Andere Zeichen in den Noten
Weil die Gitarre so ein kompliziertes Instrument ist, bei dem man Töne an verschiedenen Stellen des Griffbrettes greifen kann, und dies auch noch in unterschiedlichsten Kombinationen, sind Gitarrennoten vollgestopft mit zusätzlichen Zeichen. Diese Zeichen muss der arme Novize auseinander halten und richtig interpretieren, und das geht aus mehreren Gründen schon mal schief.
Also möchte ich hier versuchen, einerseits Hinweise zu geben zu den Zeichen für
- die Finger beider Hände
- Griffbilder
- Saiten- und Lagenangaben
- Schreibweisen für Barré und Flageolett und
überdies ein paar Warnschilder zu den häufigsten Fehlern aufzustellen.
Wenn man mit dem Erlernen des Instrumentes nach Noten beginnt, hat man in den meisten Fällen ein
Buch, das die Noten und die gitarretypischen Zeichen der Reihe nach erklärt.
Diese Gitarrenschule ist eine Sammlung von Erklärungen, die
einen Menschen zum Fachmann für Gitarre machen, und ein Lexikon, in dem man
Dinge nachschlagen kann.
Beim Erlernen dieser
Einstellung zur Gitarrenschule (oder zu Schulbüchern oder Lexika) können
Eltern gerne ihren Kindern zur Seite
stehen, einfach in dem sie diese gemeinsam anschauen, darin herumblättern, oder indem die Eltern
sich von den Kindern erklären lassen, was das alles zu bedeuten hat.
Wie überhaupt
das Notenlernen mit einer Gitarrenschule vor sich geht, versuche ich hier zu
erklären.
Zeichen für die Finger beider Hände
Angschlagshand
Am Anfang der Gitarrenschule erfährt man, dass die Finger der Anschlagshand so bezeichnet werden:
- Daumen: p
- Zeigefinger: i
- Mittelfinger: m
- Ringfinger: a.
- Der kleine Finger wird nicht benutzt.
Unter den namhaften Konzertgitarristen ist mir nur von N. Yepes bekannt, dass er den kleinen Finger der Anschlagshand benutzte. Manche Gitarristen nehmen den kleinen Finger, um künstliche Flageoletttöne anzuschlagen.
Greifhand
Die Finger der Greifhand werden nummeriert:
- 1 = Zeigefinger
- 2 = Mittelfinger
- 3 = Ringfinger
- 4 = kleiner Finger
- 0 = leere Saite.
Der Daumen der Greifhand wird bei der Konzertgitarre heute nicht mehr wirklich benutzt, obwohl er bei Komponisten der Klassik und Romantik, zum Beispiel bei Jahnn Kaspar Mertz (1806-1856), durchaus im Fingersatz vorkommt. H.D. Bruger hat in seiner Ausgabe Bach'scher Lautenwerke (1921) für die "heutige Laute", einer Wandervogellaute mit 6 Saiten und 4 neben dem Griffbrett verlaufenden Bordunsaiten, an einigen Stellen die Anweisung "Daumen" stehen, um Unmögliches möglich zu machen. Bei Folk- und Rockmusikern wird der Daumen schon mal eingesetzt, was durch die geringere Breite der Hälse von Western- und E-Gitarren, die Größe der Pranken und die Haltung nahe liegt.
Erster Fingersatz
Ein frühes Übungsstück sieht dann beispielsweise aus wie im Bild rechts.
In antiken Noten aus dem deutschen Sprachraum findet man für die Anschlagshand noch das "+" für
den Daumen, und dann einen, zwei oder drei Pünktchen für Zeige- Mittel- und Ringfinger.
An anderer Stelle findet sich ein Abschnitt über die Komplexität von Fingersätzen für die
Greifhand, und was dabei
möglicherweise im Gehirn eines Gitarristen vorgeht.
Griffbilder
Jede Gitarrenschule erklärt die Noten im allgemeinen, und führt nach und nach Töne ein, mit denen man dann die Übungsliedchen spielt. Die Stücke müssen vielfältigen Ansprüchen genügen: sie sollten bekannt, interessant, keinesfalls doof und dabei nicht zu kompliziert sein.
Informationsfülle
Die Noten werden mit einem Griffbild erklärt, das ihren Ort auf dem Griffbrett zeigt. Das sieht dann aus wie im Bild rechts, und enthält eine Menge Informationen, die man richtig deuten und wie in diesem Foto umsetzen muss:
1. Welcher Ton
Es geht um das gegriffene g auf der e-Saite, nicht um die g-Saite (die man vielleicht schon kennt), oder das e auf der g-Saite, oder... Man glaubt gar nicht, wie hartnäckig manche die leere tiefe A-Saite anschlagen können, wenn das a auf der g-Saite eingeführt wird! Sie sehen die Grafik, und... kümmern sich wenig darum. Da braucht man Geduld und muss wieder und wieder erklären, was der Schüler aus der Zeichnung entnehmen soll.
