Gitarre und Musiktheorie
Von einer Seite wie dieser sollte man erwarten dürfen, dass sie das Thema
"Gitarre und Musiktheorie" in irgend einer Form behandelt. Dazu möchte ich hier
überlegen, was das überhaupt bedeuten kann.
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Kann man die "Musiktheorie" mit Hilfe der Gitarre besonders gut allen Menschen
erklären?
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Oder möchte man versuchen, die Musiktheorie der besonderen Spezies "Gitarrist" nahe
zu bringen?
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Geht es darum, gitarrenspezifische Aspekte der Musiktheorie deutlich zu machen?
Um es vorweg zu nehmen: auf dieser Webseite kommt es nur gelegentlich vor, dass ich überhaupt
versuche, eine Verbindung zwischen beiden Welten herzustellen. Meistens schreibe ich über
Gitarre oder Musiklehre. Das wird daran liegen, dass ich mich auf dem Klavier ein
bisschen orientieren kann, vor allem jedoch daran, dass ich die Gitarre zwar für geeigneter für
Erklärungen der Materie halte als die Blockflöte, aber Tasteninstrumente doch praktischer finde.
Was ist Musiktheorie?
Probieren wir eine einfache Erklärung des Begriffes: Musiktheorie ist für mich
das Wissensgebiet, das versucht zu beschreiben, was die inneren Grundlagen der Musik sind.
Keine äußeren Grundlagen, also: wie spielt man ein C auf dem
Violoncello oder dem Baritonsaxophon, sondern Fragen wie
- Was sind Töne?
- Was passiert, wenn mehrere Töne erklingen?
- Wie organisieren sie sich zu Tonleitern und Akkorden?
- Was sind Kadenzen, Modulationen, wie analysiert man ein Stück?
etc. Solche Fragen kann man
im Prinzip ohne Hilfe eines Instrumentes untersuchen, in einem musikalischen
Gehirn, eventuell mit Papier und Stift.
Natürlich sind weitere Hilfsmittel angenehm, denn
wenn man Musik tatsächlich hören kann, ist die Untersuchung des Gegenstandes, den man ja nicht
anfassen kann, doch sehr viel einfacher. Also hört man Musik tatsächlich - von Menschen
vorgespielt, oder auf Schallplatte, Tonbandaufnahme, CD, youtube - oder man spielt sie selbst.
Wenn man Musik studiert, um irgendwann künstlerisch zu arbeiten oder Musik zu unterrichten, ist
man oft gezwungen, ein Tasteninstrument als Zusatzfach zu belegen, wenn das
Hauptfach ein Melodieinstrument wie Querflöte oder Tuba ist. Musiker, die auf ihrem Instrument
meist einstimmig (man kann auf Streichinstrumenten mehrstimmig spielen, das ist aber nicht die
Hauptbeschäftigung) spielen, sollten in der Lage sein, Mehrstimmigkeit darzustellen, zu
erfahren, zu erforschen. Dazu ist fast immer das Gerät der Wahl das Klavier (Cembalo, Orgel),
und das ist eine gute Wahl, denn auf keinem Instrument geht das so einfach und übersichtlich.
Studenten der Gitarre sind
von dieser Regel manchmal aus zwei Gründen ausgenommen: erstens
kann man bis zu einem gewissen Grade Mehrstimmigkeit mit der Gitarre darstellen, und
zweitens stören beim wirklich flotten Klavierspiel die langen
Fingernägel an der Anschlagshand
des Gitarristen. Die Tasten stören ihrerseits, denn wenn man sehr lange Nägel nutzt, kann man
sie zwischen Klaviertasten leicht abbrechen, muss also die Haltung dieser Hand extrem
modifizieren.
Die Suche nach der Verbindung
Die Tatsache, dass man auf der Gitarre nach den Tasteninstrumenten wohl am zweitbesten
Musiktheorie begreifen kann, führt dazu, dass Menschen Bücher und Webseiten über die Verbindung
der Themata verfassen.
Wobei man - wenn man im Internet nach beiden Begriffen gleichzeitig sucht - schnell sehr viele
Seiten findet, die eigentlich vorwiegend die Gitarre zum Thema haben, für E-Gitarristen gedacht
sind und sofort die C-A-G-E-D - Methode zum Erlernen aller Akkorde und Skalen angehen,
oder spornstreichs behaupten, Noten und Theorie seien grundsätzlich nur Ballast, ein richtiger
Musiker brauche so etwas nicht. Besonders der englische Sprachraum ist hier eine Fundgrube, die
schier unerschöpflich ist, aber nur sehr schwer das gesuchte Thema "Gitarre
und Musiktheorie" hergibt.
Es ist mühsam!
Ich glaube, dass dies daran liegt, dass die Dinge, die auf dem Klavier übersichtlich und für
alle Tonarten gut machbar sind, auf der Gitarre viel mühsamer sind.
