Intervalle und das Griffbrett der Gitarre
Die genaue Größe der Intervalle lässt sich mit Hilfe einer Gitarrensaite auf dem Griffbrett gut darstellen - vielleicht besser als mit einer Klaviertastatur. Auf dem Griffbrett sieht man unmittelbar: von Bund 0, also von der leeren Saite aus, ist es 1 Schritt bis zum ersten Bund, und zwölf bis zur Oktave in Bund 12.
Auf der Klaviatur muss man immer fein das schwarz-weiße Zickzackmuster abschreiten. Trotzdem wird über Musiktests in der Schule oft eine Tastatur abgedruckt, denn auf ihr kann man die schwarzen Tasten schön sehen, während man auf dem Griffbrett wissen muss, wo welcher Ton ist. Aber wir kennen ja unser Griffbrett!
Die folgenden Beschreibungen setzen zwei Dinge voraus: Du solltest verstanden haben, dass man zunächst den Intervallnamen ermittelt, indem man von einem Tonnamen zum anderen zählt, wobei man den Ausgangspunkt mitzählt, und dann die genaue Größe in Halbtonschritten ausrechnet, wobei man den Ausgangspunkt nicht mitzählt. Nur so kommt man zu einem richtigen Ergebnis - öffne zum Vergleichen vielleicht diese Aufstellung.
Da die Gitarre keine C-Saite wie Violoncello oder Laute hat, habe ich die g-Saite als Beispiel genommen.
1 Halbtonschritt:
übermäßige Prime oder kleine Sekunde
Die Noten g nach gis "stammen" beide vom g "ab", also ist der der Wert der Intervallnamen "1", es ist also eine Prime. Da von g nach gis aber ein Halbtonschritt ist, ist die Prime übermäßig.
Dagegen bekommt man bei den Intervallnamen g und as den Wert "2", denn man zählt g(1), a(2). Weil man g nach as aber nur einen Halbtonschritt macht, ist es eine kleine Sekunde.
2 Halbtonschritte:
große Sekunde oder verminderte Terz
Zwischen g und a ist der Abstand wieder "2", also eine Sekunde. Da es von g nach a zwei Halbtonschritte sind, ist es eine große Sekunde.
Die Terz
g-heses sieht sehr spekulativ aus. Da sie nur 2 Halbtonschritte umfasst,
also noch kleiner als die kleine Terz ist, ist es eine verminderte Terz.
Dieses Intervall
kann tatsächlich zwischen großer Terz und verminderter Quinte in einer Dominante entstehen -
beide Töne lösen sich dann in den Grundton des Zielklanges auf. Als Beispiel rechts die
Verbindung Eb7♭5 - Abm. Der Akkord
Eb7♭5 enthält die Töne
g und heses, die sich beide ins
as auflösen.
3 Halbtonschritte:
übermäßige Sekunde oder kleine Terz
Von
g nach ais zählt man 2:
g(1), a(2), also ist dies eine Sekunde. Da es
von g nach ais drei Halbtonschritte sind, und
die Sekunde somit einen Halbtonschritt größer ist als die große Sekunde, haben wir hier eine
übermäßige Sekunde.
Dieses Intervall tritt zum Beispiel zwischen kleiner None und großer
Dezime (der Durterz) Im Akkord F♯7♭9 auf, der
sich nach Bm auflöst.
Von g nach b ist der Intervallabstand 3, denn man zählt g(1), a(2), h(3). Drei Tonschritte bedeutet: es geht um eine Terz. Weil es 3 Halbtonschritte von g nach b sind, ist es eine kleine Terz.
4 Halbtonschritte:
große Terz oder verminderte Quarte
Von g nach h sind es wieder 3 Intervallschritte, also eine Terz. Da es von g nach h vier Halbtonschritte sind, ist die Terz groß.
Von g nach ces ist der Intervallwert aber 4: g(1), a(2), h(3), c(4), also handelt es sich um eine Quarte. Eine Quarte mit 4 Halbtonschritten ist vermindert. Das klingt nach einem merkwürdigen Intervall, sie liegt aber ganz gemütlich zwischen Leitton und Terz jeder harmonischen Molltonleiter. Im Falle des Intervalls g - ces wäre das in As-Moll der Fall.
5 Halbtonschritte:
übermäßige Terz oder reine Quarte
Das Intervall zwischen g und h ist immer noch 3, also eine Terz. Aber von g nach his zählt man fünf Halbtonschritte, einen mehr als bei der großen Terz, also haben wir eine übermäßige Terz vor uns.
Von g nach c sind es 4 Töne, also handelt es sich um eine Quarte. Wegen der 5 Halbtonschritte ist es eine reine Quarte.