Die Note heißt also g - dafür steht der Buchstabe g unter ihr. Es ist das hohe g, wie hoch genau (das eingestrichene g, wegen des Oktava-Zeichens unter dem Notenschlüssel) es ist, lassen wir besser erst mal weg, aber dass es kein tiefes G ist sollte man festhalten, und dass es - wie immer - in der Stammtonreihe zwischen f und a liegt wird irgendwann sehr wichtig...
2. Aussehen der Note
Die Note liegt über der obersten Notenlinie. Der Notenwert ist egal, es kommt nur darauf an, wo, auf welcher Linie oder in welchem Zwischenraum sich der Notenkopf befindet.
3. Finger der Greifhand
Bei der Note steht die Ziffer 3, der Ton wird also - erst mal - grundsätzlich mit dem dritten Finger im dritten Bund gegriffen. Die Bezeichnung einer Saite wäre eine arabische Ziffer im Kreis.
4. Abbildung des Griffbrettes
Vertikale Griffbilder finde ich nicht so sympatisch. Sie sind anders gedreht als Noten und alle Tabulaturen, und - wer hält die Gitarre schon so?
Das Griffbild weiter oben hat links einen dicken Strich, das den Gitarrensattel darstellen soll. Die dünnen senkrechten Linien repräsentieren also die Bünde, die waagerechten die Saiten. Der Punkt auf der obersten Linie im dritten Kästchen bedeutet also: "Greife diese Note im dritten Bund auf der höchsten Saite."
Die höchste Saite ist nicht die, die räumlich am weitesten oben liegt, sondern die mit dem höchsten Ton! Die dünne e-Saite also! Das Griffbild zeigt also eine analoge Darstellung zum Notenbild, das bedeutet: hohe Noten werden im Griffbild wie in Noten oben abgebildet. Wenn ich die Gitarre neben dem Buch in Stellung bringen möchte, muss ich sie so drehen, dass ihre Decke zu mir zeigt. Dann sind Zeichnung und Gitarre gleich ausgerichtet.
Denkbar wäre ja auch, die Grafik wie einen Spiegel funktionieren zu lassen: Was räumlich in der Grafik oben ist, ist auf der Gitarre räumlich oben. Das ist aber sehr räumlich-grafisch und wenig musikalisch gedacht. Trotzdem gab es in der Renaissance Tabulaturen, die so funktionierten (im Bild hinter dem Link sind die ersten 10 Töne auf der klanglich höchsten Saite zu spielen), während die meisten Tabulaturschriften die hohen Töne oben abbilden wie unsere Noten. Dass es Tabulaturen aus dem Barock gibt, bei denen die hohen Töne unten sind, ist mir nicht bekannt.
5. Linkshänder
Linkshänder sind durch diese Griffbilder tatsächlich benachteiligt. Ich kenne keine Gitarrenschule, die horizontal gespiegelte Griffbilder (wie rechts zu sehen) enthält. Ist das schlimm? Ich denke, der Lernprozess, diese merkwürdigen Grafiken in konkrete Handlungen umzusetzen, ist für alle Kinder kompliziert, und Linkshändern muss man dann noch erklären, dass sie das Bild im Kopf umdrehen müssen, damit sie das richtige Ergebnis bekommen. Was man tatsächlich greifen soll sieht für Rechtshänder so, und für Linkshänder so aus:
Links sieht man die linke Hand eines Rechtshänders, der das g auf der e-Saite greift, rechts die rechte Hand des Linkshänders.
Die hohe e-Saite ist in beiden Fällen räumlich unten.
Griffbilder für Akkorde
Abgesehen von ihrer Funktion beim Erklären der Töne in Gitarrenschulen benutzt man Griffbilder natürlich für Grifftabellen. Die Noten für ganze Akkorde werden als Griffbild dargestellt - so kann man sie schneller erfassen und auswendig lernen, wobei man allerdings nicht vergessen sollte, dass sie tatsächlich immer aus einzelnen Noten bestehen.
Griffbilder umsetzen können übrigens meistens Jungen schneller als Mädchen. Jungen basteln häufiger nach Anleitungen und haben Routine im Umsetzen von Grafiken. Bei mir heißt das "Lego-Technik-Faktor".
