Instrument mit vielen Möglichkeiten
Die Gitarre gehört nicht zu den Instrumenten des klassischen Symphonieorchesters, spielt aber in den Bereichen Folklore, Pop und Jazz eine tragende und stilbildende Rolle. Nicht zuletzt deshalb ist sie außerordentlich beliebt und verbreitet.
In Videos aus den frühen Tagen der populären Musik sieht man Bands mit Sänger, zwei Gitarren,
Bassgitarre und Schlagzeug. Vielleicht ist noch eine Orgel dabei. Im Extremfall sieht man eine
Sängerin wie Joni Mitchell, die sich auf der Gitarre begleitet.
Im Vergleich zur heutigen
Musikszene wirkt das sehr reduziert und handgemacht. Inzwischen ist die Musik von Elektronik und
Computern geprägt, trotzdem finden Menschen dieses Setup nach wie vor faszinierend: ein Mensch
singt und begleitet sich dabei selbst.
Und manchmal interessieren sich Leute sogar für die
Konzertgitarre, ein Instrument, mit dem man sehr viele Dinge tun kann.
Viele Stilrichtungen - viele Identifikationsmöglichkeiten
Wer sich für die Gitarre interessiert, kann dabei sehr unterschiedliche Motivationen haben. Es
gibt so viele Musikrichtungen, in denen die Gitarre eine Rolle spielt! Abgesehen vom klassischen
Repertoire gibt es die Songs, die in den Charts laufen, und feine Abstufungen von Metal, Rap,
Independent, Folk, Jazz... viele Varianten, deren Anhänger teilweise nur "ihre" Musik mögen und
andere deutlich ablehnen.
Aber überall spielt die Gitarre eine Rolle! Und man kann sich alles in Videoportalen
anschauen.
Man benutzt für verschiedene Stile verschiedene Typen des Instruments, und je nach den großen Vorbildern einer bestimmten Richtung hat der Mensch, der das auch lernen möchte bestimmte Vorstellungen von Spielweise und Haltung. Schließlich möchte man sich als cool erleben.
Bei Medieninhalten sieht man Endergebnisse in perfekter Verpackung. Der Gitarrist hat keinen Schnupfen, er übt nicht, er kann. Er sieht supercool aus, die Show gehört zum Spiel dazu, alles ist weit entfernt von der Realität, oder ist die Realität das, was sich zu weit von der Show entfernt hat?
Wege zur Gitarre
Gibt es einen "besten Weg" zur Gitarre? Ist es besser, mit der Konzertgitarre anzufangen, und hinterher auf etwas anderes "umzusteigen", oder kann man gleich mit two-hand-tapping auf einer E-Gitarre anfangen und sich später trotzdem erfolgreich mit Bach beschäftigen?
Für mich - und jeder Mensch ist ja von seiner Meinung überzeugt - ist die Konzertgitarre natürlich der Mittelpunkt des Gitarrenuniversums. Sie hat die längste Tradition, und zu ihr gibt es durchdachte Lern- und Unterrichtskonzepte.
Unterrichtstradition
Ein durchdachtes Vorgehen, das es ermöglicht irgendwann schwierigste Werke bewältigen zu können,
ist etwas Feines. Weder Bach-Suiten noch Metallica-Soli sind einfach und mal eben so zu
erlernen.
Erst mal irgendwie anzufangen, weil man ja immer noch alles umlernen kann - diese
Einstellung lässt außer Acht, dass Lernen im Gehirn stattfindet, nicht in den
Fingern. Wenn dort falsche Bewegungsabläufe solide verankert sind, ist es nicht so einfach, sie
zu "überschreiben", denn das Gehirn ist eben kein Computer, Synapsen sind keine
Desktop-Verknüpfungen!
Deshalb finde ich es gut, mit der Konzertgitarre zu beginnen. Außerdem ist für Anfänger, besonders für Kinder angenehm, dass die drei Nylonsaiten und die drei mit Metall umsponnenen Basssaiten des Instrumentes beim Greifen nicht so in die Fingerkuppen schneiden wie die Stahlsaiten auf Westerngitarre und E - Gitarre.
Wenn man an einen Lehrer gerät, der klassische Gitarre studiert hat, wird man bei ihm hoffentlich die entsprechende Haltung erlernen. Tatsächlich gibt es einen Konsens über eine "beste" Haltung, genau wie bei Violine oder Violoncello, nur bekommt man von den Stars bekannter Bands permanent andere Haltungen vorgeführt. Wie schwierig die gespielten Stücke sind, ist für den Betrachter nicht ersichtlich, also bleiben Fragen offen: braucht man für diesen Musikstil überhaupt eine gut überlegte Haltung? Wie hat der Musiker, den ich beobachte selber spielen gelernt? Weshalb hält dieser Gitarrist die Gitarre so, während andere sie doch etwas anders halten? Spielt der immer so, übt der überhaupt noch jemals?
