Akzidentien / Versetzungszeichen / Vorzeichen
"Akzidentien" ist der Sammelbegriff für ♯, Doppelkreuz
𝄪, ♭, Doppel-♭ oder Auflösungszeichen
♮, egal ob hinter dem Notenschlüssel als
"Vorzeichen" oder direkt vor einem Ton mitten in einem Takt als
"Versetzungszeichen".
Der Fachbegriff für das Erhöhen oder Erniedrigen
von Tönen ist "alterieren".
Ein Abschnitt über die alterierten Töne auf
dem Griffbrett der Gitarre findet sich
hier.
Man kann jeden Stammton mit einem Kreuz um einen Halbtonschritt erhöhen, oder mit einem ♭ um einen Halbtonschritt erniedrigen. Am Ende der folgenden Grafik sieht man Beispiele für Doppelkreuz und Doppel-♭.
Die veränderten Notennamen
Die erhöhten Töne
Die erhöhten Töne heißen cis, dis, eis, fis, gis, ais, his.
Damit man sie unterscheiden kann werden "eis" und
"ais" zweisilbig ausgesprochen, also "e-is" und "a-is".
Die erniedrigten Töne
Die erniedrigten Töne heißen ces, des, es, fes, ges, as, b.
Bei den ♭s gibt es also drei Ausnahmen. Eigentlich wird an den Tonnamen die Silbe "-es" angehängt; bei "e" und "a" hängt man einfach den Buchstaben "s" an. Und das erniedrigte "h" heißt "b", während das doppelt erniedrigte "h" "heses" heißt. Der Grund dafür liegt in grauer Vorzeit: die beiden Töne wurden mit "b quadratum" und "b rotundum" ("quadratisches b" für das h mit Auflösungszeichen und "rundes b") bezeichnet, und von letzterem ist die Kurzform wohl übrig geblieben.
Vorzeichen werden hinter dem Notenschlüssel notiert und gelten für das ganze Stück oder bis sie aufgehoben oder durch andere ersetzt werden.
Geltungsdauer der Versetzungszeichen
Versetzungszeichen gelten normalerweise bis zum Taktstrich, allerdings gibt es auch hier Ausnahmen (zeitgenössische Musik). Die Notenzeile unten zeigt einige Beispiele für ihre Verwendung und die des Auflösungszeichens:
1): Da vier Kreuze, fis, cis, gis und
dis vorgezeichnet sind, muss ein Auflösungszeichen vor das
dis, um ein d zu erhalten.
2): Das Auflösungszeichen gilt wie die anderen Versetzungszeichen nur
bis zum Taktstrich. Eigentlich heißt die Note bei 2) also wieder dis;
dass ich trotzdem ein Kreuz vor das dis gesetzt habe ist ein
freundlicher Hinweis zur Erinnerung. Man nennt das ein "Warnakzidens".
3): Für das eis muss ich natürlich ein Kreuz
setzen.
4): Da das Kreuz bis zum Taktstrich gilt, ist diese Note ebenfalls
ein eis.
5): Wieder die freundliche Erinnerung: wir hatten einen Taktstrich,
hier gilt wieder e...
6): Ganz normales Auflösungszeichen für ein
d.
7): Ebenfalls ein völlig normales Versetzungszeichen. Da es sich um
einen Leitton zum cis handelt, setze ich natürlich ein
his, keinesfalls ein c!
Die Melodie hat
sich am Ende nach Cis-Moll bewegt. Dem entspräche in A-Moll (keine Vorzeichen) der Schluss
"gis - a". Niemand käme da auf die Idee
"as - a" zu schreiben. Beim "his" fragen alle
sofort "Warum kann man da nicht "c" schreiben?"...
Das
"his" ist nunmal die Terz der Dominante zu Cis-Moll, Gis-Dur, so wie
"gis" die Terz des E-Dur-Akkordes ist, der Dominante zu A-Moll.
Akzidentien und Logik
Das Doppel-♭ und das Doppelkreuz bieten logisch denkenden Menschen immer wieder Anlass zu Fragen. Abgesehen davon, dass man besonders bei modernerer Musik nie sicher sein kann, ob ein Versetzungszeichen nur für eine Note, oder für eine Tonhöhe im Takt (also mehrere Noten gleicher Höhe) oder für alle Noten gleichen Namens im Takt gelten, und davon, dass Menschen Fehler machen - kann man sicher sein, dass sich Versetzungszeichen nicht addieren?
