Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Vorspielen

Ein Thema, das sofort unterschiedlichste Gefühle auslöst! Muss man denn vorspielen wollen?

Na ja, der Begriff umfasst ja auch unterschiedlichste Situationen! Das immer wieder beschworene "am Lagerfeuer sitzen, singen, und jemand spielt dabei Gitarre" kann ja so oder so ähnlich durchaus mal stattfinden, aber häufiger sind doch andere Arten von "Vorspielen":

  • In der Musikschule gibt es Vorspiele, an denen man teilnehmen soll,
  • ein Lehrer in der Schule fordert alle, die ein Instrument spielen auf, dieses mal mitzubringen,
  • solche Darbietungen gehen zuweilen in die Musiknote ein, wobei sich die Frage nach der Gerechtigkeit anschließt,
  • auf einer Klassen- oder Chorfahrt soll man plötzlich spielen
  • oder man hockt mit jemandem zusammen, der auch ein Instrument lernt und probiert zusammen etwas aus...

auch dann wird man ja beobachtet... Jedenfalls muss man schon überzeugter Einsiedler sein, um immer "nein" zu sagen, wenn man gefragt wird.

Vorteile ja, aber...

Vorspiele haben viele Vorteile! Und sie sorgen für Aufregung!
Das "Musikschulkonzert", eine Veranstaltung, bei der das Publikum fortgeschrittene oder jedenfalls gekonnte Beiträge erwartet, erzeugt einen anderen Druck, als das "Klassenvorspiel", bei dem die Schüler eines Lehrers etwas vortragen, die alle das gleiche Instrument spielen. Da kennt man sich großenteils, und die Eltern der anderen sehen doch auch nett aus. Oder ist man vielleicht besonders nervös, wenn da lauter "Kollegen" sitzen, die alle Schwierigkeiten der Stücke kennen und ganz gut beurteilen können, ob man's drauf hat?

Besonders viel Mut erfordern die Musikveranstaltungen in der Schule, wo wirklich viele Leute im Publikum sitzen, die man am nächsten Tag wieder trifft, und die ganzen Eltern und erst die Lehrer und dieses Mädchen aus dem Chor, in das man verknallt ist... Ach und ach!

Nein, man will sich lieber doch drücken, oder? Aber die anderen stehen das doch auch durch. Fällt denen das denn leichter?

Übeziel und Entwicklung

Als Musikschullehrer hat man da natürlich einen anderen Blickwinkel. Ganz abgesehen davon, dass wir auch aufgeregt sind, wenn wir selbst auf der Bühne stehen, finden wir Vorspiele unserer Schüler toll!

Erstens mal sind Vorspiele für mich ein probates Mittel, den Schülern ein konkretes Ziel zum Üben zu geben. Wenn man ein Stück soweit beherrscht, fängt man etwas neues an, aber einen Arbeitsstand mal klar zu dokumentieren, ist doch ein deutlicheres Ziel!

Ich sehe, dass meine Schüler wachsen: in ihrem Können, und vor allem als Persönlichkeit. Als Schüler (die weitaus meisten meiner Schüler üben den Beruf des Schülers aus, heutzutage ein veritabler Fulltime - Job dank Nachmittagsunterricht, Turbo-Abi, Schulweg und Hausaufgaben) ist man doch ständig in der Situation, etwas "vor Publikum" vor zu machen, ob man nun die Hausaufgabe vortragen darf, etwas an der Tafel demonstrieren oder ein Referat halten muss.

Dafür sind Vorspiele ein gutes Training! Wenn man sich dann auch noch traut, sich selbst anzusagen, kann man noch mehr Erfahrung sammeln. Finden die Vorspiele häufig genug statt, hat man die Chance, sich an die Sache zu gewöhnen, damit umgehen zu lernen, sich abzuhärten.

Zuhören

Beim Vorspiel hört man jede Menge Gitarrenmusik, sieht, was die anderen so spielen, wie sie damit zurecht kommen, kann man Ziele ins Auge fassen. "Das Niveau möchte ich auch erreichen!", "Die Gitarre klingt ja echt gut!" oder "In der Gruppe spielen die aber gut zusammen." wären mögliche Beobachtungen.

Für die Eltern sind Vorspiele meiner Ansicht nach auch ein Termin, der sich lohnt: man sieht, wie das eigene Kind sich entwickelt, kann Aufnahmen für das Familienarchiv machen, die anderen Kinder und Eltern kennen lernen und eben auch die Perspektiven beobachten.

Aufregung / Lampenfieber

Alles wäre gut (bei Auftritten), wenn das "Lampenfieber" nicht wäre... Man weiß schon: ich habe alles gut geübt, bin auch den Ratschlägen des Lehrers gefolgt und habe die schwierigen Stellen langsam und häufiger gespielt, aber wenn ich vor Publikum sitze, klappt es sowieso nicht so gut!