Im 5. Bund jeder Gitarrensaite findet man den Ton der nächst höheren Saite - mit Ausnahme der g-Saite! Das sieht man hier: würde man die Saite über der g-Saite nach dem 5. Bund stimmen, bekäme man eine c-Saite, was furchtbare Folgen für die Griffe auf der Gitarre hätte. Die nächst höhere Saite ist zum Glück nicht auf c, sondern auf h gestimmt.
6 Halbtonschritte:
übermäßige Quarte oder verminderte Quinte
Von g nach c zähle ich 4 Töne, also eine Quarte. Da die Quarte g-cis 6 Halbtonschritte umfasst - von g nach gis(1), nach a(2), nach ais(3), nach h(4), nach c(5), und nach cis(6) - ist sie einen Halbtonschritt größer als die reine Quarte, also übermäßig. Sechs Halbtonschritte entsprechen 3 Ganztonschritten - dieses Intervall heißt auch "Tritonus".
Von g nach d sind es hingegen 5 Töne, denn man zählt g(1), a(2), h(3), c(4), d(5), also handelt es sich um eine Quinte. Wegen ihrer 6 Halbtonschritte ist g-des eine verminderte Quinte.
Beide Intervalle sind das Charakteristische am Dominantseptakkord und sorgen maßgeblich dafür, dass er sich in einen Zielklang, zum Beispiel seine Tonika auflösen will.
7 Halbtonschritte:
reine Quinte
Fünf Töne sind es von g nach d, und sieben Halbtonschritte. Dieses Intervall ist die reine Quinte.
Im 7. Bund der Gitarrensaiten - bis auf die h-Saite - findet man die Oktave der nächst tieferen Saite. Auf der g-Saite liegt die Oktave der benachbarten d-Saite.
8 Halbtonschritte:
übermäßige Quinte oder kleine Sexte
Es sind immer noch 5 Töne von g nach d, aber da der Zielton dis ist, also 8 Halbtonschritte vorliegen, ist die Quinte übermäßig. Auch dieses Intervall kommt in freier Wildbahn in der harmonischen Molltonleiter vor: zwischen Terz und großer Septime (Leitton) der Tonleiter.
Von g nach es ist der Wert des Intervalls 6, denn man zählt g(1), a(2), h(3), c(4), d(5), e(6), also handelt es sich um eine Sexte. Eine Sexte ist klein, wenn sie wie hier aus 8 Halbtonschritten besteht.
9 Halbtonschritte:
große Sexte oder verminderte Septime
Die 6 Tonschritte g nach e und die neun Halbtonschritte machen dieses Intervall zu einer großen Sexte.
Von
g nach fes sind es 7 Töne, überprüfen wir:
g(1), a(2), h(3),
c(4), d(5), e(6),
f(7). Da es aber nur 9 Halbtonschritte bis zum 9. Bund sind, ist
g-fes eine verminderte Septime.
Verminderte Septimen sehen immer
gut aus zwischen Leitton und 6. Tonleiterstufe einer Molltonleiter, wie im Falle
gis-f in A-Moll. Sie liegen zwischen großer Terz und kleiner None des
Dominantseptnonakkordes in Moll, der ohne Grundton der
verminderte Septakkord ist.
G-fes gehört natürlich nach As-Moll - einer Tonart, die nicht so häufig
auftritt.
10 Halbtonschritte:
übermäßige Sexte oder kleine Septime
Mit 10 Halbtonschritten von
g nach eis beziehungsweise
f sind wir schon fast bei den 12 Halbtonschritten der Oktave angelangt.
G-eis ist natürlich eine übermäßige Sexte, das Komplementärintervall zur
verminderten Terz. Im Bild rechts als Beispiel
C♯7♭5 - F♯m. Dabei entsteht die übermäßige
Sexte g-eis zwischen der tiefalterierten Quinte und dem Leitton, und
beide Töne lösen sich in den Grundton des Zielklanges auf.
Von g nach f sind es 7 Töne und 10 Halbtonschritte, also eine kleine Septime. An ihr erkennt man sofort einen Dominantseptakkord, wenn man einen hört.
11 Halbtonschritte:
große Septime oder verminderte Oktave
Von g nach fis ist der Intervallwert wieder 7, also eine Septime. Da es von g nach fis elf Halbtonschritte sind, haben wir eine große Septime vor uns.
Von g nach ges zählt man bis 8: g(1), a(2), h(3), c(4), d(5), e(6), f(7), g(8), also geht es sich um eine Oktave. Mit nur 11 Halbtonschritten ist es eine verminderte Oktave.
12 Halbtonschritte:
reine Oktave
Zwischen g und dem nächsten g liegen 8 Töne und von g bis g sind es 12 Halbtonschritte: das ist die reine Oktave.