Ja, man kann auf der Gitarre Kadenzen spielen, aber einige gehen furchtbar schwer, liegen
unbequem, enthalten Griffe, die man zwar theoretisch greifen kann, aber praktisch kann man da
mit einem Tastenritter nicht mithalten. Nicht jeder Quintsextakkord geht, nicht alles geht in
der 9. Lage, Basslinien müssen oktaviert werden...
Ja, ich habe als Student die
Hausaufgaben im Bach-Schemelli, Geistliche Lieder und Arien schriftlich nicht nur
für Klavier, sondern auch für Gitarre ausgesetzt und konnte die Sätze auch spielen, aber wenn
dann jemand gesagt hätte "Okay, spielen Sie das mal in der Quint- und in der Terzlage!" wäre
langes Grübeln die Folge gewesen, während das auf Tasten meist ziemlich hurtig geht.
Was will man eigentlich erklären? Wenn man kurz in der Abteilung "Musiklehre" nachschaut, findet
man außer den Grundlagen:
- Tonleitern,
- Intervalle,
- Akkorde,
- Kadenzen, Modulationen, eventuell Einstiege ins Komponieren,
- Rhythmus und
- Gehörbildung.
Was geht besonders gut, was weniger?
Tonleitern
Tonleitern auf einer Saite zeigen sehr deutlich die Abfolge von Halb- und Ganztonschritten. Da
man sie aber mit Lagenwechseln spielen muss, sind sie für den Anfänger nicht wirklich lehrreich,
sondern eher eine Herausforderung.
Spielt man eine Tonleiter "quer über das Griffbrett", also über mehrere Saiten, muss man schon
die Struktur der Intervalle, die die Stimmung der Gitarre betreffen, gründlich begriffen haben,
ansonsten kann man nicht wirklich erkennen, weshalb das e und das
a im gleichen Bund liegen wie das c in der
Grafik unten.
Dem enstprechend werden oft Dinge so wie auf meiner Seite über
Pentatonik
Gitarristen in Griffbildern erklärt, die für Nicht-Gitarristen unverständlich sind.
Auf einer Klaviertastatur sind Tonleitern sehr übersichtlich, obwohl der Unterschied zwischen
Ganz- und Halbtonschritten nur an den schwarzen Tasten abgelesen werden kann, nicht an
tatsächlich größerer
Distanz
wie bei Saiteninstrumenten. Und natürlich hat jede Tonleiter ihre eigene Abfolge von schwarzen
und weißen Tasten und damit einen charakteristischen Fingersatz.
Aber seien wir ehrlich: nichts verdeutlicht die vorzeichenlose Einfachheit der
C-dur-Tonleiter wie eine Tastatur!
Man kann natürlich alle möglichen Tonleitern auf der Gitarre spielen, hat dabei aber schnell das
Problem, dass man Lagenwechsel machen muss. Möchte man zum Beispiel eine melodische
Molltonleiter über sechs Saiten üben, wäre der unten gezeigte Fingersatz gut, aber er ist eben
etwas verschieden von dem für reine oder harmonische Molltonleitern, sodass man gezwungen ist,
feine Unterschiede zu beachten. Hier kommt ein Lagenwechsel später, da rutscht man auf einem
anderen Finger...
Die übereinander stehenden Fingersätze in der Tonleiter abwärts bedeuten, dass man beide
Finger gleichzeitig aufsetzen sollte.
Intervalle
Intervalle mit der Gitarre
erklären geht famos - die Sache hat
nur einen Pferdefuß: kein Anfänger hat solide Kenntnisse von den Tönen in den oberen Bünden.
Diese werden erst nach und nach, mit steigendem Schwierigkeitsgrad der geübten Stücke erworben,
nur selten ist ein Schüler so interessiert und mathematisch begabt, dass er als Fünftklässler
ankommt und den Lehrer fragt, ob im 10. Bund der d-Saite ein c sei, und
in Bund 9 der h-Saite ein gis/as. Tatsächlich liegt im 10. Bund jeder
Saite natürlich der 10. Halbtonschritt, also die kleine Septime, und im neunten die verminderte
Septime und gleichzeitig die große Sexte, man kann also Intervalle auf Saiten sehr gut
be-greifen!
Aber eine Tastatur ist klarer strukturiert, sie hat keine "10. Lage", die
Abfolge der Tasten wiederholt sich einfach!
Akkorde
Die Gitarre ist das Instrument par excellence für Akkordspiel! Man kann viel über die
Struktur von Akkorden auf der Gitarre
nachdenken, Grifftabellen verfassen,
also erklären, wie bestimmte Akkorde auf der Gitarre aussehen.
Aber kann man wirklich gut
darstellen,
wie Akkorde an sich aufgebaut sind? Kann man es einem Fagottisten mit Hilfe der Gitarre besser
erklären, als mit einem Klavier?
