Die "Oberton - Methode"
Die große Terz, den Oberton beim 4. Bund oder gar die kleine Septime kurz vor dem dritten Bund zu nutzen geht nicht, weil diese reinen Intervalle deutlich tiefer als die temperierten sind! Auch bei dieser Methode solltest du die wichtigen Hinweise zum Stimmen beachten!
In welche Richtung man drehen muss, kannst du hier sehen.
Bei der Oberton-Methode versucht man, das Stimmen nach gegriffenen Tönen zu vermeiden, weil
gegriffene Töne immer etwas unzuverlässig sind: man drückt zu stark, verzieht die Saite, oder
die Saite stimmt in sich nicht mehr.
Wie du Obertöne oder Flageolett-Töne erzeugst,
versuche ich hier zu beschreiben. Es
erfordert ein bisschen Geschicklichkeit, aber wenn man sie übt sind sie sehr hilfreich!
Die A-Saite
Stimme die A-Saite wieder nach einer Stimmgabel. Du kannst auf der A-Saite den Oberton über dem 5. Bund spielen, dann hörst du an der "Schwebung" deutlich, dass die Töne noch nicht stimmen.
Die d-Saite
Als nächstes spielst du den Oberton (die rautenförmigen Noten) über dem fünften Bundstab auf der A-Saite und stimmst danach den Oberton über dem 7. Bund der d-Saite.
Berühre die Saite genau über dem 5. Bundstab mit dem Zeigefinger, über dem 7. Bund mit dem
Ringfinger oder kleinen Finger.
Genau treffen, sanft berühren und kräftig anschlagen! Es braucht ein bisschen
Übung, bis beide Töne klar und deutlich klingen, aber das Training lohnt sich: Wenn die Töne
nicht stimmen, hörst du sehr deutlich die "Schwebung". Wenn sich die Töne
einander annähern, wird die Schwebung langsamer. Wenn sie verschwunden ist, stimmt die d-Saite!
Die E-Saite
Nun kommt die tiefe E-Saite an die Reihe. Genau umgekehrt wie bei der d-Saite spiele ich zuerst auf der A-Saite den Oberton des siebten Bundes, dann den des fünften Bundes auf der E-Saite. Ich schlage immer die gestimmte Saite zuerst, und die zu stimmende Saite als zweite an. Mein Gehirn kommt damit besser zurecht.
Die g-Saite
Die g-Saite könnte man auf dieselbe Art nach der d-Saite stimmen, ich versuche aber möglichst viel direkt von der A-Saite aus zu machen, damit sich keine Fehler stapeln.
Also nehme ich den Oberton über dem zwölften Bundstab der A-Saite, und stimme danach das im zweiten Bund gegriffene a der g-Saite. Beim Greifen bitte nichts verziehen. Je nach Laune kannst du mit der Anschlagshand am Wirbel drehen - ich höre mir den gestimmten Ton lieber genau an und drehe dann am Wirbel und vergleiche wieder.
Die e'-Saite
Als nächstes stimme ich die hohe e-Saite. Dazu erzeuge ich den Oberton über dem 7. Bundstab auf der A-Saite, ein e', und stimme danach die leere e'-Saite.
Die h-Saite
Für die h-Saite gebe ich dir vier Stimmwege:
- Nimm den Oberton über dem 7. Bund der E-Saite und stimme danach das leere h.
- Schlage die leere hohe e-Saite an, und stimme danach das e (gegriffen) im 5. Bund der h-Saite, wie bei der "5. Bund-Methode".
- Greife das H auf der A-Saite im 2. Bund und stimme danach das leere h.
- Mache das Gleiche wie bei drittens, und erzeuge einen künstlichen Oktavoberton, indem du mit dem Zeigefinger der Anschlagshand die Saite über dem 14. Bund berührst und mit dem kleinen Finger oder Ringfinger anschlägst. Sehr elegant!