Saiten
Die Zeichen für die Finger beider Hände und die Vorstellung der Noten in Griffbildern sind natürlich nicht alles! Da man Noten auf verschiedenen Saiten spielen kann, braucht man ein Nummerierungssystem für die Saiten. Die (weitgehend) internationale Übereinkunft ist, die Saiten mit arabischen Ziffern in einem Kreis zu benennen, und die dünnste und höchste Saite, die "Chanterelle", bekommt seit Jahrhunderten die Nummer ①.
Die höchste Saite mit den höchsten Tönen liegt aber räumlich unten - das führt immer wieder zu sprachlicher Verwirrung, siehe auch das Bild im nächsten Abschnitt!
Im Bild rechts sieht man also, dass das c im ersten Takt mit dem 1. Finger auf der zweiten, der h-Saite gegriffen wird. Das e in Takt 2 wird gar nicht gegriffen, liegt aber auf der 1. Saite. Angeschlagen wird im Wechselschlag mit "m i".
Diese Saitenbezeichnungen findet man am Anfang von Gitarrenschulen, um den Anfängern eine Hilfe zu geben, und dann wieder bei schwierigen Stücken, bei denen man Noten irgendwo auf dem Griffbrett spielen muss: man kann ja das a, das auf der g-Saite im 2. Bund liegt, auch im 7. Bund auf der d-Saite, und im 12. Bund auf der A-Saite greifen, und das wird dann durch eine umkreiste Ziffer angegeben, oder durch eine Lagenangabe.
Lage
Der Zeigefinger ist im vierten Bund, also befinde ich mich in der IV. Lage.
Wirklich kompliziert wird das Leben des Gitarrenneulings dadurch, dass man mit der Hand am Hals entlang rutschen und dort höhere Töne greifen kann. Man nennt das "Lagenspiel". Die Töne auf der Gitarre werden nicht nur höher, wenn man von den tiefen auf die hohen Saiten wechselt, sondern auch, wenn man auf einer Saite nach oben rutscht.
Verwirrend ist, dass die Hand räumlich betrachtet weiter Richtung Fußboden gleitet, ich aber konsequent behaupte, man gehe "nach oben".
Erstens werden die Töne höher, tatsächlich wird die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde doppelt so hoch, wenn ein Ton oktaviert wird, und zweitens steigt die Ordnungszahl des Bundes: befindet sich der Zeigefinger im ersten Bund, spricht man von der "ersten Lage", gleitet man in den fünften Bund, nennt man das die fünfte Lage. Und fünf ist im Vergleich zu eins ja wohl die höhere Zahl?!
Im Bild rechts sieht man meine Hand in der vierten Lage, außerdem sind die Saitenziffern zu sehen. Oben ist immer da, wo jeder normale Mensch sagen würde, dass das unten ist!
Die Diskussion über die Frage "Wo ist eigentlich oben?" kann ziemlich lange dauern. Im Notenbild unten rechts sieht man die Darstellungsweise der Lagen im Notentext:
Die Lagen, also die Position des Zeigefingers auf dem Griffbrett, werden mit römischen Zahlen bezeichnet.
In der Grafik sieht man außer den römischen Zahlen für die 1. und 5. Lage auch die Fingersätze für beide Hände, und die eingekreiste ②, was bedeutet, dass diese Fünftonreihe auf der 2. Saite zu spielen ist.
Außerdem findet sich nach der zweiten und vor der letzten Note so ein dünnes Strichlein. Dies bedeutet, dass man mit dem entsprechenden Finger auf der Saite gleiten soll, ohne die Saite zu wechseln.
Einführung des Lagenspiels
Mit dem "Konzept Lage" kommen Gitarristen recht früh in Kontakt, in der Regel bei der Einführung des zweistimmigen Spiels mit leeren Bässen. Dabei spielt man nämlich gerne in Tonarten wie D- und A-Dur, und braucht für viele Lieder das a im fünften Bund der e-Saite (im Bild blau) - also muss man in die zweite Lage. Gerne werden dann auch die Töne e und h gegriffen, statt sie auf leeren Saiten zu spielen. Das verbessert die Streckfähigkeit der Greifhand, man kann mit Vibrato spielen, und man wird sicherer in der neuen Umgebung.
Für die jungen Gitarrenschüler ist diese Neuerung schwer zu verstehen, weil das bisher Gelernte auf perfide Weise ausgehebelt wird. Sie haben über lange Zeit bestimmte Fingersätze automatisiert, und nun wird plötzlich alles anders:
In der 1. Lage galt:
cis auf der h-Saite = 2. Finger, d =
3. Finger, wie im Bild oben zu sehen. Das hohe e spielte man auf
der leeren e-Saite und basta.
Zweiter Takt: fis = 2.
Finger, g = 3. Finger. Das hohe a, die
letzte Note, kannten wir noch nicht.