Nach dem
g im zwölften Bund "geht die Saite wieder von vorne los": es folgen
wieder gis/as, a, ais/b, h und so weiter, und die Intervalle heißen
kleine None, große None, Dezime... und man darf sie etwa bis zur Duodezime übersetzen können, in
diesem Falle in "Oktavquinte".
Ermutigend aber sollte doch sein, dass man zum Beispiel als
E-Gitarrist ab Bund 12 nichts neues mehr zu lernen braucht - im 14. Bund liegt derselbe Ton wie
im 14 - 12 = 2. Bund, nur eine Oktave höher!
Komplementärintervalle auf dem Griffbrett der Gitarre
Auch die Komplementärintervalle lassen sich mit dem Gitarrenhals sehr anschaulich darstellen. In der folgenden Grafik siehst du zunächst die Zählung der Tonabstände, die für die Ermittlung des Intervallnamens wichtig sind.
Die Intervalle
g-h, eine große Terz, und h-g, eine kleine
Sexte, ergänzen sich zur Oktave g-g.
Mit den dicken hellgrünen
Punkten habe ich die Töne g, h und g markiert, die kleineren
dunkelgrünen Punkte symbolisieren die Stammtöne dazwischen.
Man zählt zunächst g (1) - a (2) - h (3), also 3 Töne, und beginnt dann beim h erneut: h - c - d - e - f - g, und erhält so nochmal 6 Töne. Die 3 Tonschritte der Terz und die sechs der Sexte ergeben zusammen 9 - einen mehr als die erwarteten 8 der Oktave. Das liegt daran, dass man das h als Endpunkt der Terz und als Ausgangspunkt der Sexte doppelt zählen musste.
In der zweiten Grafik werden die Halbtonschritte gezählt. Hierbei zählt man so: Von g nach gis(1), nach a(2), nach ais(3), nach h(4), und dann beginnt man von h aus wieder zu zählen, wobei man eben den Ausgangspunkt nicht mitzählt.
Dadurch erhält man in der Endabrechnung 4 + 8 Halbtonschritte, also 12, so als ob man gleich die ganze Oktave abgezählt hätte.
Beides funktioniert natürlich bei allen anderen Umkehrungsintervallen genauso.
Intervalle auf dem Griffbrett finden
Wenn man sich mit dem Gitarrengriffbrett gut auszukennen beginnt, kann man Intervalle darauf sehr einfach bilden beziehungsweise von ihm ablesen. Umgekehrt hilft Wissen über Intervalle dabei, die Struktur von Griffbrettern auf Saiteninstrumenten zu durchschauen. Hierzu ein paar Beispiele:
Quarten
Da alle Saitenpaare im Abstand einer reinen Quarte zu einander gestimmt sind, bis auf die Saiten g & h, liegt es natürlich nahe, sich zunächst mal einige Quarten anzuschauen. Machen wir ein Bild mit ganz vielen Quarten g-c!
Man findet diese Quarte auf E- und A-Saite im 3. Bund, auf d- und g-Saite in Bund 5, auf A- und d-Saite im 10. Bund, und auf h- und e-Saite in Bund 8, immer schön nebeneinander
Genauso ist es natürlich mit allen anderen Quarten - ges-ces liegt jeweils einen Bund tiefer, die Quarte a-d zwei Bünde höher, und natürlich auf den leeren Saiten A und d!
Quinten
Da eine Quinte einen Ganzton größer ist als eine Quarte, liegt der Ton auf der höheren Saite zwei Bünde höher. "Höher" ist nicht räumlich aufzufassen, sondern bedeutet: auf dem Bund mit der höheren Ordnungszahl!
Das F auf der E-Saite ist im 1. Bund, das c im 1 + 2 = 3. Bund. Das f auf der A-Saite ist in Bund 8 (5 Halbtonschritte oder Bünde höher als das eben genannte c - auch das kann man so abzählen!), dann muss die Quinte c' dazu auf der d-Saite in Bund 10 sein.
Der Quintraum lässt sich mit den ersten fünf Tönen einer Durtonleiter auffüllen - damit kann man viele einfache und Kinderlieder spielen. Wenn man zum Beispiel die Töne in D-Dur in der 2. Lage setzt (die Tonreihe in orange), kann man mit den leeren d- und A-Saiten für Tonika und Dominante die Lieder zweistimmig spielen, was auch in allen Lehrbüchern für Gitarre irgendwann passiert.
Die Fünftonreihen sehen - solange man nicht auf der g-Saite beginnt - überall gleich aus, ob man C-Dur oder Cis-Dur spielt ist ziemlich egal, man muss nur eine Lage nach oben rutschen - da ist die Gitarre wirklich mal praktisch!