Beim 4. Bund der g-Saite befindet sich als Oberton ein h, das man nach dem Oberton über dem 7. Bund der tiefen E-Saite stimmen könnte. Aber Vorsicht: beim 4. Bund liegt die reine große Terz. Die h-Saite wird also sehr tief werden, dieser Weg ist definitiv falsch!
Vergleichen
Zum Vergleichen solltest du dieselben gegriffenen Töne spielen, wie bei der "5. Bund - Methode".
Außerdem überprüfe ich gerne, ob die hohen Saiten auch in den oberen Lagen zu den Basssaiten passen. Dazu spiele ich den Oberton über dem 7. Bund der A-Saite, das e', und vergleiche damit nicht nur die leere e-Saite, sondern auch das gegriffene e' im 5. Bund der h-Saite (2. Takt) und das gegriffene e' im 9. Bund der g-Saite (Takt 3).
Mit dem Oberton über dem 5. Bund der A-Saite, dem a', vergleiche ich das gegriffene a' im 5. Bund der e-Saite (Takt 1) und das gegriffene a' im 10. Bund der h-Saite (Takt 2).
Stimmen: Feinheiten
Gleichschwebende Stimmung und Obertonreihe
Die Bünde der Gitarre sind
gleichschwebend temperiert gestimmt (wie ein Klavier), Obertöne sind
"reine Intervalle". Diese beiden Stimmungen vertragen sich nicht. In
der Welt der Physik kommt die Obertonreihe mit den reinen Intervallen vor; die gleichschwebend
temperierte Stimmung ist ein von Menschen erfundener Kompromiss.
Da unser Gehör eigentlich
auf reine Intervalle geeicht ist, kommen uns gleichschwebend gestimmte Instrumente manchmal ein
bisschen verstimmt vor, und diese Wahrnehmung ist auch richtig.
Mit reinen Intervallen kann man streng genommen nur in einer Tonart musizieren. Zu Bachs Zeiten wurden neue Stimmungssysteme entwickelt, die gangbare Kompromisse darstellten und ein Werk wie das "Wohltemperierte Klavier" ermöglichten. Aber die 24 Präludien und Fugen in allen Dur- und Molltonarten klingen in einer Stimmung der Barockzeit sehr anders als in moderner Stimmung, da die Diskrepanzen zwischen mitteltöniger und wohltemperierter Stimmung ungleich verteilt sind, wodurch manche Tonarten definitiv strenger als andere klingen.
Auf der Suche nach Kompromissen (und damit sei gesagt, dass man eine Gitarre nicht "perfekt" stimmen kann) für die Gitarrenstimmung solltest du unbedingt einige Akkorde spielen, und dann die Stimmung nachkorrigieren, denn Intervalle in reiner Stimmung sind zum Teil größer oder kleiner als in der temperierten Stimmung. Das klingt nicht nur kompliziert, sondern ist es auch, bestimmt aber trotzdem unser Leben als Musiker.
Bewusstsein für Akkordtöne
Wenn du einen E-Dur-Akkord spielst, hast du auf der hohen e-Saite die Oktave des Akkordes, bei
A-Dur die Quinte, bei C-Dur und D-Dur die Terz des Dreiklanges. Die Oktave sollte schlicht
stimmen, die Quinte wäre gerne etwas hoch und die Terz wäre gerne erheblich tiefer, weil die
reinen Intervalle entsprechend etwas zu hoch oder tief sind.
Wenn E-Dur genau stimmt, klingt das hohe e beim A-Dur Akkord also
ein bisschen tief. Wenn die Quinte von A-Dur genau stimmt, müsste die e-Saite bei C-Dur und
D-Dur bei genauem Hinhören schrecklich hoch klingen.
Probiere doch einmal, die e-Saite nach einer reinen Terz zu stimmen: auf einer normal großen
Gitarre liegt der Oberton etwa 2 - 3 mm vor dem 4. Bund, also näher zum Sattel. Auf der A-Saite
ist diese reine große Terz (plus zwei Oktaven) ein cis''. Dazu passt der
gegriffene 9. Bund auf der e-Saite, ebenfalls das hohe cis''.
