teil so abenteuerlich, dass man bald merkt: mit der Mensur einer modernen Gitarre geht hier gar nichts! Mit einem Kapo im dritten Bund hat man dann eine Mensur in der Größenordnung der bekannten überlieferten kleinen Renaissancelauten wie der Venere, Gerle, Hieber oder Hes. Darauf kann man dann auch Terzi spielen ohne sich die Finger zu brechen.
Renaissance und Mittelalter
Die Musik der Renaissance kommt fast aus einer anderen Welt... Man ist als Lautenist ja gewöhnt, auf Sätze wie "Das klingt bestimmt enorm mittelalterlich!" zu reagieren, wenn man gerade mit seiner Barocktheorbe herumläuft, die in die Zeit zwischen 1750 und 1800 gehört - das ist gerade mal schlappe 200 Jahre her! Das Ende des Mittelalters kündigt sich in Italien mit der Enstehung von Dantes "Divina Comedia" und Boccaccios "Decamerone" an, die Anfänge der Frührenaissance liegen also um 1350 - das war vor 600 Jahren!
Musik für 6chörige Laute kann man getrost in die Zeit nach dem Mittelalter datieren (na ja,
diesseits der Alpen war man natürlich etwas hinterher). Stücke von
Francesco da Milano (1497 - 1543) waren zu Bachs Zeiten so alt, wie Bach für uns heute
ist, und sie klingen definitiv sehr anders als Carulli, Tárrega oder Villa-Lobos! Die Fantasien
und Ricercare sind polyphon und verlangen immer wieder das Bemühen, Töne zu halten oder
zumindest zu suggerieren, dass der Ton von vor drei Takten eigentlich noch klingt, was bedeutet,
dass man die Stimmen innerlich hören muss.
Die Laute war ein absolut wichtiges Instrument
auch für das Nachspielen der "Hits" der Vokalmusik. Von den bekannten Kompositionen, seien es
Chansons wie "Mille Regretz" von Josquin oder Teile von Messen, gibt es Übertragungen für Laute
von vielen bekannten wie auch weniger namhaften Komponisten. Dabei wurden die Stimmen nicht
einfach nur so gut es geht übertragen, sondern im Stil der Zeit diminuiert, also verziert, was
für die Virtuosität einiger Werke verantwortlich ist und dafür, dass wir sie heute gerne
missverstehen: die Läufe sollten zwar ordentlich gespielt werden - strukturbildend und damit
wichtig sind sie aber eigentlich nicht!
Die Tabulaturen der Vergangenheit waren natürlich ebenso praxisorientiert wie die heutigen "Tabs" für Stomgitarre, andererseits bin ich davon überzeugt, dass die Lautenisten ihre Intavolierungen in allen Stimmen vom Blatt singen konnten, wenn sie denn musikalisch gebildet waren.
Gesellschaftliche Wichtigkeit von Musik
Eine sehr schöne
Quelle zu
diesem Thema ist "The Schoole of Musicke" (1603) des englischen Lautenkomponisten
Thomas Robinson, das eine Lauten- und Musikschule in Dialogform darstellt: ein
Knight unterhält sich mit dem Musiker Timotheus darüber, dass er nicht
ordentlich singen kann, und dass die modernen Lautenstücke zu schwer für ihn seien (zumal er
seine geringen Fähigkeiten seit seiner Jugend gründlich vergessen hat), und nun möge der
herbestellte Musiker bitte seinen Nachwuchs entsprechend unterweisen, denn für einen Adeligen
der Zeit war das Musizieren nach dem Essen ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens.
Wer keine Stimme vom Blatt singen konnte, war bei den Kollegen unten durch. Die
Gesangslektionen sind denn auch - wie heute in vielen Heften für Gitarre - sowohl in Noten als
auch in Tabulatur aufgeschrieben. Allerdings ist das Ziel, zu lernen, wie man vom Blatt singt,
und nicht nur einen Finger in den dritten Bund der dritten Saite zu setzen und dann zu zupfen
und fertig. Damals wie heute hängt das Gesamtergebnis aber von Musikalität, Fleiß und Ausdauer
ab!