Enharmonische Modulation mit dem übermäßigen Quintsextakkord
Der übermäßige Quintsextakkord ist ein komisches Ding: er ist natürlich das, was der Name ankündigt: ein Durakkord, dem eine übermäßige Sexte hinzugefügt wurde. Aber während ich zum übermäßigen Dreiklang oder dem verminderten Septakkord schreiben kann, wo sie herkommen - und die Tatsache, dass zum Beispiel letzterer der Umgebung "harmonische Molltonleiter" entstammt bedeutet ja gleichzeitig, dass er in einer Durumgebung einen "größeren Eingriff" darstellt - wird man zum ü56 nicht so leicht fündig: er existiert immerhin.
Als Dominante zu C-Dur hieße er
G-des-f-as-h - der Grundton fehlt, die
tiefalterierte Quinte liegt im Bass, darüber sind Terz, Septime und kleine None. Geht man von
dieser Herleitung aus, könnte man den Akkord als 1. Umkehrung, also als Quintsextakkord des
Db5 7 b9
interpretieren.
Wenn man alle Halbtonschritte richtig führt, erhält man "Mozartquinten".
Wenn man die Noten so liest, könnte man auch auf die Idee kommen, es handele sich um einen Neapolitaner mit hinzugefügter übermäßiger Sexte, aber da der N eigentlich f-as-des heißt, also auf dem Subdominantgrundton oder auf der Terz der tiefalterierten 2. Stufe steht, und das h dann eine übermäßige Quarte wäre, finde ich das sehr weit hergeholt.
Die besondere Bewandtnis mit dem ü56 ist: die übermäßige Sexte kann man in eine kleine Septime umdeuten und umgekehrt. Deshalb taugt er zur Modulation.
In der Grafik rechts, in der der Dominantseptakkord von C-Dur g-h-d-f in einen übermäßigen Quintsextakkord umgedeutet wird fällt zunächst natürlich auf: ein eis hat in C-Dur nicht so viel zu suchen, und die Funktionsbezeichnung unter der vierten Zählzeit - Zwischendominante (durch das Einklammern angedeutet) ohne Grundton (deshalb ist das "D" durchgestrichen) mit tiefalterierter Quinte im Bass und kleiner None oberhalb der Septime... das kann keine Zwischendominante zur näheren Verwandschaft sein!
Der übermäßige Quintsextakkord als Dominante
Tatsächlich kommt man mit dieser Umdeutung der Septime der Dominante in C-Dur zu einem dominantischen Klang in Fis-Dur oder Fis-Moll.
Das
eis ist natürlich der Leitton zum fis, die
Dominante ohne Grundton kann nur ein Cis-Dur-Akkord sein. Da die verminderte Quinte
g und die kleine None d beide als
Gegenleitton abwärts geführt werden, ergeben sich Quintparallelen, die
berühmten "Mozart-Quinten" (die Mozart selbst gar nicht so oft
geschrieben haben soll). Sie sind durch die rot gestrichelten Linien angezeigt, und sie sind
erlaubt!
In der Oktavlage kommen sie allerdings in den Außenstimmen besonders zur Geltung
- das lässt man dann lieber!
Beispiel 63 Von C-Dur nach Fis-Dur, Terzlage.
Beispiel 64 Von C-Dur nach Fis-Dur, Oktavlage.
Weniger schön wegen der Quintparallelen zwischen den Außenstimmen.
Beispiel 65 Von C-Dur nach Fis-Dur, Quintlage.
Der übermäßige Quintsextakkord als Doppeldominante
Wenn man den umgedeuteten Vierklang
Cis-eis-g-h-d doppeldominantisch einsetzt,
folgt auf ihn zunächst ein Dominantquartsextvorhalt. Dabei wird das
eis wieder aufwärts leittönig zum Grundton
fis geführt, die kleine None d geht aber
chromatisch aufwärts zum dis. Das h bleibt
liegen, die verminderte Quinte g im Bass geht abwärts in den
Dominantgrundton.
Nach der Auflösung des Quartsextvorhaltes folgt eine normale Kadenz.
Beispiel 66 Von C-Dur nach H-Dur, Terzlage.
Beispiel 67 Von C-Dur nach H-Dur, Oktavlage.
Beispiel 68 Von C-Dur nach H-Dur, Quintlage.
Mit dem übermäßigen Quintsextakkord abwärts modulieren.
Möchte man mit diesem Akkord im Quintenzirkel abwärts modulieren, steuert man in der
Ausgangstonart den
D7♭9 mit
♭5
im Bass an, der in der Zieltonart Ges-Dur einfach nur der Dominantseptakkord ist.
Man
könnte natürlich eine Zwischendominante, zum Beispiel A-Dur, einfügen und entsprechend
enharmonisch umdeuten, um die Tonart As-Dur zu erreichen.
Der Leitton h des D7♭9 mit ♭5 im Bass liegt zunächst in der Oberstimme, wird aber in der neuen Tonart enharmonisch umgedeutet als ces zur kleinen Septime, also zum Gegenleitton, und somit abwärts geführt. Die ehemalige Septime f, nunmehr Leitton, springt im Tenor (blau gestrichelte Linie) in die Quinte des Zielklanges ab.
Beispiel 69 Von C-Dur nach Ges-Dur, Oktavlage.
In der Terzlage in Beispiel 70 werden das f im Sopran aufwärts und die neue Septime ces korrekt abwärts geführt, es gibt also eine Auflösung in eine unvollständige Tonika.
Beispiel 70 Von C-Dur nach Ges-Dur, Terzlage.
In der Quintlage springt der Leitton im Alt wieder ab (blau gestrichelte Linie); da die Quinte im Sopran abwärts gehen kann, ist die Auflösung vollständig.