Ich glaube im Gegenteil, man kann solche Dinge sogar Gitarristen mit einer Tastatur besser
erklären! Natürlich sieht man, dass bei einem A-Moll-Akkord ein Ton einen Bund tiefer liegt als
beim A-Dur-Akkord. Zwischen dem C-Dur-Standardgriff und dem C-Moll-Griff bestehen aber so große
strukturelle Unterschiede, dass sie nicht wirklich vergleichbar sind. Logisch: hier braucht man
die Barréversion des C-Dur-Akkordes, im Notenbeispiel in Takt 5.
Aber dieses Beispiel zeigt: auf der Gitarre werden Akkorde in erster Linie nicht gespielt, wie
es "ordentlich" wäre, sondern so, wie sie überhaupt geht oder am bequemsten ist. Der Gitarrist
schert sich zunächst mal nicht um Stimmführung, sondern spielt zur Not Parallelen. Das kann man
an diesen Übungen sehen, die zum
Erwerb gitarristischer Fähigkeiten hoffentlich sinnvoll sind, für das Studium der Harmonielehre
aber eher kontraproduktiv!
Kadenzen, Modulationen
Weiterführende Verbindungen von Akkorden, also
Kadenzen oder
Modulationen sind auf der
Gitarre noch schwieriger darzustellen, obwohl es natürlich
geht. Und wenn man sich mit Komposition nicht nur für
Gitarre beschäftigen möchte, wäre ein bisschen Tastenkenntnis vermutlich nicht schlecht.
Rhythmus, Gehörbildung
Für rhythmische Übungen taugt die Gitarre so gut wie jedes andere Instrument, zumal man den Mund
frei hat, also beim Spielen
zählen kann, nur bei
polyrhythmischen Strukturen hat man auf Tasten schon wieder den
Vorteil, zwei
Hände zum Anschlag frei zu haben.
Für Gehörbildungsübungen halte ich die Gitarre für ungeeignet. Man kann aufgrund der Klangfarbe
Töne "erraten", und fokussiert sich dann nicht wirklich auf die eigentliche Aufgabe. Blattsingen
üben kann man natürlich auch mit der Gitarre, wobei sie auch hier dem Klavier gegenüber wieder
unterlegen ist, denn Späße wie "Drei Stimmen eines Bachchorals spielen und die vierte dazu
singen" fallen auf Tasten natürlich leichter.
Resümee
Der Versuch, die Musiktheorie so komplett wie möglich mit Hilfe der Gitarre zu erklären ist ein
hehres Unterfangen, aber der Ansatz beruht auf der verbreiteten Tradition, die Gitarreros vom
"Zusatzfach Klavier" im Studium zu befreien oder gar auszuschließen. Dabei liegen doch zwei
Dinge auf der Hand:
Man kann auf der Gitarre nicht "mal so eben" die Partiturstelle mit dem
Tristan-Akkord vorspielen, was kompetente Theorielehrer auf Tasten im Unterricht aber tun.
Und wer anstrebt, ein Stern am Gitarrenhimmel zu werden, wird
nicht gleichzeitig die Hammerklaviersonate von Beethoven üben wollen. Die
meisten Querflötenlehrer können das auch nicht, auch wenn sie keine langen Fingernägel an einer
Hand haben.
Dann hat man als Gitarrenspieler eben eine komische Haltung am Klavier, dann
schütteln sich eben die Pianisten, wenn die Nägel klackern (Hauptsache, sie brechen nicht!),
aber ich finde, auch Gitarristen können sich die musikalische Welt besser mit Hilfe von
Keyboards erklären!
Melodie in der Partitur
Im Blockflötenstudium wurde ich streng dazu angehalten,
Stücke aus der Partitur zu spielen, also nicht nur die Blockflötenstimme vor
der Nase zu haben. Dann spielt man nämlich hoffentlich nicht nur Töne, sondern denkt über ihren
Sinn nach:
Im obigen Beispiel, dem
Adagio der G-Moll-Sonate für Blockflöte und Basso Continuo von G. F. Händel
entwickelt sich das blau formatierte c im 4.
Takt zum 5. Takt hin zu einer Septime über dem Bass. Das muss sich klanglich irgendwie zeigen.
In der zweiten Zeile habe ich die Töne a, h und
fis rot eingefärbt, um auf sie aufmerksam zu
machen: es sind allesamt Leittöne, hochalterierte Terzen, die im Verhältnis zum Bass übermäßige
Quarten sind oder werden, also starke Dissonanzen darstellen. Um diese Dinge zu sehen, braucht
man die Begleitung dazu, und gerne die Fähigkeit, diese auch ein bisschen spielen zu können.
Der Schluss der Aria aus der Partita A-Moll von J. A. Logy für
Barockgitarre bringt eine hübsche Kette von 7 - 6 - Vorhalten. Die von
mir ergänzte Generalbassbezifferung steht natürlich weder in der Notenausgabe noch in der
Tabulatur, aber der gebildete zeitgenössische Musiker hatte Kenntnisse im Generalbassspiel, das
im Barock den direkten Weg zur Musiktheorie (und Musikpraxis!) darstellte.
