Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Diego Ortiz, 1553

La Gamba

Die Recercada quarta ist als "La Gamba" oder französisch "La gambe" bekannt, wobei man nach diesem Begriff lange suchen muss, da die bekannteren Stücke alle (noch) einen anderen Titel tragen. Ich bin auf den Begriff "La Gamba" in der Doktorarbeit von Giuseppe Fiorentiono und in einem Aufsatz von ihm gestoßen. Da es bekanntlich ein Musikinstrument gleichen Namens gibt, das nach dem Körperteil benannt ist, der auch so heißt, findet man, wenn man nach "Gamba" und "Tanz" oder "Renaissance" sucht viele Beine, Gamben und Videos mit eben diesen. Anhören:

Ortiz, Recercada 4

Die Harmoniefolge scheint immer im Dreiertakt aufzutreten, ist hier dorisch notiert und beginnt mit der V. Stufe. Die 16 Takte sind deutlich in drei Teile gegliedert, wobei der erste Teil acht, die beiden anderen je vier Takte umfassen.
V | V | i | VII | III | VII | i | V |
V i VII | III III VII | VII i i | V |
¹³ V i VII | III VII i | IV V V | i ||

Dominico Bianchini, 1546

Das Stück Nummer 14 "La Cara Cossa" aus Intabolatura de Lauto, Venedig 1546 von Dominico Bianchini ist mit "La Gamba" verwandt; der Ablauf wird allerdings stark verändert:
Die ersten acht Takte basieren auf den gleichen Harmonien. Takt 13 - 16 bringen eine diminuierte Fassung von Takt 5 - 8, danach folgt in Takt 17 - 20 eine Diminuition von Takt 13 - 16 von "La Gamba" und dieses Stückes. Die Takte 9 bis 12 bleiben in "La cara cosa" unberücksichtigt.
Die folgenden Viertaktgruppen enthalten weitere Diminuitionen derselben Taktgruppe, wobei von Takt 24 nach 25 und 28 nach 29 die Harmoniefolge verändert ist. Die beiden Takte bilden jeweils eine Hemiole, in der auf die i. Stufe deren Parallele folgt, und so die V. Stufe umgangen wird, die eigentlich den Beginn der Gruppe markiert. Anhören:

Bianchini, La cara cosa

Adrian Le Roy, 1551

Das Premier Livre de Tabulature de Guiterre, 1551, Adrian Le Roy ist für 4chörige Gitarre geschrieben, ein Instrument, dass über Doppelsaiten verfügt und auf e' e', h h, g g, d d gestimmt ist. Darin gibt es auf Seite 10 die Pavane de la gambe, gefolgt von La pavane precedente plus diminuee, Gaillarde de la gambe und La Gaillarde precedente plus diminuee.
Stücke mit diesem Titel finden sich auch bei Bernadino Balletti, Intabolatura de lauto, 1554 oder als Ensemblestück bei Vincenzo Ruffo, Capricci in musica, 1564.

Le Roy, pavane de la gambe

Die A-Dur-Akkorde haben wie gleich in den ersten Takten häufig die Quinte e als Basston. Der Umfang der Renaissancegitarre geht eben nur bis zum d, das a im zweiten Bund des g-Chores entfaltet erstens nicht wirklich eine starke "Bass-Wirkung", und zweitens gibt es nicht mehr viel Raum für Melodik oberhalb des dritten Chores - es ist halt ein Instrument mit einem kleinen Tonumfang.

Die Takte 1 bis 16 entsprechen den ersten 8 Takten von Ortiz' Recercada, allerdings steht in Takt 13/14 die VI. Stufe statt der i. Stufe in Ortiz' Takt 7.
Takt 17 - 24 entspricht Takt 9 bis 12, und die folgenden 8 Takte bringen eine Diminuition der Zeile; gleiches gilt für die Takte 33 bis 49 und Ortiz' Takt 13 bis 16. Anhören:

Le Roy, La gambe

Das folgende Stück wiederholt die vorhergehende Pavane in stärker diminuierter Fassung. Anhören:

Le Roy, La gambe plus diminuee

Bei der Gaillarde entsprechen die Takte 1 bis 16 Ortiz' Takten 1 bis 8 mit Wiederholung, die Takte 17 bis 24 bringen die zweite Zeile mit Wiederholung, und die letzten acht Takte die dritte Zeile, ebenfalls mit Wiederholung. Darauf folgt das Stück als Ganzes noch einmal in einer diminuierten Fassung. Die ganze Folge von vier Stücken über das gleiche Thema ist ein sehr schönes Beispiel für die quasi improvisierte Verzierungstechnik der Renaissance. Anhören:

Le Roy, Gaillarde de la gambe
Le Roy, Gaillarde plus diminuee

Diego Pisador, 1552

Die Pavana muy llana para tañer von Diego Pisador entstammt seinem Werk Libro de Musica de Vihuela von 1552. Das Stück ist Gitarristen vielleicht aus der Sammlung Hispanae Citharae Ars Viva von Emilio Pujol bekannt. Die Tabulatur ist ein schönes Beispiel dafür, wie schematisch diese Schrift teilweise von den Autoren gehandhabt wurde, und wie schwierig sie - trotz des in diesem Fall sehr klaren Druckes - manchmal zu entschlüsseln ist:

Pisador, Pavana, Tabulatur

In der Tabulatur sind immer zwei Halbe pro "Takt" notiert, dabei steht das Stück erstens im Dreiertakt und hat zweitens eine Halbe Note Auftakt. Beides muss man erraten beziehungsweise beim Spielen herausfinden, aber die Arbeit hat uns E. Pujol ja bereits abgenommen.

Bei Pisador hat das Stück drei Abschnitte, die jeweils ausgeschrieben wiederholt werden. Takt 1 bis 16 entspricht Ortiz' Takt 1 bis 8 mit Wiederholung, dann wird Takt 9 bis 12 wiederholt, und danach die letzten vier Takte von Ortiz' Recercada. Es handelt sich wirklich um eine sehr einfache, nur wenig ausgezierte dreistimmige Version des La Gamba-Themas. Anhören:

Pisador, Pavana, Noten

Adrian Le Roy, 1568

"J’aymeroye mieux dormir" scheint ein Lied über "La Gamba" zu sein. Diese Fassung von Adrian Le Roy stammt wieder aus A briefe and easye instru[c]tion to learne the tablature, 1568.

Auch hier findet sich die Dreiteiligkeit von Pisador wieder, nur sind diesmal Wiederholungszeichen gesetzt. Die harmonische Struktur ist fast mit der von Ortiz identisch, lediglich im dritten Teil ist die Hemiole in Takt 14/15 anders gestaltet.
Während der erste Teil der Diminuition mit Läufen auskommt, gibt es in Teil 2 und 3 rhythmisch interessante Akkordbrechungen. Im neunten Takt des zweiten Teils steht auf Eins übrigens tatsächlich ein Mollakkord, während an der entsprechenden Stelle im ersten Teil ein Durakkord steht. Anhören:

Le Roy, J’aymeroye mieux dormir
Le Roy, plus diminuee