Diego Ortiz, 1553
Die Recercada Segunda entspricht der Form des Pass'e mezzo moderno, einer durigen Variante des Passemezzo. Bei den frühen Lautenkomponisten habe ich keine Beispiele gefunden, ich habe allerdings auch nicht alle Bücher durchgespielt, um ein Auftauchen unter anderem Namen aufzuspüren.
Ortiz' Stück ist harmonisch relativ "nahe" am Passemezzo antico, weil er im sechsten Takt wie dort die tiefe siebte Stufe der Tonleiter setzt. Das wird bei den späteren Beispielen aus der Lautenliteratur anders sein, dort steht dann jeweils die vierte Stufe, was etwas weniger "farbig" ist, dafür aber mehr unseren dur-moll-tonalen Hörgewohnheiten entspricht.
Die Harmoniefolge - hier im Dreiertakt - sieht so aus:
I | IV | I | V |⁵ I | ♭VII | I IV V | I
||
Das Stück beginnt und endet mit einem E-Dur-Akkord, ist aber mit nur drei Kreuzen mixolydisch notiert. Dem entsprechend steht im 6. Takt auch ganz selbstverständlich der Dreiklang der tiefen VII. Stufe (ich habe zur Verdeutlichung ein "♭" vor die "VII" gesetzt). Im Stück kommt zwar in Takt 4 und 7 die V. Stufe als Durakkord vor, also eine Dominante mit Leitton, der erhöhten siebten Tonleiterstufe, aber die tiefe 7. Stufe kommt eben auch als Akkordgrundton vor. Solche Harmoniefolgen sind typisch für die Renaissance oder noch frühere Musik.
Gio. A. Terzi, 1593
G. A. Terzi unterscheidet Passemezzo antico und moderno durch die Bezeichnungen "Pass'emezzo per b molle" und "Pass'emezzo per ♮ quadro" beziehungsweise "Pass'emezzo per ♮ duro" (Hier finden sich die deutschen Begriffe für Dur und Moll). Mein erstes Beispiel für Laute für einen Passemezzo Moderno ist das Stück in C aus Intavolatura die Liutto, Gio. Antonio Terzi, Venezia 1593 auf Seite 125. Im Vergleich zu Ortiz' Recercada 2 ist die Taktzahl für jeden Durchgang wieder auf 16 verdoppelt, und obwohl die grundsätzliche Abfolge der Harmonien der von Ortiz entspricht, komponiert Terzi ein komplexes Gewebe aus Zwischenharmonien, gespickt mit Imitationen, hier vielfach in Blöcken, die quasi den Klang eines mehrchörigen Stückes imitieren.
Im Vergleich zu Ortiz ist die grobe Harmoniefolge, die hier auch in Akkordbuchstaben angegeben
wird im 11. und 12. Takt anders: hier steht die IV. Stufe der
Tonleiter, statt der ♭VII
im sechsten Takt der Recercada.
A | A | D | D |⁵ A | A | E | E |
⁹
A | A | D | D |¹³ A | E | A | A ||
I | I | IV | IV |⁵ I | I | V | V |
⁹
I | I | IV | IV |¹³ I | V | I | I ||
Die Gagliarda del pass'e mezo ist ebenfalls dreiteilig, deutlich übersichtlicher, aber immer noch mit viel Bewegung in den Mittelstimmen und Imitationen, siehe zum Beispiel den Auftakt zum dritten Teil, der in Takt 33 im Bass imitiert wird, in Takt 34 direkt nach dem ersten Schlag noch einmal im Diskant auftaucht, bevor das Motiv im Bass in Takt 35 von einer quasi umgekehrten Version beantwortet wird, die in der Variation bis zum Schluss immer wieder auftaucht.