Die Töne der Oberstimme erfahren während ihrer Dauer jeweils eine Änderung ihres
inneren Wertes von einer Sexte, einer Konsonanz, zu einer Septime, einer Dissonanz, die
sich dann natürlich auflösen muss.
So etwas kann man natürlich einem Studenten der Gitarre auch mit seinem Instrument
erklären. Mit dem Klavier, auf dem man dann auch Kadenzen und vielleicht ein bisschen
Generalbassspiel zu üben hat, findet dies aber sicherer statt.
Deshalb versuche ich auf der Seite mit dem Dachs durchaus musiktheoretische Themen für die
Gitarre zu erklären, würde aber dafür plädieren, auch Studenten der Gitarre genug Klavier
spielen zu lassen.
Gitarre als Geschenk
Soll ich, oder soll ich nicht? Ich meine, es gibt Themen, mit denen kann man sich eigentlich nur
unbeliebt machen... kein schriftliches Augenzwinkern kann so geschickt blinzeln, dass sich
Eltern oder Großeltern nicht entrüstet abwenden...
Gut: Der Geburtstag steht vor der Tür, oder Weihnachten, und
ein künftiger Gitarrenschüler bekommt vor Aufnahme des Unterrichts ein Instrument. Das kann
Probleme mit sich bringen, die Fortschritte im Unterricht und die Arbeit in einer Gruppe
beeinflussen.
Einerseits passt oft die Gitarre nicht, meistens ist sie zu groß. Was bei
Sportgeräten geflissentlich vermieden wird, wird bei Gitarren bagatellisiert: "Da wächst er
schon 'rein!" ist der natürlich nicht falsche Kommentar, aber - in welchem Zeitraum? Schüler im
Gruppenunterricht sind schnell mal zwei, drei Jahre stark benachteiligt, weil das Instrument
viel zu optimistisch gekauft wurde. Und bei Mädchen, die nicht besonders groß werden und Omas
wirklich kleine Hände geerbt haben kann das Hineinwachsen auch schlicht ausfallen.
Andererseits ist eine sehr billige Gitarre - Stichwort Supermarkt - nur mit Glück eine
gute Idee: abgesehen vom Klang muss eine Gitarre technisch gut funktionieren. Für eine gut
eingestellte
Saitenlage braucht der
Hersteller aber Zeit, und Zeit bedeutet einen höheren Preis.
Größe der Gitarre
Wird eine Gitarre wegen des Überraschungseffektes ohne "Anprobe" am Spieler
gekauft, ist es Glücksache, ob sie passt.
Altersangaben, Größe des Kindes und Einteilungen wie
"Viertelgitarre"
sind keine sicheren Daten. Der eine Hersteller macht den Korpus der Gitarre eher groß, der
andere klein und flach, und Kinder können tatsächlich sehr mager sein oder etwas stämmige
Oberschenkel haben.
Der Verkäufer sieht die Kunden nach dem Verkauf oft nicht wieder - der Gitarrenlehrer
sieht den Schüler jede Woche, und das jahrelang. Die beiden müssen die Zeit mit der zu großen
Gitarre überstehen.
Die Beschreibung "zu groß" betrifft zwei Aspekte: Wenn der Korpus der
Gitarre zu groß ist, passt er nicht gut zwischen die Beine, der Besitzer wird das Instrument im
Verhältnis zum Schultergürtel schräg halten, sodass der Kopf der Gitarre hinter der einen
Schulter landet, und die Wirbelsäule verdreht wird. Das ist weder gemütlich noch gesund.
Vielleicht waren alle Beteiligten bis auf den Lehrer davon ausgegangen, dass die Gitarre
wie bei Folkmusikern oder der Erzieherin im Kindergarten auf den rechten Oberschenkel gelegt
wird, die Größe des Klangkörpers also unwichtig ist. Findet der Unterricht aber in der
"klassischen" Haltung statt, wie es bei
allen anderen Instrumenten erwartet wird, ist die Größe des Gitarrenkörpers wichtig.
Die Saitenlänge, die auch
Mensur heißt, wirkt sich auf das
Greifen aus. Je länger der Hals ist, desto weiter sind die Abstände der Bünde voneinander, und
desto schwieriger ist das Greifen. Wenn der Schüler schnell Fortschritte macht, also bald viele
Töne gleichzeitig greift, verschlimmert sich das Problem.
Qualität von Instrument und Unterricht
Die andere Sache ist die Verlockung des Sonderangebots. Es dauert vielleicht,
bis sich herausstellt, dass die kleine Anfängerin auffällig ist - auffällig im positiven Sinne.
Beim dritten Vorspiel wird plötzlich dem Unaufmerksamsten klar: die kleene Blonde aus der
zweiten Gruppe spielt nicht nur deutlich besser als ihre Kollegen, nee, die spielt flotter,
sicherer, rhythmischer als Kinder, die schon viel länger Unterricht haben... aber die Gitarre
klingt irgendwie nicht so. Gibt es da echt solche Unterschiede?
