Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Liedharmonisierung - wahrscheinliche Akkorde

Musik ist eine kreative Kunst, in der es immer neue Wege gibt, sich auszudrücken. Trotzdem ähneln sich gerade einfache Lieder harmonisch, und deshalb möchte ich hier versuchen, "wahrscheinliche Akkorde" für die Begleitung aufzulisten. Falls jemandem Begriffe wie Tonika oder Zwischendominante zu häufig vorkommen, bietet sich an, diese zu überlesen, oder vielleicht über den "Fahrplan" dies und das zu rekapitulieren.

Im Abschnitt über entfernte Verwandte und tonales Zentrum findet man Anregungen und Beispiele für alternative Harmonisierungen, um "besser klingende" Akkordverbindungen zu finden beziehungsweise allzu konventionell klingende Harmonien zu vermeiden.

Mit dem Rahmen um die "wichtigsten Akkorde" in C-Dur im Quintenzirkel habe ich schon einmal die Verwandtschaft einzugrenzen versucht. Wenn man ein Lied in einer anderen Tonart bearbeitet, muss man diesen gedachten Rahmen entsprechend verschieben.

Je einfacher das Stück harmonisch strukturiert ist, desto weniger Akkorde sind wahrscheinlich nötig. Übergehen werde ich Septakkorde und dergleichen, die natürlich wichtig sind und ihren eigenen Klang haben, aber die "Denktiefe" zur Harmonielehre arg vergrößern.
Hier findet sich ein praktisches Beispiel, wie man eine Liedbegleitung erarbeiten kann.

Gitarrengriffe als Beispiele

Zu den Akkorden habe ich als Beispiele Gitarrengriffe als Griffbild und Noten eingefügt. Natürlich kann man auch auf einem Tasteninstrument die Akkorde spielen, indem man links Basstöne und rechts drei- oder vierstimmige Akkorde greift. Begleitung nach Gehör ist nicht nur etwas für Gitarristen am immer wieder beschworenen Lagerfeuer!

1. Zwei Akkorde:

C und G

C und G.
Lieder, die mit zwei Akkorden auskommen brauchen fast immer den der ersten und der fünften Stufe, Tonika und Dominante.

"Kuckuck" oder "Der Cowboy Jim aus Texas" kann man mit diesen beiden Akkorden nach Gehör begleiten. Man beginnt mit der Tonika C und wechselt zum G-Dur-Akkord, wenn C nicht mehr gut klingt. Aller Wahrscheinlichkeit wird ein solches Lied also mit C-Dur beginnen und dann zu G-Dur wechseln, und der vorletzte Akkord wird G und der letzte C-Dur sein.

2. Drei Akkorde:

C, F und G

C, F und G.
Die Stufen I, IV und V: Tonika, Subdominante und die Dominante, die drei Akkorde der "normalen" Kadenz.

Wenn man "Alle meine Entchen" singt, gerät man bei "schwimmen auf dem" ohne Subdominante ins Schwimmen. Bei "Schlaf, Kindchen schlaf" könnte man wohl bei den Stellen, an denen das f in der Melodie auftaucht, auch den Dominantseptakkord G7 nehmen, der ja das f enthält, also mit zwei Akkorden zufrieden sein. Hier zeigt sich schon sehr früh: Alles Geschmackssache!

Mit dem Begriff "Denktiefe" meine ich genau dies: nehme ich für den Melodieton f den F-Dur-Akkord als Lösung, habe ich eine Möglichkeit. Beziehe ich den Dominantseptakkord ein, verdoppelt sich die Anzahl der Möglichkeiten, wenn ich die Subdominantparallele auch noch probiere erhöht sich die Zahl auf drei. Gehe ich das Lied wie ein Jazzmusiker an und versuche, möglichst viele einfache Akkorde durch Klänge mit größerer Farbigkeit zu ersetzen, bekommt ein einfaches Schlaflied die Kreativität weckende Qualitäten!

3. Vier Akkorde:

C, F, G und D

C, F, G und D-Dur.
Die Stufen I, IV und V und die II als Durakkord. D ist in C-Dur Dominante der Dominante, also die Doppeldominante.

Bei der Frage, welcher Akkord wahrscheinlich nächstes dazu kommt kann man sich trefflich streiten! Mein Vorschlag: nehmen wir die Doppeldominante hinzu. Lieder wie "Au clair de la lune", "We shall overcome" oder "Oh du fröhliche" weichen in die Tonart der Dominante aus und nehmen dafür den Weg über die Doppeldominante.