Simone Molinaro, 1599
Bei Simone Molinaro, Venetia 1599 steht auf S. 55 ein "Pass'emezzo moderno" für Laute in vier Teilen. Es gibt im Druck einige Unstimmigkeiten, Korrekturen mit einer Feder, die mir nicht immer plausibel erscheinen. Es sieht so aus, als habe der Benutzer des Drucks vielleicht nur eine sechschörige Laute besessen, und deshalb tiefe Ds durch das d des vierten Chores ersetzt. An einigen Stellen sieht man noch schemenhaft, dass ein Tabulaturbuchstabe oberhalb der sechsten Linie steht, vor allem hat manchmal das Rhythmuszeichen den Abstand, der Platz für einen solchen Buchstaben ließe. Ich habe versucht, die Stellen sinnvoll zu ändern.
Molinaro nutzt hier wie Terzi oft das Stilmittel der Imitation von Motiven durch die Stimmen.
Wie bei Terzi ist im Vergleich zu Ortiz die grobe Harmoniefolge wieder an der gleichen Stelle
analog geändert: in der zweiten Hälfte des Tanzes ist die zweite Harmonie (Takt 17 - 20) die
IV. Stufe der Tonleiter, statt der
♭VII
an der entsprechenden Stelle von Ortiz' Recercada.
A | A | A | A |⁵ D | D | D | D |⁹ A | A
| A | A H |¹³ E | E H | E | E |
¹⁷A | A | A | A |²¹ D | D | D | D E |²⁵ A
Hm | A D | E A | D E |²⁹ A | A | A | A ||
Die dreiteilige Gagliarda hat in Takt 6 (dort steht irrtümlich der siebte Chor) und 22 ein tiefes ,H, also den achten Chor, der auf einer in G gestimmten Laute auf D gestimmt wäre. Hier bleibt der Druck unverändert - vielleicht war dem Besitzer ein Stück für achtchörige Laute doch zu viel und er hat es gar nicht gespielt.
Auf der Gitarre ist es allerdings einfacher, das ,H auf der A-Saite als H zu oktavieren, als das große D als kleines d auf der leeren d-Saite zu spielen. Dieser Ton ist nun wirklich viel höher, und die Mittelstimmen kommen einem eher in die Quere, siehe zum Beispiel Takt 19.
Girolamo Kapsberger, 1604
Das Beispiel für den Pass'e mezzo moderno von Kapsberger stammt aus seiner Tabulatur für Chitarrone.
Ein Chitarrone ist ein
merkwürdig gestimmtes Instrument. Die großen, vor allem für Continuo genutzten sind auf
a gestimmt, also einen Ganzton höher als die normale Renaissancelaute,
aber die Chöre 1 und 2 sind eine Oktave tiefer gestimmt, weil normal gestimmte Saiten bei den
großen Mensuren reißen würden. Die dritte Saite ist also die höchste, was zu
vielen Akkorden in recht enger Lage führt, und es ermöglicht, komische Tonleitern zu spielen.
In den folgenden Notengrafiken sind die Töne auf den Saiten 1 und 2
blau formatiert.
Beispiele für Tonleitern auf dem Chitarrone
Beginnt man zum Beispiel auf der vierten Saite eine Tonleiter über anderthalb Oktaven, funktioniert bis zur Quinte, die auf dem dritten Bund der 3. Saite liegt, alles wie gewöhnlich, aber ab der zweiten Saite springt die Linie eine Oktave nach unten, und der höchste Ton, eigentlich die Quarte über der Oktave, ist gerade mal die Quarte der Tonleiter.
Hier ein Beispiel für eine Chitarrone-typische Tonleiter (so etwas geht auch auf der Barockgitarre, wenn der 5. und 4. Chor hoch gestimmt sind) im "Ping-Pong-Verfahren", bei dem die Töne nicht linear, sondern abwechseln auf hohen und tiefen Saiten gespielt werden: Ich beginne mit der leeren g-Saite, die ich mit dem Daumen anschlage, dann folgt das mit einem Finger angeschlagene leere a, die erste Saite, die leere dritte Saite liefert das h, der Daumen schlägt das c im fünften Bund der vierten Saite an, im Barrégriff liegen d und e, und fis und g schließen sich "ganz normal" auf der dritten Saite in Bund sieben und acht an.
Zum Schluss ein Beispiel für eine D-Dur-Tonleiter, bei der die Fingersätze für die Anschlagshand mit angegeben sind.