O ja, es gibt sie. Und die Chance, auf einem guten Instrument zu lernen ist von großer
Wichtigkeit. Begabte Kinder werden nicht einfach motiviert von einer guten Gitarre, sie spüren,
ob sich ihre Begabung, die Qualität des Unterrichts und auch des Instrumentes ungefähr auf
Augenhöhe befinden.
Um es noch mal deutlich zu sagen: die Qualität der "Gitarren", die Supermärkte zur
Weihnachtszeit anbieten ist meist nicht sehr hoch. Während Sie dies lesen und innerlich zweifeln
sind Sie ja im Internet - geben Sie den Namen des Supermarktes und "Gitarre" in die
Internetsuche ein und lesen Sie ein paar Forumsbeiträge! Der hier schreibende Gitarrenlehrer ist
nicht der einzige mit dieser Meinung.
Diese Geräte sind gerade nicht zum Anfangen geeignet, sie taugen nur dazu, dass jemand damit
Geld verdient. Natürlich will der Inhaber einer Manufaktur, die relativ teure Instrumente
herstellt auch Geld verdienen, aber er macht den Umweg über
Qualität: die Gitarren müssen so gut
sein, dass sie einen echten Ruf erwerben und weiter empfohlen werden.
Meinungen und Mythen
Wir Lehrkräfte werden ja - eventuell ohne Worte - gefragt, wie die Gitarre denn nun ist, mit der
der Schüler zum Unterricht erscheint. Passt das Erbstück von der Tante, macht das etwas, dass
die Mechanik der Gitarre aus dem Supermarkt beim Hochstimmen kaputt geht?
Unsereins wird
immer total verlegen, wenn wir uns zu diesem Thema äußern müssen, aber - sollen wir lieber
nichts sagen? Letztendlich können wir Eltern keine Vorschriften machen, und wenn die Gitarre
passt und technisch in Ordnung ist, fängt man den Unterricht erstmal fröhlich an. Aber es ist
uns schon wichtig, dass Gitarren von Gitarrenbaumeistern hergestellt und vor allem passend
ausgesucht werden.
Glauben Sie nicht an Mythen: Der Fachverkäufer im Fachgeschäft verkauft alles von der
Maultrommel bis zum Flügel. Hat er wirklich bei allen Instrumenten Ahnung von technischen
Grundlagen und von Unterrichtsmethodik? Schickt er wirklich Kunden, die eine "Schulflöte" kaufen
wollen noch mal nachfragen, ob deutsche oder barocke Griffweise angesagt ist? Die Leute sind
weg, und kommen nicht wieder!
Und hat der Laden wirklich eine breite Auswahl an Gitarren
vorrätig, wenn immer nur Billigware nachgefragt wird?
Die Hersteller von Gitarren haben alle nur das Beste der künftigen Besitzer im Sinn? Dann
müssten alle Instrumente mit Sätteln und Stegeinlagen aus Knochen ausgestattet sein, denn
Plastik zerbröselt nach ein paar Jahrzehnten, die Mechaniken dürften eine gewisse Qualität nicht
unterschreiten, und die Saiten müssten vernünftig aufgezogen sein - der Laie ahnt gar nicht, wo
überall sich Produktionskosten einsparen lassen!
Alle Jahre wieder
Die Tage sind grau, das Wetter schmuddelt vor sich hin - was liegt da näher, als einen fröhlich
- satirischen Artikel über adventliche Musikstücke zu schreiben...
Eine Ergänzung hierzu ist ein
Abschnitt mit den Tonumfängen
etlicher adventlicher Lieder und den Akkorden, die man zum Begleiten braucht. Dort kann man die
im Folgenden aufgestellten Behauptungen überprüfen.
Die Weihnachtszeit ist toll für uns Instrumentallehrer, weil alle Kinder, auch die nicht so
musikalischen, Weihnachtslieder kennen und einigermaßen richtig wiedergeben können. Es gibt ja
tatsächlich Kinder, die glaubhaft versichern, Lieder wie "Kuckuck ruft's aus dem Wald" nie
gehört zu haben - die gängigen Weihnachtslieder haben alle im Ohr. Daraus folgt für viele
Menschen: Weihnachtslieder sind Kinderlieder! Was natürlich falsch ist. Und ein Problem!
Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit stehen gerade bei den Anfängergruppen, die erst seit dem
Sommer oder gar den Herbstferien Unterricht haben, Eltern oder Lehrer mit der Frage in der Tür
"Können die Kinder denn wohl schon zu Weihnachten...?"
Ja. Die liebe und eifrige Gitarrengruppe kann die Noten
g, a, h, und seit letzter Woche das c. Und die
leere d-Saite. Das bedeutet: ich muss mit "nein" antworten. Weihnachtslieder mit dem Umfang
einer Quarte? Außerdem ist das Hauptproblem momentan, dass die meisten in der Gruppe noch das
neugelernte c wie das bekannte a mit dem 2.