Was kann man da machen? Kann man da was machen? Geht es allen ähnlich wie mir?

Geht es allen ähnlich?

Fangen wir mal mit der letzten Frage an: Natürlich geht es nicht allen gleich in Sachen Nervosität. Menschen sind ja verschieden. Wer mit einem riesigen Selbstbewusstsein durchs Leben geht, denkt "Mir kann keiner was!" oder "Ist doch alles nicht so wichtig", der nimmt solche Situationen möglicherweise nicht so schwer.

Von den vielen Menschen, die über ein gutes seelisches Gleichgewicht verfügen, drängen sich trotzdem nicht unbedingt die meisten gerne in den Vordergrund. Frag mal herum: Auf einer Schulversammlung oder Anwohnerversammlung fällt dir ein tolles Argument für eine Sache ein - meldest du dich sofort und super gerne und lieferst einen Wortbeitrag vor hundert Leuten ab? Wie viele Leute (auch Erwachsene) machen das denn schon wirklich?!

Altersabhängig scheint die Sache auch zu sein, oder jedenfalls die Art der Reaktion. Teenager fühlen sich wohl besonders beoabachtet und bewertet. Unter den Jugendlichen gibt es immer die sichtbarste Nervosität. Während allen im Publikum Dinge wie "ja, das spielt er doch schön, ist doch auch ein netter Typ, wie er das präsentiert..." durch den Kopf gehen, denkt der Spieler selbst viel zu sehr darüber nach, wie die ihn alle finden.

Zu Veranstaltungen oder Spielchen, bei denen Reih um jeder etwas vormacht, gehört auch eine gewisse Kultur des "sich selbst nicht zu ernst nehmens" oder "über sich selbst lachen könnens". Solange es nicht um Karrieren und Millionenverträge geht...

Es ist zwar durchaus bekannt, dass es viele Popstars mit Drogenproblemen gibt, aber dass es auch im klassischen Musikbetrieb Künstler gibt, die massive Bühnenangst haben, und dass es darunter auch prominente Beispiele gibt für Solisten, die ohne größere Mengen Alkohol nicht auftreten können ist nicht so im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Wir sind aber alle nur Menschen.

Kann man etwas gegen die Aufregung tun?

Man kann natürlich versuchen, die Sache in den Griff zu bekommen, aber es gibt keine Garantie auf Erfolg, was auch immer man probiert.

Man kann sich beim Psychologen gegen seine Angst vor Fahrstühlen behandeln lassen, oder Hypnosesitzungen machen, um das Rauchen aufzugeben, aber bekommt man da eine Erfolgsgarantie? Betrachte die folgenden Abschnitte deshalb als Anregungen, die durchaus helfen können, vor allem alle gleichzeitig, aber wenn es dich dann doch mal wieder erwischt - c'est la vie!

Denkansätze

1. Es ist nur eine Rolle.

Wenn man etwas auf einer Bühne macht, schlüpft man in eine Rolle. Ein Instrumentalstück vortragen und anhören bedeutet, für eine Zeit aus der "normalen Zeit" auszusteigen. Es ist sinnfrei, aber zutiefst menschlich! Es ist Theater! Das bist nicht wirklich du selbst, und du selbst als Person solltest dich nicht bewertet fühlen! Weil du dich beim Spielen eines Gitarrenstücks verspielst, findet dich niemand blöd (Es sei denn, er hätte selbst diese Eigenschaft)!

2. Es ist wirklich nicht wichtig!

Keine Ahnung, ob nachdenken in diese Richtung dir hilft, aber: es ist echt nicht wichtig! Es gibt tausend Dinge, die wichtiger sind auf diesem Planeten, als ein Klassenvorspiel in einer norddeutschen Kleinstadt. Selbst ein Auftritt am Broadway ist für die Welt nicht entscheidend. Es ist für deine Persönlichkeitsentwicklung ein Punkt, eine Momentaufnahme, die du zur Kenntnis nehmen kannst, und dann geht das Leben weiter und du entwickelst dich weiter, und dieser kleine Mosaikstein hat seinen Beitrag geleistet, aber mehr ist es nicht. Beobachten und abhaken!

3. Ruhig werden durch atmen

Jetzt ist es soweit: Das Gequassel ist vorbei, der Lehrer hat seine Anfangsmoderation gemacht (der ist heute aber auch irgendwie fahrig...), du weißt, dass du etwa als achter "dran" bist, und jetzt merkst du, dass du unruhig wirst.
Erstmal würde ich das akzeptieren, alles andere bringt nichts!