Wenn die e-Saite danach gestimmt ist, klingt sie in einem C-Dur-Akkord phantastisch! A-Dur zieht
einem allerdings die Schuhe aus! Die e-Saite ist viel zu tief! Bitte jetzt wieder nach dem
Oberton am 7. Bund der A-Saite stimmen: A-Dur ist sehr gut, aber C-Dur klingt wieder recht
streng... Durch solche Versuche bekommt man ein Gefühl dafür, dass man zwischen den reinen und
den gleichschwebend temperierten Intervallen etwas "vermitteln" muss.
Streng nach dem Quintoberton ist zu streng
Stimmt man also die beiden höchsten Saiten nach den Obertönen über dem siebten Bund der A- und E-Saiten, macht man sie zur reinen Quinte, also etwas hoch. Ich stimme die drei hohen Saiten nach Gefühl minimal tiefer, damit sie als Terzen in Akkorden etwas freundlicher klingen. Stimmgeräte geben natürlich gleichschwebend temperierte Töne an - wenn man ihnen vertraut, bekommt man etwas unfreundliche Terzen.
Dass man auf die Diskrepanz zwischen reinen und wohltemperierten Intervallen bei der Gitarre stärker reagiert als zum Beispiel bei einem Klavier, liegt an der Obertonstruktur des Gitarrentons. Wenn man eine Theorbe mit 150 cm langen Basssaiten spielt, wird das Problem noch verschlimmert, da die langen dünnen Saiten die Obertöne noch stärker hervorbringen.
Verschiebbare Bünde
Auf Lauten oder Gamben, die ja richtige, verschiebbare Bünde haben, kann man den reinen Intervallen näher kommen, allerdings muss man für jede Tonart "neu schieben". Wenn man aber z. B. im ersten Bund sowohl fis und cis auf dem 4. und 5. Saitenchor, als auch b und es auf dem 3. und 2. Chor für ein Stück braucht, sind eigentlich zwei erste Bünde notwendig, sonst klingen die erhöhten oder die erniedrigten Töne wirklich total falsch. Immerhin liegt zwischen dis und es auf der 58cm - Mensur einer durchnittlichen Renaissancelaute ein guter Zentimeter! Und damit ist man dann mit dem Latein am Ende, weil ein "Doppelbund" als erster Bund immense Probleme mit der Saitenlage machen würde. Wer Violine oder ein anderes bundloses Streichinstrument spielt, kann alles richtig machen, er muss es aber können...
Keine Stimmgerät-Routine
Der französische Meistergitarrist und ausgezeichnete Komponist Roland Dyens lässt sich in den ausführlichen Vorworten zu seinem schönen Werk "20 lettres pour guitare solo" mehrfach über das Stimmen aus. Seine Forderung ist nicht nur, das Stimmen des Instrumentes nicht zu vernachlässigen, sondern zum einen nicht unabhängig vom Stück, rein technisch zu stimmen, sondern wichtige Klänge und Intervallkombinationen aus dem zu spielenden Werk zu finden und zum Stimmen zu nutzen, und zum anderen das Stimmen wie ein indischer Sitarspieler, ein Flamencogitarrist oder ein Lautenist vergangener Jahrhunderte wie eine improvisatorische Einleitung zu gestalten. Tatsächlich gibt es von Adrian Le Roy (ca 1520 - 1598) die kleine Fantasie "Petite fantasie dessus l'accord du Leut", die man inzwischen auf youtube hören kann, in der die oben beschriebene "5. - Bund - Methode" ins Stück eingebaut ist. Roland Dyens gibt vor jedem der "20 Briefe" Töne und Akkorde zum Einstimmen an.
Auf der Internetseite der Gitarrengalerie Bremen findet man weitere interessante und detaillierte Artikel zum Thema Intonation, Stimmung und Saiten aufziehen unter "Probleme und Lösungen".