Finger greifen (also cis spielen), oder das
a wie den neuen Ton mit dem 1. Finger (das gibt ein
as). Alles geht wild durcheinander, der Lehrer kämpft um die richtige
Zuordnung der Noten zu Bünden, Saiten und Fingern, und das nächste Anliegen soll "Es ist ein Ros
entsprungen" sein...
Vier Gruppen
Teilen wir Weihnachtslieder mal salopp in vier Gruppen ein: a) die einfachen, volkstümlichen
Lieder b) die aus den kirchlichen Gesangbüchern c) kompliziertere Volkslieder d) die
Advents-Popsongs.
Die Gruppe a) enthält noch am ehesten die Stücke der Wahl: Der Tonumfang ist gering, die
Harmoniewechsel finden nicht zu häufig und nicht zu heftig statt. Außerdem kennzeichnet diese
Gruppe eine sehr folkloristische Sprache, die Kinder und Jugendliche leicht befremdet: "Treibt
z´sammen, treibt z´sammen die Schäflein fürbaß!" (Was soll das bedeuten, 2.
Strophe); "Ei, eia-popei, liebs Kindlein, schlaf ein!" (O laufet, ihr Hirten).
Vergleich zweier Fünftonlieder
Tatsächlich ist z.B. "Was soll das bedeuten" ein Fünftonlied (Welches andere Weihnachtslied
kommt mit fünf Tönen aus?), wie "Kuckuck", "Summ, summ summ" oder "A, a, a, der Winter, der ist
da". Der Nachteil ist, dass kaum jemand dieses Lied kennt, und dass es trotzdem viel
komplizierter ist als die einfachen Kinderlieder. Es enthält viele im Takt unterschiedlich
verteilte Achtelgruppen, wechselt von auftaktig zu volltaktig, hat einfallsreich modifizierte
Sequenzen, kurz: es ist ein gut komponiertes Lied, das definitv über dem Level von "Hänschen
klein" liegt.
Bild oben: Summ, summ summ ist ein wirklich einfaches Kinderlied. Fünf Töne Umfang, der
A-Teil (Takte 1 - 4) wird am Ende wiederholt (Takt 9 - 12), der
B-Teil besteht in sich auch aus einer Wiederholung zweier Takte, wobei
der zweite Takt eine Sequenzierung (Eine Tonfolge wird von einer anderen Tonleiterstufe aus
gespielt, also keine einfache Wiederholung) des ersten ist, außerdem ist das Motiv aus Takt 3
entnommen.
Bild unten: "Was soll das bedeuten", ebenfalls ein Fünftonlied. Der
A-Teil entsteht durch zweimalige Sequenzierung eines auftaktigen
Motives, abgerundet durch ein fallendes Schlussmotiv. Nach dem wiederholten
A-Teil steht eine Viertelpause, dadurch beginnt der
B-Teil volltaktig. Ein zweitaktiges Motiv wird wiederum sequenziert, die
Tonfolge in der letzten Achtelgruppe aber abgeändert und die Viertelpause am Schluss entfällt.
Also beginnt Teil C wieder auftaktig, das Motiv C beginnt wie eine
Umkehrung des Motivs A (was dort nach oben ging, bewegt sich hier nach unten), wird zweimal
abwärts sequenziert, wobei bei C'' nach dem Taktstrich nicht eine Terz
aus zwei Viertelnoten steht, sondern die Terz mit Achteln "aufgefüllt" wird. Man beachte auch,
dass die Achtelgruppen im A-Teil auf der dritten Zählzeit, im
B-Teil auf 2 und 3, und im C-Teil wieder auf dem
dritten und einmal dem ersten Schlag stehen. Hübsch gemacht, viel Abwechslung, für ein
Fünftonlied sehr innovativ!
Das liest sich sehr viel komplizierter als die Kurzanalyse von "Summ, summ, summ", und das
bedeutet auch, dass das Lied komplizierter ist. Und das heißt wiederum in der Praxis, dass die
Gitarrenschüler neben den richtigen Tönen erheblich mehr Aufmerksamkeit für
Takt, Rhythmus, Intervallsprünge, Textzuordnung und überhaupt alles
brauchen. Wer's kennt, kann es immerhin schon mal singen...
Kirchenlieder und "komplizierte Weihnachtslieder"
In der Gruppe b) finden sich Choräle, die kaum jemand kennt. Wenn im Gottesdienst an Heiligabend
bei einem Lied plötzlich trotz bis auf den letzten Platz gefüllter Kirche außer dem Pastor und
wenigen (älteren) sehr Kundigen praktisch niemand singt, fällt das schon auf. Das düster mollige
"Es kommt ein Schiff geladen" mag hier als Beispiel gelten, obwohl es ein eher bekanntes Lied
ist.
Als "kompliziertere Volkslieder" bezeichne ich Lieder, die viele Harmoniewechsel und gar
Modulationen enthalten. Auch das bekannte "Oh du fröhliche" rechne ich zu dieser Gruppe.