Versetzungszeichen addieren sich nicht!
Nehmen wir an, ich schreibe ein Stück in Des-Dur, das bekanntlich "b, es, as, des, ges" als Vorzeichen hat, und brauche irgendwo ein heses. Das ♭ gibt es ja schon - muss ich dann vor die Note auf der h-Linie ein weiteres ♭-Zeichen setzen um zwei zu haben, oder doch zwei?
Im Beispiel unten habe ich versucht, verschiedene Möglichkeiten zu zeigen. Dabei wurde die Setzung der Akzidentien nicht von mir, sondern vom Notenschreibprogramm entschieden. Sie wird also richtig sein - sonst wäre das Programm wohl nicht mehr auf dem Markt...
Takt 1: Auf ein ♭ folgt ein
heses, das zwei ♭s bekommt. Das
♭ danach wird durch ein ♭ angekündigt - kein
Auflösungszeichen, und auch nicht Auflösungszeichen plus ♭. Dazu folgen
gleich aber Beispiele, wo das doch anders ist!
Takt 2: Auf heses und
♭ folgt hier noch ein h, das nur ein
Auflösungszeichen bekommt.
Takt 3: Hier kommt nach dem heses direkt ein
h, für das wieder ein Auflösungszeichen ausreicht, und dann ist die
Reihenfolge umgedreht: auf h folgt ♭ und dann
heses, aber auch hier addiert sich nichts.
In gewisser Weise sind diese Schreibkonventionen für logisch denkende Menschen vielleicht problematisch: warum steht nach dem heses vor dem ♭ nicht ein Auflösungszeichen plus ♭? Und müssten vor einem h nach heses nicht zwei Auflösungszeichen stehen?
Gegenbeispiele aus älteren Ausgaben
Tatsächlich finde ich viele Beispiele für die Schreibweise "Auflösungszeichen plus
♯ oder ♭ nach doppelten Vorzeichen". Was mein
Notenschreibprogramm nicht macht, findet man sehr wohl in älteren Ausgaben.
In der
Peters-Ausgabe von Cerny, 40 tägliche Übungen steht auf Seite 58 in Zeile 4 bei
fünf vorgezeichneten Kreuzen nach einem fisis ein
fis mit ♮♯ davor.
In einer Peters-Ausgabe der Haydn-Klaviersonaten steht in der letzten Zeile des zweiten Satzes der As-Dur-Sonate nach einem heses in der linken Hand im gleichen Takt das einfache b mit ♮♭ davor.
Im deutschen Requiem von Brahms findet sich sogar so ein Warnakzidenz: in der Altstimme steht eine heses und zwei Takte später wieder ein b mit ♮♭ davor.
Einfache Regeln für schnelle Entscheidungen
Die älteren Ausgaben machen also quasi Angaben mit Versicherung: nach einem doppelten Versetzungszeichen kommen zur Sicherheit Auflösungszeichen plus einfachem Kreuz oder b. Das aktuelle Notenprogramm sagt: wozu erst darüber nachdenken? Einfaches Vorzeichen heißt genau das, fertig.
Der ausführende Musiker ist in einer schwierigen Situation - und damit meine ich nicht den Gitarristen, der zu Hause ein Stück Phrase für Phrase auswendig lernt, sondern eher den Orchestermusiker bei Probe oder Aufführung: er muss jede Note sofort beurteilen können, und zwar nach möglichst einfachen Regeln, die keine Abwägung mehrerer Faktoren nötig machen:
- 5 ♭s sind vorgezeichnet - Tonart ist Des-Dur! Damit sind viele Entscheidungen mitgefällt: man denkt in bestimmten Kategorien, weiß um harmonische Wendungen etc.
- 1 ♭ vor einer Note, die eigentlich schon ein ♭ hat: das muss ein Warnakzidens sein, kurz vorher war die Note wahrscheinlich verändert.
- ♭♭ vor einer Note: das ist dann eine doppelt erniedrigte Note wie heses oder eses.
- Auflösungszeichen nach einem ♭ oder ♭♭, auch nach einfachen Vorzeichen vorne: das ist der Stammton.
- Möglichst keine Mehrdeutigkeiten zulassen. Logik ist egal, sofortige Entscheidungen müssen möglich sein.