Keine Körperfunktion verdeutlicht so unmittelbar Entspanntheit oder das Gegenteil wie die Atmung. Also kann man über die Atmung auch ein bisschen ausrichten!
Jemand kommt von hinten und erschrickt dich: du schreist, deine Schultern gehen hoch, und die Atmung sitzt "ganz oben". Oder du stehst unter der angenehm warmen Dusche, und plötzlich wird das Wasser eiskalt: dieselbe Reaktion. Wenn die Atmung im oberen Brustbereich bleibt, ist man irgendwie angespannt, oder der Körper läuft gerade auf Sparflamme (gleich wirst du gähnen). Kätzchen, Babies und Meditierende atmen in den Bauch.

Gerade sitzen

Probiere mal diese zwei Dinge aus:
Setze dich aufrecht hin. Lotussitz für Menschen, die's können, ober sowas wie die Ausgangshaltung zum Gitarrespielen - vorne auf dem Stuhl, Beine bequem auseinander, Wirbelsäule gerade, mit der Vorstellung, oben auf dem Scheitel ist ein Marionettenfaden, der dich senkrecht hält, und die Unterarme auf die Oberschenkel ablegen.

Vokale als Vorstellung

Jetzt stelle dir beim Ein- und Ausatmen Vokale vor. Mache mehrere Atemzüge auf "i". Dann stelle dir den Vokal "a" vor, dann "e", "o" und "u". Wenn du mit geschlossenen Augen ruhig beobachtest, wirst du vielleicht merken, dass sich dein "Atemraum" verändert: Während das "i" ganz oben, fast über dem Kopf, und das "e" etwas tiefer "liegt", spricht das "a" den Brustraum, das "o" mehr den Bauch an, und wenn du dir "u" als Vokal vorstellst, geht deine Atmung vermutlich in den Beckenraum, das heißt, du atmest richtig in den Bauch. Das beruhigt.

Mudras

Achte auf deine Atmung, und bringe an beiden Händen Daumen und Zeigefinger zusammen, und dann Daumen und kleinen Finger und Ringfinger. Bei dieser "Handgeste" (dafür gibt es das Sanskritwort "Mudra") wird die Atmung auch in den Bauchraum dirigiert.
Vielleicht probierst du so etwas mal aus, wenn bei der nächsten Matheklausur das Austeilen der Aufgaben beginnt, und bei allen der Puls auf 180 geht.

Ich weiß nicht, ob du solche Ideen total albern findest - vielleicht hast du noch nie den Begriff "Bauchatmung" gehört. Natürlich atmet man physiologisch gesehen nicht in den Bauch, aber die Lunge wird im Gegensatz zur flachen Brustatmung nach unten erweitert und gefüllt, was sehr gesund ist, und dabei kann man von außen sehen, dass die Organe im Bauch etwas nach vorne gedrückt werden - nichts für körperfeindliche Menschen. Für mich als Blockflötenlehrer ist das natürlich absolut selbstverständlich, ich habe aber auch als Jugendlicher einige Bücher über Yoga verschlungen, fand diese Gedankenwelt enorm interessant und war deshalb gar nicht überrascht, als im Studium der Dozent für Gitarre viel über solche Dinge nachdachte (auch im Zusammenhang mit Lampenfieber). Dass die Blockflötenprofessorin mit den Studenten über richtige Atmung geredet hat, ist ja völlig klar.

Über Atmung reden oder lesen

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber - ich kann nicht etwas über den Atem lesen, ohne dass meine Atmung beeinflusst wird.
Und noch eine Beobachtung: fast alle Anweisungen zu Atemübungen beginnen mit etwas Ähnlichem wie "atme tief ein...". O je, wenn man sich erstmal voll Luft pumpt, ist man ja kurz vorm Platzen und damit angespannt! Ich würde immer mit dem Ausatmen beginnen. Dadurch wird ein Raum frei, und dahin kann dann die Luft strömen.
Und die Pause vor dem Einströmen lassen der Luft sollte man auch bewusst erleben.

Probiere es aus! Hole deine Atmung in den Bauchraum und werde dadurch ruhiger! Du kannst das komisch finden, aber wenn es funktioniert...
Wenn du dann tatsächlich spielst, und die Aufregung holt dich ein... beobachte, akzeptiere - nächstes Mal wird es besser! Oder auch (noch) nicht... das Leben ist eine ständige Entwicklung!

Schließlich: wenn du das Gefühl hast, es geht gar nicht, es macht dich fertig, es ist einfach nicht auszuhalten, dann bist du beim Vorspiel eben krank. Dass du dich gut fühlst, ist am wichtigsten! Sei deinem bösen Lehrer vielleicht nicht böse, wenn er drüber reden möchte, aber jeder hat immer das Recht "nein" zu sagen, und das sollte jeder andere akzeptieren.