Auch im Versuch meiner Übertragung des "Pass'e mezzo" auf Seite 45 aus Girolamo Kapsberger, Libro Primo D'Intavolatura di Chitarone, Venezia 1604, habe ich die Töne der beiden oberen, eine Oktave tiefer gestimmten Chöre blau formatiert. Manchmal erklingen auf diesen die höchsten Töne des Satzes, manchmal auf den Saitenchören drei und vier.
Die Übertragung des Passemezzo
Das Stück umfasst wieder 32 Takte; eine grobe harmonische Analyse stelle ich voran; die Übertragung der drei virtuosen Variationen spare ich mir - ich habe selbst noch nie Tabulaturen für Chitarrone in Noten übertragen gesehen.
G | G | G | G |⁵ C | C | C | C |⁹ G | G
| G | D A |¹³ D | D | D | D |
¹⁷G
| G | G | F G7 |²¹ C | C | C | C |²⁵ G |
G | D G | C D |²⁹ G | G D | G | G ||
Übertragung für eine "Théorbe de pièces
Auf einer kleineren Theorbe speziell für Solomusik, die aber die merkwürdige Stimmung der beiden ersten Chöre beibehält und in Frankreich "théorbe des pièces" genannt wurde, würde das Stück eine Quarte höher, also in C klingen. Diese Fassung kann man in etwa auf einer ganz normalen Gitarre nachspielen:
Natürlich ist ein solches "Nachspielen" eines Chitarronestückes auf einer Gitarre nicht das
Wahre, kann man doch die gleich hohen Noten, die auf den Saiten 5 und 2 beziehungsweise 4 und 1
entstehen nicht ausklingen lassen. Das Ineinanderklingen dieser Töne macht gerade den speziellen
Klang des Instrumentes aus.
Aus dem gleichen Grund finde ich auch, dass die Barockgitarre, wenn die fünfte und vierte
Saite unisono nach oben oktaviert sind, ein von der modernen Gitarre äußerst verschiedenes
Instrument ist. Ganz abgesehen von den klanglichen Unterschieden kann man Stücke für
Renaissancelauten und Vihuela noch am ehesten auf dem modernen Instrument spielen.
Nicolaes Vallet, 1619
In der Ausgabe von Le second Livre de Tablature de Luth, Intitulé Le Secret des Muses von 1619, bei der die Titelseite statt auf Latein auf Französisch geschrieben ist, findet sich auf Seite 23 ein vierteiliger Passemeze par bquare A 9, also ein Pass'e mezzo moderno für neunchörige Laute.
Wie bei den anderen Beispielen aus der Lautenliteratur ist in Takt 21 - 24 die
IV. Stufe der Tonleiter zu finden - diese Takte entsprechen Takt 6
bei Ortiz, der hier die ♭VII. Stufe setzt.
Die Auflistung der Akkordbuchstaben ist wie immer vereinfachend. So bestehen die ersten vier
Takte keineswegs nur aus D-Dur-Akkorden, sondern im 2. Takt steht zunächst ein D-Dur als
Sextakkord, dann auf der Drei E-Moll, bei dem die Quinte zur Sechste geführt wird, diese wird in
den nächsten Takt übergehalten und leitet eine 7-6 - Vorhaltskette ein,
die schließlich mit einem
D
7
mit Quinte im Bass zum G-Dur in Takt 5 überleitet.
Die Darstellung der Akkorde soll nur
die Vergleichbarkeit mit den anderen Stücken zeigen.
Kompositorisch und stilistisch finde ich besonders den vierten Teil mit seinen sequenzierenden Achtelketten nicht sehr überzeugend. Da ist sowohl bei Terzi, als auch bei Kapsberger mehr los; selbst Molinaro wartet vor allem mit mehr Virtuosität auf.
D | D | D | D |⁵ G | G | G | Em |⁹ D |
D | D | D G |¹³ A | A | A | A |
¹⁷D | D | D | D |²¹ G | G | G | Em⁷⁶ |²⁵
D | Hm | A D | G A |²⁹ D | D G G A | D | D ||