Terzen
Die Grafik zu den Terzen sieht ziemlich unordentlich aus, schon allein weil ich die große Terz (hellgrün wie der Grundton) und die kleine Terz (dunkelgrün) eingefügt habe.
Die große Terz c-e findet sich auf A- und d-Saite in Bund 3 und 2; das es, die kleine Terz, in Bund 1. So ist das an allen Stellen: die große Terz liegt auf der höheren Saite einen Bund, die kleine Terz zwei Bünde tiefer als der Grundton auf der tieferen Saite.
Oktaven
Wenn man sich Oktaven über drei und vier Saiten anschaut, wird klar: hier stößt man bald an die h-Saite, die ja im Verhältnis zur g-Saite einen Halbton tiefer gestimmt ist als die Quartenpaare. Dazu bräuchte man noch ein kleines Kapitelchen...
Oktaven liegen zwischen E- und d-Saite oder zwischen A- und g-Saite immer in Bund y und y + 2, also zum Beispiel in Bund 3 und 5.
Greift man eine Oktave auf E- und g-Saite, muss man vom Bund auf der E-Saite 3 Bünde abziehen: das c liegt auf der E-Saite im 8. Bund, das c' auf der g-Saite in Bund 5.
Die "h-Saiten-Verschiebung"
Alles, was im vorigen Kapitel über Intervalle auf benachbarten Saiten stand, ist
zwischen g- und h-Saite anders. Die beiden sind eine große Terz von einander
entfernt, also einen Halbton weniger als alle anderen Saitenpaare, und deshalb kann man das dort
Beobachtete vergessen, oder, besser gesagt, sich genau merken, und leicht abwandeln:
Man muss immer "einen Bund hinzufügen", dann stimmt alles wieder.
Diese Geschichte ist auch auf der Seite über die Verwandschaft zwischen Standardgriffen diskutiert. Auch dort habe ich den Begriff "h-Saiten-Verschiebung" benutzt, eine Erfindung, die einfach darauf aufmerksam machen soll, dass hier etwas besonderes passiert.
Die
kleine Terz
a-c liegt in den Bünden 2 und 1, nicht drei Bünde auseinander wie auf
den Quartpaaren, und bei der großen Terz - hier als Beispiel
b-d - liegen die Töne direkt neben einander.
Die
reine Quarte
c-f liegt in den Bünden 5 und 6 der g- und h-Saite, und bei der
reinen Quinte muss man "y + 3" rechnen, nicht wie sonst "y + 2": das
d ist auf der g-Saite im 7. Bund, das a auf der
h-Saite im 10.
Einfach zusammengefasst: der Ton auf der h-Saite liegt immer einen Bund höher, als er auf den Saitenpaaren läge, die in Quarten gestimmt sind.
Oktaven mit der h-Saite dazwischen
Wenn man eine Oktave über mehrere Saiten mit der h-Saite dazwischen greift, ist auch wieder alles anders:
Die
Oktave über 3 Saiten
e-e liegt 4 Bünde auseinander: das e auf der
d-Saite im 2. und das e auf der h-Saite im 5. Bund.
Bei der Oktave
zwischen g- und e-Saite muss man dieselbe Rechnung machen: mein Beispiel
d-d liegt auf der g-Saite im 7. und auf der hohen e-Saiten im 10. Bund.
Die Oktaven über 4 Saiten liegen jeweils 3 Bünde auseinander: das e auf der A-Saite zum e auf der h-Saite liegt im 7. Bund, die Oktave d-d auf d-Saite und hoher e-Saite liegt in den Bünden 10 und 12.
Wenn man diese Griffpunkte mit denen der Oktaven über in Quarten gestimmte Saiten vergleicht,
kann man zusammenfassen: über 3 Saiten ist der Griff einen Bund weiter auseinander wenn die
h-Saite mit im Spiel ist, und über 4 Saiten einen Bund enger! Verkehrte Welt! Ist das nicht
unglaublich unpraktisch, sind nicht die Spieler sechssaitiger E-Bässe die einzig schlauen
Menschen, die ihre tiefste Saite auf
H, die höchste aber auf c stimmen?
Na ja,
das mag Vorteile haben, wenn man ein Instrument spielt, dass vorwiegend Melodien zu liefern hat,
aber nie sechsstimmige Akkorde, die bei den tiefen Saiten ja nur grummeln würden. Die Nummer mit
der Terz mitten in der Gitarrenstimmung, die ja auch auf Lauten und Gamben existiert, ist im
Gegenteil ein Grund für den
Erfolg dieser Instrumentengruppe
über Jahrhunderte!