4. Sieben Akkorde:

C, F, G und Am, Dm, Em und D-Dur.
Die Stufen I, II, III, IV, V, VI, und die II als Durakkord, also die Hauptharmonien T, S, D und ihre Mollparallelen sowie aus der vorigen Einteilung die Doppeldominante.

sieben Akkorde

Hier zeigt sich endgültig: man kann dieses Thema nicht systematisch abhandeln! Natürlich kann in einem Lied die Tonikaparallele oder die Sp vorkommen, aber die Dp, die man als nichtmusikalischer Demokrat doch klar auf derselben Ebene wie Tp und Sp sehen würde, kommt seltener vor!
Die populäre Akkordfolge C, Am, F, G, auf der z.B. "If I had a hammer" basiert, gilt auch für viele andere Songs.
"Where have all the flowers gone" ("Sag mir, wo die Blumen sind") begleitet man mit C, G, Am, F und Dm - E-Moll kommt nicht vor. "Auprès de ma blonde" benutzt C, G, F, und A-Dur als Zwischendominante zur Sp D-Moll.
"We shall overcome" spiele ich mit C, F, G, Am, und D, der Doppeldominante.
Bei dem Popsong "Puff, the magic dragon" setze ich C, Em (doch, hier ist er!), F, D (wieder die Doppeldominante) und natürlich G-Dur ein.

Musik ist zielgerichtet! Eine (Zwischen-) Dominante, die zu etwas hinführt, hat mehr Strebigkeit, mehr Logik an sich, als eine Parallele, die einfach einen anderen Akkord ersetzt. Deshalb tauchen die Parallelen als Durvarianten relativ bald auf, wenn man das Reich der 3-Akkord-Lieder verlässt: sie ersetzen nicht einfach, sondern sie bringen Richtung ins Spiel. Das Ersetzen ist ein anderes Prinzip, das man (z.B. im Jazz) nutzt, um eine Harmonisierung zu verschönern, aber im Sinne einer korrekten Akkordfolge braucht man die dabei benutzten Akkorde oft nicht. Siehe nochmals oben meine Versionen von "Schlaf, Kindchen schlaf" - die Mollakorde der zweiten Fassung sind hübsch, aber nicht nötig.

5. Neun Akkorde:

C, F, G, Am, A, Dm, D, Em und E-Dur.
Die Stufen I, IV und V, weiterhin II, III und VI als Dur- und Mollakkord.

neun Akkorde

Hier nenne ich keine Beispiele mehr. Die zweite, dritte und sechste Tonleiterstufe als Durakkord sind als Zwischendominanten zu sehen, wie unter 4. bereits angesprochen. Diese Ebene findet sich oben unter "tonales Zentrum" schon einmal grafisch dargestellt. Diese Art Aufstellung könnte man sich (selber) für den Fall einer konkreten Tonart noch leicht übertragen. Das sähe dann etwa so aus:

Funktion in: T S D Tp TP Sp DD Dp DP
C-Dur C F G Am A Dm D Em E
G-Dur G C D Em E Am A Hm H
D-Dur D G A Hm H Em E Fism Fis

Eine Tabelle für alle Tonarten gibt es hier aber nicht. Wer ernsthaft über den Punkt hinaus will, die Akkorde oder TABs eines Songs zu googeln und damit zufrieden zu sein (das Ergebnis kann richtig, eine Hilfe oder fehlerhaft sein), sollte motiviert sein, die Kadenzakkorde, deren Parallelen und deren Durvarianten zu ermitteln und dann weiter zu arbeiten. Kopfrechnen statt immer gleich nachschauen!

6. Dreizehn Akkorde:

C, F, G, Am, A, Dm, D, Em, E und Fm, Cm, Gm und B.
Zu den bisher genannten könnte man als "Verwandschaft" noch die doppelte Subdominante B-Dur und die Mollsubdominante F-Moll anführen, und dann kommen wir ins Reich der Varianten wie C-Moll und G-Moll, die natürlich auch mal ein Lied bereichern können. In den Grafiken bedeuten "buntere" Farben späteres Auftauchen in meiner Aufstellung.

13 Akkorde

Obige Tabelle in Klaviernotation:

13 Akkorde in Klaviernotation

7. Viele Akkorde:

Fügen wir die Medianten E-Dur, Es-Dur, A-Dur, As-Dur hinzu, die zum Teil schon als Zwischendominanten vorgestellt wurden. Auf alle Fälle haben wir uns jetzt so weit vom "tonalen Zentrum" entfernt, dass der wirkliche Bezug nur noch vage scheint. Man kann ihn noch "herbeianalysieren", aber es ist möglich, dass man sich vom tonalen Ausgangspunkt verabschiedet hat, also eine Modulation stattgefunden hat, oder dass der Song seinen Charme daraus zieht, dass er Akkorde gegeneinander setzt, die eben nicht verwandt sind.

Generell sollte man auch immer eine Modulation in die Mollparallele in Betracht ziehen, das erweitert und verändert die Auswahl der Möglichkeiten! "Yesterday" bringt nach der Tonika C gleich einen H-Moll-Akkord (den hatten wir noch gar nicht!), der aber über E7 nach Am (da ist die Tonikaparallele) führt; das Stück weicht also kurz Von C-Dur nach A-Moll aus. Im Jazz nennt man so etwas (Hm - E7 - Am) eine II-V-I - Folge.