Falsche Vorzeichen
Unzählige Lehrlinge der Musik vor dir haben schon beim ersten Hören der Notennamen "his" oder "fes" gefragt, ob es denn nicht einfacher wäre, diese Töne "c" bzw. "e" zu nennen. Die Musik ist aber ziemlich logisch aufgebaut.
Selbstverständlich hat auch der Ton "cis" das Recht auf einen Leitton von unten, der tatsächlich einen anderen Namen trägt! Wenn die C-Dur-Tonleiter c-d-e-f-g-a-h-c heißt, dann muss die Cis-Dur-Tonleiter so aussehen: cis-dis-eis-fis-gis-ais-his-cis. Und wer meint, die letzten beiden Töne sollten besser c-cis sein, der müsste doch auch in der C-Dur-Tonleiter am Schluss ces-c haben wollen, oder?
Stell dir bitte vor, du sollst in einem Stück die Tonfolge "h - c - des - c" vom Blatt spielen, und die Töne sind als "ces - c - cis - c" notiert. Alle Töne lägen auf der gleichen Notenlinie und man müsste auf 4 Versetzungszeichen reagieren! Dieses kleine Beispiel wirkt vielleicht nicht dramatisch, aber es gibt ja Berufsmusiker, die im Orchester während einer 5-stündigen Wagneroper möglichst wenige Fehler machen sollen. Nicht nur für sie ist der erste Takt erheblich übersichtlicher als der zweite. Im nächsten Abschnitt folgen weitere Beispiele zu dieser Frage:
Warum schreibt man in G-Dur die 7. Stufe als fis und nicht als ges?
Die Tonleiter würde dann überhaupt nicht dem Ausgangsmodell, der C-Dur Tonleiter entsprechen. Es würde ja auch niemand im Ernst vorschlagen, das h in der C-Dur-Tonleiter als ces zu notieren! Und mit welchen Vorzeichen sollte man so eine Tonleiter notieren? G-Dur mit einem ges davor?
Wenn man in der G-Dur-Tonleiter das fis durch ges ersetzt, müsste man in C-Dur eigentlich auch das h durch ces austauschen...
Eine solche Tonleiter hätte keine siebte Stufe, sondern eine erniedrigte und eine normale achte (erste) Stufe. Zwischen dem sechsten und dem siebten Ton läge eine verminderte Terz, und der siebte Ton wäre nicht als Leitton zu erkennen.
As-Dur ohne ♭s
Aus dem gleichen Grund wäre es eine schlechte Idee, die Erfindung des ♭ rückgängig zu machen und alle erniedrigten Töne in den B-Tonarten als Kreuze schreiben zu wollen. Unten als Beispiel As-Dur mit Kreuzen statt b, es, as und des - diese Tonleiter hätte die erste und vierte Stufe zweimal, und dafür keine dritte und sechste Stufe, mal abgesehen davon, dass sie gar nicht auf As steht... Daneben die konsequente Lösung: Gis-Dur statt As-Dur - deutlich mehr Vorzeichen inklusive Doppelkreuz!
Normale Notation mit ♭s
Als Beispiel für den Ernstfall hier Takt 27 - 29 aus der Fuge As-Dur, Wohltemperiertes Klavier I, von J.Seb. Bach:
Dies ist die normale Notation mit b, es, as, des. In Takt 28 stehen drei Auflösungszeichen, weil Herr Bach das so wollte (und wir würden uns wundern, wenn er die Töne so nicht gewollt hätte), und im Folgetakt ein Erinnerungs- ♭ - das war's.
Notation mit Kreuzen als Versetzungszeichen
Hier ist nun die Welt endlich verbessert: es gibt keine
♭s, sie sind alle als Kreuze geschrieben. Natürlich ist dieses
Beispiel unfair, denn da ich die Kreuze nicht vorgezeichnet habe sieht das Auge nicht nur
Terzsprünge in rauhen Mengen, wo das Ohr Sekundschritte hört, sondern es sind wirklich viele
Versetzungszeichen im Notentext, und das ist gemein!
Ich muss einräumen, dass ich mir
nicht allzu viel Mühe gegeben habe. Gleich vorne in Takt 27 hätte ich die beiden Noten in den
Stimmen 1 und 2, ais und gis irgendwie
auseinander schieben müssen, sodass man die Noten, die beiden Kreuze und den Haltebogen
erkennen kann. An solchen Stellen kommen Notenschreibprogramm und Layout an ihre Grenzen...
Notation mit Kreuzen als Vorzeichen
Hier habe ich ais, dis, gis, cis als "Vorzeichen" hinter die Notenschlüssel gesetzt und die Versetzungszeichen im Text entfernt. Was bleibt sind die (optischen) Terzsprünge, die eigentlich Sekundschritte sind, und viele Auflösungszeichen und danach gesetzte Kreuze. Die kann man nicht reduzieren, denn da ja die dritte und sechste Stufe der Tonleiter abgeschafft wurden, erscheinen statt dessen andere Stufen doppelt besetzt. Versetzungszeichen müssen den Unterschied herstellen. Das schafft keine Übersicht!
Könnte man das ♭ abschaffen?
Um die
♭s abzuschaffen und durch Kreuze darzustellen wäre vielleicht das Mittel
der Wahl, As-Dur einfach als Gis-Dur zu schreiben. Das hätte allerdings den Nachteil, dass zur
Grundausstattung 8 Kreuze, beziehungsweise 6 Kreuze und ein Doppelkreuz für den Leitton
fisis gehörten, und weitere Doppelkreuze bei Zwischendominanten für
Noten wie cisis oder gisis.
Wenn man den
Plan zu Ende denkt, muss man Stücke in F-Dur als Eis-Dur notieren und dabei
fisis, cisis, gisis, disis, ais, eis und
his setzen - viel Spaß!
Im Trio von Franz Schuberts Impromtu As-Dur aus Opus 142, dessen zweiter Teil in Des-Moll beginnt, weicht Schubert nach acht Takten nach Fis-Moll aus (er setzt allerdings für die folgenden 10 Takte nicht die Vorzeichen von Fis-Moll, sondern schreibt sie als Versetzungszeichen in den Text, nachdem er alle bs aufgelöst hat), indem er nach dem letzten Des-Moll-Akkord statt Ges-Moll Fis-Moll schreibt. Die innere Logik so eines Stückes wäre ohne friedliche Koexistenz von Erhöhungs- und Erniedrigungszeichen kaum darstellbar.
Ich hoffe, die Beispiele machen deutlich, dass die Abschaffung der enharmonisch verwechselbaren
Noten wie
dis / es oder gar a / heses (bei Schubert) für
Anfänger in der Musik kein Segen wäre - für "gelernte Musiker" wäre es eine Katastrophe, denn
die Fähigkeit, ein anderhalbstündiges Orchesterkonzert ohne allzu viele Aussetzer zu bewältigen,
beruht auch darauf, dass man Sinn in dem entdeckt, was man da aus den Noten umsetzt.
Es
gibt keine andere Lösung für das Problem der zu hohen 4. Stufe bei den
♭-Tonarten, als ein Zeichen zum Erniedrigen zu erfinden.
Aber könnte man nicht die Akzidentien überhaupt abschaffen und das Problem damit lösen, dass jede Note, auch die alterierten, einen gleichberechtigten Platz in den Notenlinien zugewiesen bekommt? Hier geht's zur Diskussion dieser Frage.