Die Fingersätze stehen bei den Noten; die
Tabulaturziffern darunter sind gleich, weil in der ersten Lage die
Bauernregel "Finger = Bund" gilt.
In der 2. Lage gilt plötzlich:
cis = 1. Finger, d = 2. Finger. Das
hohe e greift man mit dem 4. Finger im fünften Bund der h-Saite.
Zweiter Takt: fis = 1. Finger,
g = 2. Finger. Das hohe a greift man
mit dem 4. Finger im fünften Bund der e-Saite.
In dieser Grafik stimmen Fingersätze in
den Noten und Tabulaturziffern nicht mehr überein.
Fehler vermeiden
Wenn zwei Dinge sehr ähnlich aussehen und auf sehr ähnliche Art und Weise gemacht werden, aber
eben doch ganz anders, werden natürlich Fehler gemacht: der Schüler spielt in der 2. Lage, sieht
ein
d und greift wie gewohnt mit dem 3. Finger, worauf ein
dis erklingt.
Oft wird grundsätzlich die Haltung verkrampft, die
Hand rutscht immer wieder zum Sattel in die erste Lage wie bei einem Menschen, der schwimmern
lernt, sich aber nicht traut, den Beckenrand loszulassen.
Was man sich absolut merken sollte:
Die Noten bleiben auf dem Griffbrett immer an der gleichen Stelle!
Ganz egal, ob ich im dritten Bund der h-Saite mit dem Zeigefinger, dem Ringfinger oder der
Nase drücke - der Ton bleibt immer ein d! Und nur weil eine 2 als
Fingersatz dabei steht, darf ich kein des spielen - das darf ich erst,
wenn ein ♭ vor dem d steht!
Die Note ist also die erste Information, auch wenn ein Kreuz dabei steht. Fingersatz, Lagenbezeichnung und Saitenangabe sind Zusatzinformationen. Die Note ist das, was am wichtigsten ist!
Verschiebbare Fingersätze
Die
tolle Eigenschaft der Gitarre, alles, was man ohne leere Saiten spielt auf dem
Griffbrett mit dem gleichen Fingersatz verschieben zu können, lernen die
Schüler erst später schätzen. Ein Klavierspieler muss für die Noten im Beispiel unten jedes Mal
eine andere Abfolge von schwarzen und weißen Tasten bemühen - der Gitarrist spielt einfach
1 - 2 - 4; 1 - 2 - 4 und schiebt dies in den gewünschten Bund.
Diese Eigenschaft
von Saiteninstrumenten lernt der Fortgeschrittene spätestens schätzen, wenn er
Bluestonleitern für
Improvisationen nutzt.
Verschiebbare Fingersätze: man greift sechs Töne in D, Es und E-Dur mit den gleichen Fingern, versetzt das Ganze nur jeweils einen Bund nach oben.
Probleme mit der Darstellung
Mit den Lagen auf der Gitarre ist das so eine Sache! Manchmal steht keine da, weil der Herausgeber ein "Schiebestrichlein" gesetzt hat, und damit für hinreichend erklärt hält, dass man auf der Saite eben zum e auf der h-Saite zu rutschen hat, und zwar mit dem 1. Finger, und dann ist doch klar, dass man sich in der V. Lage befindet!
Oder es ist eben nicht klar, in welcher Lage man sich befindet, oder es wäre missverständlich, eine Lagenbezeichnung zu setzen. Zum Beispiel steht in der folgenden Grafik am Anfang des zweiten Taktes (Auftakte zählt man nicht mit) beim hohen h eine römische VI, und man soll mit 3 greifen.
Ist das h denn im 6. Bund? Natürlich nicht, das h ist im siebten Bund der e-Saite. Eigentlich könnte man aus dem 3. Finger im 7. Bund schließen, dass man in der V. Lage ist, aber man greift das gis auf der d-Saite im 6. Bund mit dem Zeigefinger. Das habe ich in den Noten aber nicht vermerkt, weil ich es für logisch und den Notentext nur unnötig belastend hielt.
Wenn man Noten für Gitarre schreibt und versucht, sie mit vernünftigen Bezeichnungen auszustatten, raucht einem manchmal ganz schön der Kopf!
Selbstverständlich muss auch ein Blockflötenschüler fünf Griffe für fünf Noten auswendig lernen, aber er hat nie mit dieser Menge an Zusatzinformationen zu tun. Kleine Gitarristen müssen sich einiges merken!
Barré
Die grafischen Zeichen für Barrégriffe variieren ganz ordentlich. Im deutschen Sprachraum, z.B. in den Ausgaben von Karl Scheit oder Heinz Teuchert, allerdings auch in den bei Schott von Andres Segovia herausgegebenen südamerikanischen Werken, findet man eine ähnliche Schreibweise wie in diesem Bild: eine Klammer mit römischer Zahl darüber.