Bescheidenheit auf dem Weg
Welchen Weg man auch einschlägt - es ist gut, ein wenig bescheiden zu sein, Respekt vor der Aufgabe zu haben. Wer beim Erlernen der ersten fünf Töne merkt, dass man sich anstrengen muss, sollte sich nicht wundern, wenn im Lehrbuch erst mal einfache Lieder mit fünf Tönen vorkommen.
Das Greifen auf der richtigen Saite an der richtigen Stelle, sowie das Anschlagen genau dieser Saite erfordert Konzentration, und man sollte sich darauf einstellen, dass es durch Übung dazu kommt, dass die Bewegungen vom Gehirn aus gesteuert werden, nicht in erster Linie über die Augen.
Deshalb ist es völlig okay, dass man bei der "korrekten" Haltung die Finger der Greifhand nicht gut sehen kann, und sie gar nicht sieht, wenn man aus Noten spielt: im Gehirn wird beim Lernen eine Art "Landkarte" des Griffbrettes erstellt, auf der sich die Finger weitgehend ohne die Augen orientieren können. Das scheint zunächst geheimnisvoll, aber es funktioniert! Alle Instrumente erfordern eine Entwicklung des Tastsinnes, und gerade bei der Gitarre, bei der die Finger direkt die Töne erzeugen, ohne Tasten und Klappen dazwischen, ist das doch der Spaß!
Erfolgsmodell Gitarre
Nicht erst seit den Beatles ist die Gitarre beliebt, obwohl man an ihr auch Nachteile entdecken
kann: sie ist eher leise, nicht leicht zu stimmen und kommt massenhaft vor - als Massenware oft
in schrecklicher Qualität. Dafür ist sie leicht zu transportieren und man stört Nachbarn beim
Üben weniger als mit einer Trompete. Im Zusammenspiel müssen sich andere Instrumentalisten ein
wenig zurückhalten.
Kann man erklären, weshalb das "Modell Gitarre" seit der frühen
Renaissance ein Erfolgsmodell ist?
Melodie- und Akkordinstrument
Die Gitarre ist eine merkwürdige Kiste! Erstens kann man auf ihr einstimmig spielen, sie ist also ein Melodieinstrument wie Bläser und Streicher. Die Soli der E-Gitarristen der sechziger und siebziger Jahre haben bewiesen, dass man tatsächlich auf ihr Melodien von epischer Länge spielen kann. Aber mit der Gitarre kann man mehr machen!
Wie auf Tasteninstrumenten kann man Melodie und Gegenstimmen auf der Gitarre spielen, das heißt man kann alleine ein komplettes Musikstück darstellen. Außerdem ist die Gitarre ein tolles Begleitinstrument. Durch den direkten Kontakt der Finger mit den Saiten, der Möglichkeit, viele Klangfarben zu erzeugen, hat die Gitarre einen Charme, dem viele Menschen erliegen.
Solostücke und Bearbeitungen
Da man mit einer Gitarre alleine komplett klingende Stücke spielen kann, gibt es ein umfangreiches Repertoire an Solostücken aus vielen Epochen. Doch es existiert auch eine Menge Kammermusik für zwei oder mehr Gitarren, sowie Musik für Streicher oder Bläser, sogar für Tasteninstrumente mit einer ausgeschriebenen Gitarrenstimme und natürlich Konzerte für Gitarre und Orchester. Darüber hinaus gibt es viele Bearbeitungen.
Nicht erst heute spielen Musiker und Instrumentalschüler gerne Bearbeitungen von "Hits": in der Renaissance wurden Bearbeitungen bekannter Stücke gerne für die Laute gesetzt. Egal ob geistliche Musik (wie im verlinkten Beispiel ein Satz des Agnus Dei) oder weltliche Chorwerke für 5 Stimmen: Die Musiker der Renaissance hatten daran genauso viel Spaß wie die Musikschüler heute an Stücken von Greenday.
Laute und Gitarre eignen sich mit ihrem Tonumfang sehr gut für solche Bearbeitungen, und man kann sie alleine spielen und muss sich nicht drei weitere Blockflötisten oder ein Streichquartett zusammen suchen.
Struktur der Gitarrenstimmung
Die sechs Saiten der Gitarre sind in Quarten gestimmt, mit einer großen Terz dazwischen. Wenn
man die Saiten von der tiefsten zur höchsten durchgeht, bekommt man die Töne
E, A, d, g, h, e' - die erste und sechste Saite sind beide auf
e gestimmt.