Die Gitarrenakkorde stellen nur eine krude Analyse des Satzes dar. Es handelt sich übrigens
nicht um eine Angeber - Version von mir, mit der ich etwas beweisen will, sondern schlicht um
das, was der Organist aus dem evangelischen Orgelbuch spielt. Das Lied ist so! Wobei der
Tonumfang ja nur eine Oktave ist, nur 6 Akkorde benutzt werden (die Quartsextvorhalte, Akkorde
mit Sexte und Septime mal nicht mitgezählt), die allerdings häufig bei jedem Melodieton
wechseln, und nur eine Modulation zum Ende der ersten Zeile mit Rückmodulation in die
Ausgangstonart stattfindet (die der Sänger der ersten Stimme nicht bemerkt - das gis liegt im
Tenor). Wild ist das nicht, nur - nach einem halben oder einem Vierteljahr Unterricht...?
"Ihr Kinderlein kommet" ist einfacher. Harmoniewechsel finden viel seltener statt, fünf Akkorde
wären hübsch, es geht aber auch mit dreien, der Tonumfang ist allerdings wieder eine Oktave.
Aber "Alle Jahre wieder ist doch leicht"?! - Mmh-mmh: Nur 4 Akkorde, dafür häufig Wechsel bei
jeder Note, und man sollte auch hier wissen, was Achtelnoten und punktierte Viertel sind. Klar,
man kann das "intuitiv" machen mit musikalischen Kindern, aber ein bisschen Systematik im
Unterricht ist doch nicht schlecht, oder? Ach, wieder 8 Töne Umfang, was das Durchnehmen zu
späterem Zeitpunkt sinnvoll erscheinen lässt.
Jetzt hab ich's: "Wir sagen Euch an den lieben Advent"! Man kommt mit 2 Akkorden aus (das
evangelische Orgelbuch benutzt eher vier), und die Melodie ist einfach und umfasst nur eine
Quinte?! Nö. Der Leitton von unten ist mit dabei. Das bedeutet: wenn ich
es in G setze, müssen die Kinder "mal eben" das
fis auf der d-Saite (und Blockflötenkinder schlagartig die untere Hand
mit benutzen) lernen, oder ich setze das Lied in C-Dur und erkläre im Vorbeigehen das
d, e, f und g auf h-Saite und e-Saite.
Populäre Weihnachtslieder
Ein Blick auf die "Popsongs" der Adventszeit bringt uns auch nicht weiter. Was die Herren
Zuckowski, Jöcker und Vahle so komponieren ist immer sehr eingängig und rockt, hat aber oft
einen ordentlichen Tonumfang. Bei "In der Weihnachtsbäckerei" immerhin eine Oktave. Rhythmische
Finessen, Achtel punktiert & Sechzehntel, viele Akkorde zum Begleiten... Jingle Bells, der
Klassiker, umfasst auch neun Töne und 6 - 7 Akkorde (was eigentlich immer bedeutet, dass der
Begleiter Barrégriffe können muss) - es ist einfach keine Rettung aus dem Dilemma in Sicht!
Außer einer: nächstes Jahr!
Und an alle Eltern und Lehrer: singen Sie mit ihren Kindern! Eine große Menge an Liedern
zu kennen hat noch niemanden dümmer gemacht!
Wenn Singen bei Ihnen zu Hause keine
Tradition hat - fangen Sie mit Liedern aus der Schule an, singen Sie Kanons auf Autofahrten,
und... Weihnachtslieder. Dann gehört Ihr Kind im nächsten Jahr zu denen, die "O Tannenbaum"
trotz Melodiesprüngen, Punktierungen und langen Tönen dazwischen (ziemlich spritziges Lied
eigentlich) spielen können, weil sie es im Ohr haben! Und irgendwann hoffentlich zu einer
Gruppe, die einen Senioren-Adventsnachmittag, ein Weihnachtsliedersingen im Kindergarten oder
gar einen Gottesdienst an Heiligabend mitgestalten darf - das macht immer großen Spaß!
Zeit zu üben
Beethoven um Mitternacht
von Corinna Meyer, 12. Jahrgang (Juni 2008)
Klavier üben? Während der Woche eingeplant von ca. 23 bis 24 Uhr. Haha. Schlechter Witz, ich
weiß. Da schlafe ich schon. Nix mit üben. Und selbst wenn ich's wollte, würden sich sowohl
die restlichen Familienmitglieder beschweren, mein Gehirn, weil es nicht mehr aufnahmefähig
ist, als auch der Lehrer der ersten beiden Stunden am nächsten Morgen. Wegen Schlafen im
Unterricht.
Was ich hier versuche, ironisch lustig zu beschreiben ist leider Realität im Alltag von
Schülern, die noch versuchen, sich neben der Schulbelastung musikalisch zu betätigen.