Zunächst gibt es einen Barrégriff über die ersten drei Saiten in der 5. Lage, in Takt zwei wird dieser in die vierte Lage verschoben, und im dritten Takt braucht man einen großen Barré im 2. Bund.
Der holländische Autor Joep Wanders verwendet eine Bezeichnung, die die Anzahl der Saiten, die man herunterdrücken soll durch eine hochgestellte Ziffer andeutet. Er schreibt "IV Bar.³" über die Noten, und damit ist klar, dass der Zeigefinger über die Saiten 1 - 3 gelegt wird.
In spanischen und lateinamerikanischen Notenausgaben sehen Barrégriffe so oder so ähnlich aus:
In der englischen Ausgabe des "Nocturnal" von Benjamin Britten findet man als "B VII" als Zeichen für den Barrégriff. Mit "PB VII" meint der Herausgeber vermutlich "partial barre".
Gemeint ist aber in allen Fällen die gleiche Quälerei, deren Ausführung hier diskutiert wird.
Flageolett
Flageoletttöne kann man nicht nur zum Stimmen der Gitarre gut nutzen - sie kommen auch in vielen Stücken vor. So besteht der Schluss von Sors Variationen über "Malbrough s'en va-t-en guerre" zum großen Teil aus Obertönen.
Flageolett- oder Obertöne
erzeugt man, indem man eine Saite an bestimmten Punkten sanft berührt (am
besten nicht mit dem dicksten Finger, damit der Punkt wirklich ein bestimmter ist) und
dann ziemlich knackig anschlägt. Durch die Berührung wird die Saite gehindert, als Ganzes zu
schwingen.
Berührt man die Saite in der Mitte, entsteht ein Ton, der doppelt so hoch ist
wie der Grundton. In fünf Teile (wodurch die fünffache Frequenz entsteht, die große Terz zwei
Oktaven über dem Grundton) kann man die Saite an vier Stellen teilen. Etwa beim vierten, beim
neunten, beim 16. Bund und beim unteren Schalllochrand. Wenn man nicht die richtige Stelle
trifft oder zu fest drückt, macht es nur "Plopp". Trifft man die richtige Stelle hingegen sehr
genau, kann man sie ruhig beim vierten und neunten Bund gleichzeitig berühren - die
Terz erklingt trotzdem.
An den vier Teilungspunkten ist die Saite unbewegt, deshalb heißen
diese Punkte auch "Schwingungsknoten". Dazwischen schwingt sie in fünf Teilen,
und die Stellen des weitesten Ausschlags heißen "Schwingungsbauch". Das
Phänomen hat natürlich mit der
Obertonreihe zu
tun.
Notation der Flageoletts
Das Problem bei den "Flagies" ist, dass sie sehr unterschiedlich aufgeschrieben sein können. Im obigen Facsimile von Sors Werk steht einfach "sons harm." (sons harmoniques), und dann die leere Saite mit einer arabischen Zahl davor, die den Bund bedeutet, bei dem (etwa) der Flageolett erklingt.
Häufig sind die Obertöne in Gitarrennoten mit einem Rhombus als Notenkopf dargestellt. Rechts habe ich die tatsächlichen Tonhöhen der ersten Takte - sogar mit dem Oktavazeichen - aufgeschrieben, und als Zusatzinformation die Saitennummer und eine römische Zahl für den Bund angegeben. Damit, dass die Noten in der korrekten Höhe angegeben sind, sollte man nicht unbedingt rechnen, da wird schon mal eine Oktave zu tief geschrieben (zumal Obertöne ja sehr hoch klingen können).
Hier ist die Darstellungsweise wieder anders, wobei man das erst bei den beiden letzten Akkorden merkt: es ist einfach der Ton aufgeschrieben, der erklänge, wenn man normal greifen würde, aber man erzeugt natürlich einen Flageolettton, der dann meist in einer anderen Oktave erklingt (bis auf das hohe e beim zweitletzten Akkord) oder gar einen völlig anderen Ton bedeutet. Beim vorletzten Zusammenklang entsteht unten statt des geschriebenen fis ein (eine Duodezime höheres) cis. Beim letzten Akkord erklingt statt des oberen c ein g, das ebenfalls eine Oktavquinte höher ist, und statt des tiefen c ein e, das eine Dezime höher liegt. Die Tonnamen der übrigen Flageoletts stimmen zufälligerweise mit den geschriebenen Noten überein.
