Wie baut man eine Durtonleiter direkt auf?
Natürlich ist es von Vorteil, wenn man den Aufbau der Durtonleiter an obigen Beispielen gelernt hat und erfahren hat, dass Kreuze und ♭s in einer bestimmten Reihenfolge entstehen. Deutlicher: ich selber halte das folgende Kapitel eher für ungesund, und es ist tatsächlich nach einer dieser Unterrichtsstunden entstanden, die mit dem Satz begannnen "Wir schreiben nächste Woche einen Test, kannst du uns mal was erklären?". Nichtsdestotrotz:
Man kann eine Durtonleiter auch "aus dem Stand" konstruieren. Dazu braucht man lediglich die Stammtonreihe (c-d-e-f-g-a-h-c), Kenntnis von den natürlichen Halbtonschritten (e-f und h-c), und man muss wissen, wo eine Durtonleiter gerne Halbtonschritte hätte, nämlich von 3 nach 4 und von 7 nach 8. Man kann sich natürlich auch die Abfolge 1 - 1 - ½ - 1 - 1 - 1 - ½ einprägen - ich mag das nicht, weil die Symmetrie der beiden Tonleiterhälften (Tetrachorde) so nicht deutlich wird.
Ich versuche das Verfahren am Beispiel von E-Dur und As-Dur zu zeigen.
Es braucht ermüdend viele Worte, um einzelne Denkschritte zu beschreiben! In den Grafiken sind die "falschen" Tonschritte mit roten Ziffern markiert, und die "in Ordnung gebrachten" grün. Wenn dir Text und Grafiken zunächst unverständlich erscheinen, nehme Papier und Bleistift und schreibe die Noten Schritt für Schritt nach, das hilft garantiert!
E-Dur:
Stammtöne in Tetrachorden und mit Stufenziffern
Um die E-Dur-Tonleiter zu konstruieren schreiben wir erst mal die Stammtöne von e bis e auf (Bild 1). Da ich Wert auf Übersicht lege, setze ich einen Taktstrich nach 4 Noten, schreibe die Ziffern 1 bis 8 darunter und notiere die Halbtonschritte, die ich zwischen 3. und 4. Stufe und zwischen 7. und 8. Stufe brauche.
Reparatur im ersten Tetrachord
Zwischen Ton 1 und 2 brauche ich einen Ganztonschritt, e - f ist aber einer der zwei natürlichen Halbtonschritte (in Bild 2 rot markiert). Also erhöhe ich das f um einen Halbton zum fis.
Dadurch entsteht ein Ganzton (Bild 3: grün). Jetzt liegt zwischen fis und g aber ein Halbtonschritt (rot), also muss ich auch das g erhöhen.
Durch diese Erhöhung gibt es eine Kettenreaktion: zwischen fis und gis liegt ein Ganztonschritt, zwischen gis und a der gewünschte Halbtonschritt, und zwischen a und h ist der Ganzton auch schon fertig (Bild 4: grün).
Das zweite Tetrachord
Aber h - c ist ja der zweite natürliche Halbtonschritt (rot), und da ich von 5 nach 6 einen Ganztonschritt brauche, werde ich (in Bild 5) das c zum cis erhöhen.
Von h nach cis habe ich meinen Ganztonschritt (Bild 5: grün), aber zwischen den Stufen 6 und 7 liegt jetzt ein Halbtonschritt (rot). Das d muss erhöht werden.
Operation gelungen!
Durch die Erhöhung des d zum dis entsteht ein Ganztonschritt von 6 nach 7, und gleichzeitig ergibt sich der Leitton - Halbtonschritt zwischen Stufe 7 und 8. Auch zwischen allen anderen Stufen signalisieren die grünen Ziffern: alles in Ordnung (Bild 6)!
Bei Kreuztonarten wird man nach dieser Methode kaum Fehler machen. Es ist ja ein Tonschritt immer zu klein, also macht man ihn mittels ♯ größer. Man wird ja kaum auf den Gedanken verfallen, den höheren Ton zu erniedrigen, wodurch der Tonschritt noch kleiner würde, oder gar den unteren Ton durch ein ♭ zu verändern - dann wäre es ja nicht mehr derselbe Ton!
As-Dur:
Stammtöne in Tetrachorden und mit Stufenziffern
Für die Konstruktion der As-Dur Tonleiter schreibe ich wieder die entsprechenden Stammtöne auf, notiere aber gleich das ♭ vor dem 1. und dem 8. Ton - ein a sollte in As-Dur ja nicht vorkommen (Bild 1).
Die Lage im ersten Tetrachord
Zwischen as und h liegen 1½ Tonschritte - absolut ungünstig (Bild 2: rot). Da das as ja gesetzt ist, muss ich das h zum b erniedrigen.
Schon habe ich nicht nur zwischen as und b einen Ganztonschritt, sondern auch den von Stufe 2 nach 3 (Bild 3: grün), aber c - d ist nicht der benötigte Halbtonschritt (rot) zwischen der dritten und vierten Stufe. Kann ich das c erhöhen? Natürlich nicht, denn dann erhielte ich zwischen b und cis wieder einen 1½ - Tonschritt. Ich muss das d zum des machen.
Übergang zum 2. Tetrachord und Aufräumen
Der Halbtonschritt zwischen 3 und 4 ist da (Bild 4: grün), aber - schon wieder 1½ Tonschritte, diesmal zwischen den Stufen 4 und 5 (rot)! B-Tonarten scheinen komplizierter zu sein als Kreuztonarten. Ein ♭ vor das e, und ich habe meinen Ganzton von Stufe 4 nach 5 (Bild 5 : grün zwischen 4 und 5).
Und dann? Überraschung! Vom es zum f ist ein Ganzton, von f nach g auch, und der Halbton am Ende der Tonleiter steht schon fertig da: g ist der Leitton. Alles im grünen Bereich... war doch gar nicht so schwer!
Arbeitsergebnisse
Die richtige Vorzeichenart wählen
Bei dieser Methode, Durtonleitern "aus dem Stand" aufzubauen, sollte man lernen:
Bei Kreuztonarten funktioniert alles richtig mit Kreuzen, mit ♭s richtet man nur Chaos an. Umgekehrt kann man in den ♭-Tonarten mit Kreuzen nichts anfangen.
Die richtige Reihenfolge bleibt unklar
Ich habe mit diesem Tonleiteraufbau jeweils eine korrekte E-Dur- und eine As-Dur-Tonleiter
erhalten. Ich kann aber nach getaner Arbeit nicht ableiten, in welcher Reihenfolge die
Vorzeichen von E-Dur (fis, cis, gis, dis) und As-Dur
(b, es, as, des) hinter dem Notenschlüssel zu notieren sind. Es läge ja
nahe, sie in der Reihenfolge der Konstruktion der Tonleiter von unten nach oben
(fis, gis, cis, dis und
as, b, des, es) aufzuschreiben. So etwas wird man aber in gedruckten,
also von Fachleuten erstellten und Korrektur gelesenen Noten nicht finden!
Wenn
ich mich besonders ungeschickt anstelle, könnte ich sogar auf die Idee kommen, bei As-Dur fünf
♭s hinter den Notenschlüssel zu setzen.
Aber wenn mich nicht interessiert, wie die Tonarten in der richtigen Reihenfolge der Quintverwandtschaft entstehen, komme ich mit dieser Methode trotzdem zum Ziel.