Läge zwischen g- und h-Saite auch eine Quarte, wären
die beiden höchsten Saiten auf c und f gestimmt,
was das Spielen von Akkorden sehr viel komplizierter machen würde.
Diese Struktur der Stimmung war schon bei Lauten und Gamben ähnlich, man kann so sehr gut
Harmonien oder Akkorde spielen, was diese Instrumente seit
Jahrhunderten zu den beliebtesten Begleitinstrumenten macht.
Streichinstrumente wie die Violine haben auch mehrere Saiten - warum haben sie sich vor
allem als Melodieinstrumente durchgesetzt?
Akkorde auf der Gitarre
Ohne hier jetzt alles erklären zu wollen: diese Stimmung kommt der Struktur von Akkorden unseres dur-molltonalen Systems mit Grundton, Terz und Quinte sehr entgegen. Auch wenn man Dreiklänge umkehrt, und dadurch Quarten im Akkordaufbau entstehen, passt es! (Mehr unter Notation und Griffbrett.)
- Wenn ich auf der A-Saite im 2. Bund greife, habe ich die Quinte zur E-Saite.
- Wenn ich auf der d-Saite im 2. Bund greife, habe ich die Quinte zur A-Saite und die Oktave zur E-Saite.
- Auf der g-Saite findet sich im 2. Bund die Oktave zur A-Saite bzw. die Quinte zur d-Saite;
- im nullten / ersten Bund der g-Saite sind die Terzen (Dezimen) zur E-Saite,
- Terzen (Dezimen) zur A-Saite sind auf der h-Saite im 1. und 2. Bund und so weiter und so fort, kurz:
Es finden sich überall benötigte Akkordtöne in Reichweite!
Die Verbindungslinien zwischen Noten und Griffbrett sind sehr verschlungen. Das liegt daran, dass in den Noten die hohen Töne oben stehen, auf der Gitarre aber räumlich "unten" liegen. Aber die Töne einer A-Dur-Kadenz lassen sich alle bequem erreichen, ähnlich wie auf dem Klavier (siehe Bild unten). Auf einem Tasteninstrument lassen sich natürlich mehr Töne, mehr Dissonanzen, mehr interessante Dinge wesentlich bequemer herstellen.
Akkorde auf der Violine
Das ist bei Streichinstrumenten ein bisschen anders: Weil Violine & Co. in Quinten gestimmt
sind, kann man schlecht Akkorde in enger Lage spielen. Das bedeutet:
Wenn man auf der tiefsten Saite den Grundton eines Akkordes spielt, käme auf der
zweittiefsten die Quinte zu liegen (die Terz wird übersprungen), auf der zweithöchsten wäre dann
die Terz (die Oktave wird übersprungen) und auf der höchsten Saite erklänge die Doppeloktave
(die Quinte wird ausgelassen). Das ist ein Akkord in weiter Lage. Akkorde in enger Lage sind
immer mit Überstreckungen verbunden.
An sich ist das nichts Schlimmes (auf Tasten oder Zupfinstrument spielt man aber eher enge Lage), aber vier- oder dreistimmige Akkorde auf der Violine sind sehr viel schwieriger zu realisieren als auf Gitarren, und ein Violoncello ist schlicht so groß, dass die benötigten Töne nicht gut zu erreichen sind.
Töne auf Nachbarsaiten auf "gleicher Höhe" zu greifen ist extrem problematisch, weil sich zwei Finger kaum an die gleiche Stelle auf dem Griffbrett auf benachbarte Saiten quetschen lassen. Wenn man dann noch einen dritten und vierten Ton weiter weg erreichen will, muss man schon ein großer Könner sein, und einen Finger quer über zwei Saiten zu legen wie bei der Barrétechnik auf Zupfinstrumenten klingt kaum sauber. Streichinstrumente haben keine Bünde!
Außerdem ist da noch die
Sache mit der Tonhöhe: in den kleinen Bildchen (weiter oben rechts)
"Saiten der Gitarre" und "Saiten der Violine" ist unter dem Notenschlüssel ein
rotes Kästchen, das bei der Gitarre eine "8" enthält, bei der Violine
aber nichts. Das bedeutet: die Töne der Gitarre sind allesamt eine Oktave tiefer als sie
aussehen. Damit befindet sich die Gitarre in einer Tonhöhe, die sie als Begleitinstrument für
die meisten Situationen sehr geeignet macht, während die Geige ziemlich hoch ist. Wer möchte als
Soloinstrument oder Sänger schon eine Begleitung haben, die ständig über der Melodie liegt?
Das Cello ist ähnlich tief wie die Gitarre, aber zu groß, man erreicht die Akkordtöne
nicht, und die Viola oder Bratsche hat sich als Begleitinstrument nicht etablieren können.