Der Schluss von Villa-Lobos' berühmter erster Etüde ist auf diese Weise notiert. Man hört eine nach oben aufsteigende Kaskade von Flageoletttönen, und sieht in den Noten eine Kurve, die am Ende, bei den höchsten Noten, die über dem fünften Bundstab von g-, h- und e-Saite erzeugt werden, plötzlich nach unten abknickt, zu relativ tiefen Tönen. Nicht sehr logisch, aber - man kennt das Stück ja...
Künstliche Flageoletttöne
Noch einmal verkompliziert wird die Lage, wenn man nicht nur "natürliche Flageoletttöne", sondern "künstliche" benutzt. Dabei greift man ganz normal einen Ton, und erzeugt den Flageolett, indem man mit dem Zeigefinger zwölf Bünde höher die Saite berührt und mit dem Ring- oder dem kleinen Finger anschlägt. Man kann natürlich auch am Punkt der Doppeloktave oder der Oktavquinte die Saite berühren; E-Gitarristen wenden diese Technik auch mit dem Plektrum an. Die Darstellung ist nicht so missverständlich: rhombusförmige Notenköpfe, Oktavazeichen, und dazu schreiben "künstl. Flag." oder "artificial harmonics", und schon versteht der Ausführende, was er da zu tun hat.
In der letzten Zeile von Tárregas erstem Prelude sind die Töne der Oberstimme (das wird stillschweigend vorausgesetzt) als künstliche Flageoletts zu verstehen.
Lesefehler
Vor allem die Fingersätze für die Greifhand sind eine Quelle vieler Fehler bei Anfängern. Gitarristen missachten munter die p - i - m - a - Anweisungen, sie zupfen ausschließlich mit einem Finger, übersehen Lagenangaben, fragen bei Flageoletts "Wie gingen die noch Mal?", aber die Fingersätze für die Greifhand sind oft der Grund für richtig falsche Töne. Ich versuche ein paar der beliebtesten Fehler aufzulisten:
1. Das tiefe Fis existiert nicht!
Nachdem in der Gitarrenschule die Stammtöne in der ersten Lage erarbeitet wurden, werden Kreuze und ♭s eingeführt. Die Kinder haben alles verstanden und spielen munter Stücke mit fis und cis. Dann kommen - ein großer und schwieriger Lernschritt! - die ersten gegriffenen Bässe, und dabei taucht irgendwann ein tiefes Exemplar der Note fis auf, womöglich noch mit einer 1 als Fingersatz für die Greifhand, und schon geht es los...
Im Beispiel rechts findet sich im zweiten Takt (Takt 3 von "der Fuggerin Tanz") das tiefe
Fis, aber erst mal wird ein F (im ersten Bund)
probiert! Zur Not mit einem as darüber (seit wann ist das
a im ersten Bund auf der g-Saite - war das nicht der erste gegriffene
Ton, den wir gelernt haben?), egal, Hauptsache ein F, denn im zweiten
Bund auf der tiefen E-Saite haben wir noch nie gegriffen!
Dabei ist es durchaus
wahrscheinlich, dass die vier cis vor dem tiefen
Fis völlig korrekt gespielt werden! Auf der tiefen E-Saite grundsätzlich
erst mal F spielen aber alle: vom ABC-Schützen bis zum Zehntklässler mit
Einser-Notenschnitt, der mit der Gitarre spät angefangen hat!
2. Vierter Finger heißt immer 4. Bund!
Ziemlich zu Beginn des Gitarrenunterrichts erklärt man den Schülern, dass man auf der Gitarre
etwas Tolles machen kann: mehrere Töne gleichzeitig greifen. So erklingen Intervalle und
Akkorde; man nutzt diese Technik aber auch, um Töne vorzubereiten oder länger klingen zu lassen.
In diesem Beispiel wird das d auf der h-Saite im dritten Bund mit
dem 3. Finger gegriffen. Das g auf der e-Saite findet sich auch im
dritten Bund, aber dort steht als Fingersatz eine 4. Wenn man so greift, die Finger
3 und 4 also neben einander platziert, bereitet man den zweiten Ton vor und kann
die Töne dicht auf einander folgen lassen, also "legato" spielen.
Junge Schüler ignorieren diese Ziffer häufig einfach, sie springen also mit dem 3. Finger auf
die e-Saite und fertig. Für das hehre Ziel, gebunden zu spielen muss man erst mal ein
Bewusstsein entwickeln, und dann braucht man Ehrgeiz, um hier Fortschritte zu machen.
Ältere Schüler, die vielleicht den vierten Finger schon benutzt haben und wissen, was
Kreuze sind, spielen bei so einem Fingersatz gerne gis statt
g. Sie lesen die Ziffer und kümmern sich wenig darum, dass vor dem
g ein # stehen müsste, um das Greifen im vierten
Bund nötig zu machen.