In Lead-sheets für Jazzstücke steht bisweilen (RealBook) nur vor der ersten Zeile die Vorzeichnung für die Tonart. Wenn plötzlich komische Töne kommen (in Jazzarrangements werden gerne mal bequeme enharmonische Verwechslungen geschrieben) fragt man sich beim Spielen schon mal "Äh, hatten wir drei oder fünf ♭s?", schaut schnell zur ersten Zeile, findet seine Stelle nicht wieder, übersieht ein Segno-Zeichen, ach... Noten sollten für die Praxis gemacht und lesbar sein!
Das obige Notenbeispiel mit Doppelkreuzen erklärt die Sache vielleicht noch anders: ein Doppelkreuz ist EIN Zeichen, nicht die Summe zweier Kreuze, und das gleiche gilt für das Doppel - ♭. Man setzt ein Kreuz oder ein Doppelkreuz, aber man addiert oder subtrahiert nicht.
Braucht man das Auflösungszeichen?
Aus ähnlichen Gründen kann man folgern, dass man bestimmte Dinge NUR mit einem Auflösungszeichen schreiben kann:
Takt 1: Wenn ich in G-Dur nach einem fis ein
f haben möchte, muss ich ein Auflösungszeichen setzen.
Takt 2: Hier habe ich probiert, das fis durch
ein ♭ um einen Halbton zu erniedrigen, aber das klappt nicht: das
Programm schreibt ein fes, was zwei Halbtöne tiefer als
fis ist. Es wird nicht subtrahiert! Und das
fes hat dann auch dieselbe Tonhöhe wie das nachfolgende
e.
Takt 3: Auch hier bewirkt das Auflösungszeichen keine "Subtraktion"
um einen Halbton: nach dem fisis erhalte ich ein einfaches
f.
Links zu weiteren Textstellen
Die Versetzungszeichen sind kompliziert, gehören aber in dem Sinne zu den Grundlagen, als sie das Notensystem logisch erweitern. Deshalb folgen hier einige Links zu Stellen, an denen ich versuche, ihre Herkunft und Zusammenhänge zu erläutern. Weshalb es Kreuze überhaupt gibt, lässt sich gut bei der Entwicklung der Tonleiter erklären. Das Thema ist für einen kurzen Abschnitt hier einfach zu umfangreich.
- Warum kam das erste Kreuz auf die Welt und welche Funktion hat es?
- Warum braucht man unbedingt ein Zeichen zum Erniedrigen von Noten und kommt nicht mit einem Erhöhungszeichen aus?
- Warum benötigt man unbedingt die Note "eis", wo doch das "f" offenkundig im gleichen Bund, auf der gleichen Taste etc. herstellbar ist, und warum ist es nicht nur schade, sondern verwirrend und unlogisch, wenn ein Komponist oder Bearbeiter an einer Stelle ein "g" setzt, wo ein "fisis" nötig wäre?
- Warum kann in einem Dreiklang ein Ton mit Doppel-♭ oder Doppelkreuz nicht durch einen "normalen Ton" ersetzt werden?
- Warum erleichtert es das Notenlesen, wenn man die richtigen Versetzungszeichen statt scheinbar "einfacherer" Töne setzt?
- Warum verwirren enharmonische Verwechslungen?
Die Antworten auf diese Fragen sind jemandem völlig klar, der unser Notensystem grundsätzlich verstanden hat, während dem Unkundigen natürlich erst mal komisch vorkommt, dass die leere h-Saite der Gitarre auch ces-Saite heißen könnte. Man braucht das doch nicht wirklich, oder? Sagen wir mal so: Alles an Spitzfindigkeiten braucht man natürlich nicht im Alltag, aber soll man etwas für Unsinn erklären, nur weil es selten bis nie vorkommt, wenn es total sinnvoll und normal wäre, wenn es vorkäme?
Übung: Akzidentien
Eine kleine Übung zu den Versetzungszeichen: Schreibe die folgenden Noten in den angegebenen Tonarten mit Akzidentien, diesmal ohne "Warnakzidentien" zu setzen (In der Lösung sind die möglichen Warnakzidentien grün formatiert.). Jede Note als Viertel, nach vier Vierteln kommt ein Taktstrich (|).
E-Dur: cis' - fis' - d' - ais' | a' - gis' - g' - dis' | As-Dur: es' - a' - as' - ges' | d' - e' - g' - heses' |
D-Dur: ais' - a' - as' - gis' | g' - c'' - cis' - cis'' | B-Dur: h' - h - b' - b | es' - e' - es'' - e'' ||
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