Begleitung und Technik
Bestimmte Instrumente sind ein evolutionärer Erfolg als Soloinstrument (die Violine, obwohl sie nicht so gut "Akkorde kann", ist von Komponisten mit Unmengen toller Musik aller Genres bedacht worden), auf anderen kommt man gut ohne Begleiter zurecht, wie auf Tasteninstrumenten und eben auch der Gitarre, aber die zum Begleiten besonders geeigneten Geräte sind auch eine eigene Gruppe.
Dazu zählen natürlich die Tasteninstrumente Cembalo (Clavichord nicht - zu leise), Klavier, Orgel (die kleinen für Kammermusik, Kirchenorgel mit vollem Register für den Gemeindegesang) und in bestimmten Stilen das Akkordeon. Nicht vergessen sollte man auch die Harfe und das Hackbrett, obwohl letzteres nicht wirklich oft als Instrument in einer Continuo-Gruppe eingesetzt wird.
Zwei Hände für Bass und Akkorde
All diesen Instrumenten ist gemeinsam: man kann auf ihnen Basslinie und Akkorde quasi getrennt wiedergeben. Auf allen kann man "Umtata"-Begleitungen wie im Bild rechts spielen.
Während man auf Tasteninstrumenten die Basstöne mit der linken, und die Akkorde mit der rechten Hand spielt, schlägt man als Gitarrist die tiefen Töne mit dem Daumen, die hohen mit den Fingern der Anschlagshand an. Das Greifen obliegt ja der anderen Hand.
Darin liegt auch die strukturelle Überlegenheit der Tastenspieler begründet: während der Lautenist nur einen Daumen zum Spielen der Basslinie hat, und bei schnellen Notenwerten an seine Grenzen stößt, hat der Cembalist eine ganze Hand für den Bass, und kann bei gutem Fingersatz fast alles spielen.
Bei einer Basslinie wie dieser (G.F. Händel, Sonates pour un Traversiere un Violon ou Hautbois con Basso Continuo, 4. Sonate, 2. Satz) kann man als Lautenist kaum alle Noten spielen, wenn man auch noch eine akkordische Begleitung improvisieren möchte. Man braucht ein Violoncello, eine Gambe oder ein Fagott dabei, und spielt nur die Schwerpunktnoten des figurierten Basses.
Bauweise
Einen riesigen Vorteil haben Laute, Gitarre & Co gegenüber den Tasteninstrumenten aber: sie
sind
kleiner, besser zu transportieren, weniger aufwändig und billiger herzustellen.
Es ist viel einfacher, für eine Barockoper zwei Lauten, zwei Barockgitarren und zwei Chitarronen
herbeizuschaffen und zu verwalten, als sechs Cembali.
Beides schafft Arbeitsplätze für
sechs Instrumentalisten, aber allein die Cembali (oder von mir aus Flügel) bei Stimmung zu
halten ist doch etwas mehr Theater.
Außerdem kann man sich viele Zupfinstrumente mittels Gurten umhängen und damit durch die Gegend hüpfen und merkwürdige Verrenkungen machen, was - schließlich sieht es cool aus, wenn man es ordentlich macht - immer noch zum Erfolg der Gitarre beiträgt... In so mancher Band wird weniger innovatives musikalisches Material durch Show überspielt.
Tonerzeugung
Die Art der Tonerzeugung mag für die Attraktivität als Begleitinstrument auch eine Rolle spielen: Alle "klassischen Begleitinstrumente" (Orgeln und Akkordeon weniger, obwohl Akkordeon und Bandoneon sehr bissig gespielt werden können) haben einen eher perkussiven Charakter. Der Ton beginnt mit einem Anschlag oder indem er gezupft wird und verklingt dann. Er hat also einen präzisen Beginn, dann wird er entweder abgedämpft oder man lässt ihn ausklingen. Das sorgt für Unterstützung des rhythmischen Geschehens und ist ein guter Kontrast zu Sängern, Streichern und Bläsern, die allesamt Töne auch quasi aus dem Nichts lauter werden lassen können.
Auf Gitarren und Lauten kann man mit der Anschlagshand viel mehr Varianten bringen als nur das
Argeggio, das Anschlagen der Töne nacheinander: man schlägt leise, laut, knackig, rasselnd, die
Finger nacheinander "herausschiessend" wie ein Flamencogitarrist, mit weicher oder harter
Klangfarbe, mit den Nägeln, der Daumenkuppe oder mit einem Plektrum, kurz auf alle möglichen
Arten an.
Auch diese Vielfalt der Klangerzeugung lädt ein zum Experimentieren, zum Finden
eines persönlichen Stils und macht damit die Gitarre besonders liebenswert!