Wenn man lange genug in der ersten Lage gespielt, und gut verinnerlicht hat, dass der 1. Finger den ersten Bund bedient, der zweite normalerweise den 2. Bund und so weiter, ist man immer mal wieder für diesen Trick gut: unversehens taucht ein hohes a auf der e-Saite auf, die 4 steht dabei für das Greifen mit dem kleinen Finger, aber die Lagenbezeichnung fehlt. Schon spielt man ein as im vierten Bund, ob man sich dann noch zu einem f herbeilässt hängt wohl auch davon ab, wie schnell man auf den Zusammenklang mit dem d im Bass reagiert. Spätestens beim dritten Melodieton sollte man zusammenzucken!
3. Wechselnder Fingersatz.
Ein besonderes Problem stellt sich hier: Wurde am Anfang das
d auf der h-Saite noch mit dem 3. Finger gegriffen (erste Lage also),
steht bei der dritten Note plötzlich eine 2. Was nun?
Wer sich gründlich angewöhnt
hat, die Noten zu "siezen" und grundsätzlich nicht mit Namen anzusprechen und vorwiegend nach
den Ziffern für die Finger spielt, wird hier vielleicht ein des spielen
und sich dann hoffentlich über den schrägen Klang wundern. Ob danach
f oder fis, und dann vielleicht wieder
as ertönen - wer weiß...?
Natürlich ist die Idee, dass man den zweiten Finger nimmt, um in die zweite Lage zu wechseln und so das bald folgende hohe a zu erreichen.
4. Einmal dis, immer dis!
Es ist doch schön, dass die "gewöhnlicheren" Töne vor den Exoten eingeführt werden, obwohl - wer
will da bewerten? Ist E-Moll nicht eine wunderbare Tonart auf der Gitarre? Also kommt irgendwann
eine Stelle, bei der man das
H im 2. Bund der A-Saite und das dis im vierten
Bund der h-Saite gleichzeitig greifen darf (wie rechts zu sehen), und zwar mit den Fingern
2 und 4.
Wochen später, oder auch im gleichen Stück, egal, tauchen
H und d über einander auf, wie im zweiten Takt,
und danach ein c auf der A-Saite, und deshalb benutzt man denselben
Fingersatz. Auch hier (wie an vergleichbaren Stellen) wird dann gerne die Hand mit Mühe
gestreckt und dis gespielt, obwohl kein Kreuz zu sehen ist - gelernt ist
halt gelernt.
5. In welcher Lage soll man das denn spielen?
Herausgeber von Gitarrenmusik haben das Bestreben, den Notentext möglichst klar zu halten. Je mehr Zusatzzeichen sich zwischen den Noten tummeln, desto unübersichtlicher wird das Ganze, desto weiter muss man die Abstände zwischen den Zeilen wählen, desto mehr Platz braucht ein Stück, desto öfter muss der Spieler umblättern - eine Kette von Folgen, der man nur mit einem entschiedenen "Weniger ist mehr!" begegnen kann!
Also lässt man eine Lagenbezeichnung weg, weil es ja logisch ist: Natürlich ist man in diesem Beispiel anfangs in der zweiten Lage, und ab dem d mit der 4 davor und dem Schieben des zweiten Fingers vom c zum H im Bass ist man in der ersten. Aber es steht nicht da. Also kommen die Schüler nach einer Woche und entrüsten sich "Die Reihe konnte ich nicht üben, ich wußte nicht, in welcher Lage ich das spielen soll!"
Tja, wer Gitarre spielen mit Noten lernt, wird leider zum Denken angehalten, und zwar ziemlich massiv. Auch und gerade in den Heften für Anfänger werden die Informationen mehr und mehr ausgedünnt. Wenn Noten und Fingersatz die Lage klar definieren, fehlt die Lagenbezeichnung schon mal. Fingersatz plus Lage lassen nur einen Schluss bezüglich der zu wählenden Saite zu - dann lässt man die Saitenziffer weg. Der Schiebestrich klärt zweifelsfrei, dass man auf der A-Saite zum H rutschen soll - wozu Lage und Saite angeben!
Und in der ausgeschriebenen Wiederholung eines Abschnitts, der weiter oben ausreichend bezeichnet war, fehlt gerne mal alles. Das hat man sich doch oben schon eingeprägt? Und wer sich das alles nicht merken kann, oder Warnhinweise braucht, greift halt zum Bleistift und trägt sich etwas ein - selber schreiben vertieft den Lernprozess!
