Liedharmonisierung - wahrscheinliche Akkorde in Moll
Versucht man ähnliche Kategorien wie auf der Vorseite für das Tongeschlecht Moll aufzustellen, kommt man zu etwas anderen Ergebnissen. Man kann die Verhältnisse mit den Parallelen nicht einfach umkehren.
1. Zwei (drei) Akkorde:
Am, E und G
Stücke in Moll, die mit zwei Akkorden auskommen, brauchen meistens die Tonika und die
Dominante, Am und E, oder zur Tonika die siebte Stufe der reinen Molltonleiter,
in A-Moll also Am und G.
Der G-Dur-Dreiklang in A-Moll ist nicht so leicht zuzuordnen: er ist der Parallelklang der Molldominante (dP), die in Moll nur eine geringe Rolle spielt. Er ist außerdem die Dominante der tP (C-Dur). In C-Dur ist er der Akkord, der über einen Trugschluss zur Tp, also A-Moll hinführt. An diese Eigenschaft fühle ich mich erinnert, wenn er quasi die Funktion der Dominante als Akkord übernimmt, der zur Tonika zurückführt. Der Trugschlusscharakter ist in Moll natürlich verloren. Lieder mit diesem Akkord haben oft eine folkige Note. Ein Beispiel für solch ein Lied ist "What shall we do with the drunken sailor", das übrigens eigentlich auf der dorischen Skala basiert.
Tonika und Dominante braucht man für "Joshua fit the battle of Jericho". Die Dominante als Durakkord ist häufiger vertreten als als Mollakkord!
Tatsächlich kann man den Kanon "Hejo, spann den Wagen an" mit t und d begleiten, also Am und Em, aber Kanons sind ja auch so eine Sache...
Jetzt habe ich unter "zwei Akkorde" insgesamt 4 verschiedene Kombinationen genannt - kann es sein, dass Moll wirklich komplizierter ist als Dur? Die Koexistenz der Durdominante, die für die erhöhte 7. Stufe der harmonischen Molltonleiter verantwortlich ist, und der Parallele der Molldominante (kurz gesagt: E-Dur mit gis und G-Dur mit g) sorgt schon für Sorgenfalten! Schnell zum nächsten Level!
2. Drei (fünf) Akkorde:
Am, Dm, Em, E und G
Die Stufen I, IV und V, letztere auch als Durakkord, dazu die VII: Ob das eine sinnvolle
Kategorie ist? "Sascha liebt nicht große Worte" oder das italienische
"Bella Ciao" kommen mit t, s und
D aus, aber wie ist das bei dem Volkslied
"Schwesterlein, wann gehen wir nach Haus?"? Hier kann man allerdings auch sagen,
dass der B-Teil in der parallelen Durtonart stattfindet!
3. Vier (sechs) Akkorde:
Am, E, C, G, Dm und Em
"Schwesterlein, wann gehn wir nach Haus?" - Doch, es gibt ein deutsches
Volkslied, das in Moll steht! Man braucht zur Begleitung dieses Liedes die
t, D, tP und deren Dominante (die siebte Stufe), also
Am, E(7), C und G(7).
Allerdings "springt" das Stück in Takt 5 bis 9 (von 12) übergangslos in die Tonart der
Parallele, C-Dur. Wenn man also eine Modulation annimmt, kommen in A-Moll nur
t und D vor... geht das denn nicht einfacher?!
Zählt man die Akkorde aus den vorigen Abteilungen mit, kommen
Dm und Em dazu.
4. Acht Akkorde:
Am, E, C, G, Dm, Em, F und D
Mit folgenden Beispielen komme ich auf diese Anzahl. Zum vorigen Level hinzu kommen die
Dursubdominante (dorisch) und die Subdominantparallele:
"House of the rising sun"
benötigt Am, C, D, F, E, also
t, tP, S, sP (tG) und D.
"Jonny I hardly knew ye", der wirklich schlimme Antikriegssong:
Am, Em, C, G, E (F oder Dm?).
"Scarborough Fair": Am, G, C, D (keine
s, sondern S, also dorischer Einschlag).
"Sometimes I feel like a motherless child"
Am, Dm, F, E.
"Sounds of Silence" von Simon & Garfunkel:
Am, G, C und F.
In "Go down Moses" macht sich neben Am, E und Dm der
Durakkord auf F gut.
Diese Beispiele stammen alle aus dem
englischen Sprachraum - wenn ich mehr wüsste über Lieder aus dem östlichen Europa kämen
vielleicht noch ganz andere Akkorde vor!
Obige Tabelle in Klaviernotation:
Mehr Farbigkeit in Moll
Anscheinend gibt es zwischen Songs, die 4 Akkorde brauchen in Moll mehr Unterschiede als in Dur. Moll ist bereits bei wenig komplexen Stücken (nicht nur emotional) mit mehr Farben ausgestattet. Der neapolitanische Sextakkord, den man zum Gegenklang der Subdominante deklarieren könnte (eigentlich ist er eine Subdominante mit tiefalterierter Sexte, in A-Moll also D-Moll mit b statt a) käme in einer nächsten Kategorie an die Reihe, weiterhin Zwischendominanten zur Dominante oder zur dP. Dann könnte man wieder Medianten anführen, wäre aber auch hier wieder schon längst in so erweiterter Tonalität, dass Tabellen unsinnig und eher Modulationen anzunehmen wären.
Und was ist eigentlich mit der 2. Stufe der Mollskala? Der Dreiklang h-d-f ist ja ein verminderter Dreiklang. In Dur steht er auf der 7. Stufe und wird als verkürzter Dominantseptakkord interpretiert. In Moll wird er gerne um die Septime ergänzt und als halbverminderter Septakkord (unten "Hm7♭5") in Akkordfolgen im Jazz, gerne in Latin-Stücken benutzt, etwa so:
||: Am | Dm | G7 | Cmaj7 | Fmaj7 | Hm7♭5 | E7 | Am :||
Man kann natürlich auch die Terz und die Quinte des Dreiklanges erhöhen und hat dann einen H-Dur-Dreiklang, also die Doppeldominante, die ich in Dur ganz früh als wichtigen Akkord eingeordnet habe.