Selbst gefundene oder geänderte Fingersätze sind Ausdruck von Kreativität und Nachdenken. Die Vorschläge des Herausgebers sind ja nur - Vorschläge, und zwar vorgekaute. Nun ist es zwar sehr, sehr gut, diese Vorschläge erst mal nachzuvollziehen, weil man dadurch von der gesammelten Erfahrung nicht nur des konkreten Herausgebers, sondern auch noch seiner Lehrerslehrer und Kollegen profitiert, aber wenn man dann auf eigene Lösungen kommt, ist das immer ein wichtiger Schritt auf der Reise in die Unabhängigkeit. Wer ein Musikinstrument lernt, benutzt sein Gehirn, und das ist immer gut!
6. Fehler in den Noten
Herausgeber von Gitarrenmusik - selbst die Autoren - irren aber bisweilen und machen selber Fehler. Manchmal stehen schlicht falsche Noten da, oder Vorzeichen sind vergessen worden, die eigentlich gemeinten Töne erschliessen sich zum Glück dennoch ziemlich klar aus dem Fingersatz. Ein Beispiel aus der Mazurka "Sueño" von F. Tárrega:
In der Originalausgabe steht am Ende von Takt 2 in der Melodie ein
f mit dem Fingersatz 1, im nächsten Takt wird derselbe Ton mit
4 gegriffen, und darunter liegen c und
dis, die mit dem 2. und dem 1. Finger zu greifen sind.
Niemand
würde das so greifen! Die Lösung ist naturlich, dass der erste Ton der Oberstimme in Takt 3 ein
fis ist, das Kreuz vor dem f fehlt allerdings.
Diese Idee ergibt sich keineswegs nur aus dem Fingersatz, sondern vor allem aus der
Stimmführung: Die Unterstimme bewegt sich von d über
dis nach e, und da kann das
fis in der Melodie nicht hinter dem Bass zurückstehen: es ist eine
chromatische Parallelführung in Dezimen.
Auf der zweiten Zählzeit in Takt 3, unter der Fermate, muss natürlich wieder ein f (zweite Note von oben) erklingen. Auch dies ergibt sich aus dem Fingersatz (niemand würde mit dem gegebenen 3, 1, 2, 4 die Töne a, c, fis, c spielen wollen - dafür würde man wohl die Finger 3 und 2 austauschen), aber auch daraus, dass die chromatischen Verbindungen davor keine harmonisch dauerhafte Bedeutung haben. Sowohl dis als auch (das nicht erkennbare) fis haben keine weitere Geltung.
Hier macht also der falsch Lesende wahrscheinlich alles richtig (das ging mir auch mehrere Tage so, bis mir das fehlende Kreuz auffiel), und Herausgeber und Korrekturleser (in diesem Falle der Komponist?) haben etwas falsch gemacht. Wer selber Stücke schreibt oder arrangiert wird aber wissen: solche Fehler sieht man einfach nicht! Man denkt richtig, man spielt was man meint, also richtig - ein fehlendes Vorzeichen kann man da absolut "übersehen"!
Fehler vermeiden - aber wie?
Wie schafft man es, diese lustigen Fehler zu vermeiden? Ganz einfach: indem man sich immer wieder klarmacht:
Eine Note ist eine Note ist eine Note.
Wenn man musizieren nach Noten lernt, hat man je nach Instrument mehr oder weniger zusätzliche Zeichen in den Noten stehen, die sich auf die technische Ausführung beziehen. Sogar in modernen Stücken für Blockflöte steht manchmal ein Griffbild (eventuell in einer Fußnote), wenn man einen merkwürdigen Klang, etwa mehrere Töne auf einmal erzeugen soll, und aus den Noten allein nicht hervorgeht, wie das funktioniert.
In Gitarrennoten steht grundsätzlich viel an Zusatzinformationen, aber zuerst muss man immer die Note anschauen. Der Fingersatz ist nur eine Angabe, wie man sie (an dieser Stelle) technisch herstellen soll, aber eine 1 vor einem fis macht dieses nie zum f - dafür ist das Auflösungszeichen zuständig, und ein Auflösungszeichen gehört der Notenschrift an, nicht den zusätzlichen Zeichen.
Das Reich der Musik hat seine eigene Schrift und Sprache, wozu als ergänzende Angaben natürlich auch Dinge wie "Allegro", "dal segno al fine" oder ein banales Wiederholungszeichen gehören. Diese Dinge sind die Noten oder beeinflussen deren Ausführung. Fingersätze, Lagenbezeichnungen oder Angaben zur Saite, auf der ein Ton gegriffen werden soll sind Hilfsangebote an die merkwürdigen intelligenten Lebewesen auf diesem Planeten, die sich an Tätigkeiten wie dem Gitarrenspiel versuchen, haben mit den Noten an sich aber nichts zu tun!