Der positive Einfluss von Musik ist in aller Munde, Schulen brüsten sich gerne mit
Musikzweigen und dergleichen. Das ist ja auch alles wunderbar. Nur leider haben gewisse
Politiker beim Ausarbeiten ihres genialen Ganztagsschulplans ein bisschen Mist gebaut. Also
entweder haben sie sich in einem Erdloch verkrochen, um bloß nicht zu riskieren, mal die
tatsächlich Betroffenen - die Schüler - fragen zu müssen, oder sie haben einfach schon
vergessen, wie das Leben als Schüler ist. Neben der wie zufällig übergangenen Zeit für
Hausaufgaben nachmittags, fehlt außerdem langsam aber sicher die Freizeit, je näher man dem
Abitur kommt. Jeden Morgen um 6 Uhr aufstehen und dann Montags um 16.30, Dienstags um 16.30,
Mittwochs um 18.30, Donnerstags
um 16.30 und Freitags sogar schon um 15 Uhr zu Hause sein.
Nicht, dass dann schon irgendwas gemacht wäre - hängen wir noch ca. drei Stunden
Hausaufgaben dran (ohne besondere Schwierigkeiten in einem Fach zu haben, ohne Referate oder
Klausuren vorzubereiten), zwischendurch wäre Essen dann noch ganz praktisch und wenn ich
dann ohne einmal durchgeatmet zu haben um 22 Uhr ins Bett gehe (damit ich nicht schlafe am
nächsten Morgen), guckt mich das Klavier ganz traurig an. Tja, wenn's aufs Abi zugeht, muss
man auch gegen seinen Willen irgendwann Prioritäten setzen.
Allerdings muss sich der gesunde Menschenverstand, den die Politiker anscheinend in
ihren Gehältern ertränkt haben, doch mal wieder melden. Schließlich sind wir keine
Arbeitsmaschinen, auch wenn's von uns erwartet wird, in dieser Gesellschaft. Es ist
wichtiger, einen guten Abischnitt zu schaffen, als bei Wettbewerben wie Jugend Musiziert
teilzunehmen, oder seine Musikkollegen beim MIW zu bewerten. Aber andererseits pochen alle
späteren Arbeitgeber bei Einstellungen auf die "Soft-Skills" wie eine Gruppe leiten können,
teamfähig sein, sich in jemanden hineinversetzen zu können. All das lernt man beim
gemeinsamen Musizieren, wofür man unter der Woche auch mal Zeit zum Üben haben sollte!
Fazit: Man sollte die Politiker mal dazu verdonnern, eine Woche lang den Alltag eines
Schülers mitzumachen, damit die mal wieder aus ihrem Erdloch gezwungen werden. Und die
Übezeit? Vorverlegt auf 19-20 Uhr. Dann bin ich eben morgens müder.
Die gelaserte Rosette oder: Ästhetik im Instrumentenbau
Ästhetik bedeutet "die Lehre vom Schönen". Wenn man über Ästhetik im Alltag spricht, meint man
damit häufig, was Leute allgemein als Standard in Sachen Aussehen von Gegenständen oder auch
Menschen akzeptieren. Diese Standards wandeln sich: während zu Beginn der Punk-Ära Piercings
möglichst roh und provokativ wirken sollten, sind sie heute nicht selten "auf edel" gestylt,
umgeben von sorgfältigem Makeup, haben sich also denkbar weit von der urspünglichen Ästhetik
entfernt.
Stossstangen und Außenspiegel werden an Autos mittlerweile fast durchgängig in Wagenfarbe
lackiert ausgeliefert, was vielleicht hübscher aussieht, bei Kratzern aber eine teuere
Lackierung nötig macht.
Oberflächenbehandlung
Auch im Instrumentenbau gibt es solche Standards, und sie ändern sich mit dem Zeitgeist. Wo noch
vor Jahren einfache Verzierungen und Oberflächenbehandlung mit Bezug zum Praktischen akzeptiert
waren, muss es heute immer perfekter aussehen. Das Äußere von Instrumenten passt sich dem
Äußeren von Autos oder Bildschirmen im Klavierlackdesign an, die am werbewirksamsten in
Hochglanzmagazinen oder Broschüren dargestellt werden. Die Welt wird glatt.
Moderne Lacke, wie sie im Gitarrenbau verwendet werden haben mehrere Eigenschaften, die sie bei
Bauern und Kunden beliebt machen: sie sind viel einfacher zu verarbeiten, deshalb billiger und
ergeben perfektere Oberflächen. Leider sind sie in der Verarbeitung giftig. Man spritzt sie in
einem abgeschlossenen Raum mit Gasmaske, kann sie dafür nach kurzer Trocknungszeit maschinell zu
einer hochglänzenden Oberfläche polieren.
Traditionelle Alternativen wie Öllacke oder gar Schellack erfordern eine bessere Vorbereitung
der Oberflächen und dann aufwändige Handarbeit, beim Schellack mit -zig Lackierdurchgängen. Das
Ergebnis ist dünner, ungleichmäßiger, weniger dicht abschließend und weniger glänzend. Ob eine
dickere Lackschicht sich positiv auf den Klang auswirkt ist eine andere Frage.
Recht aufwändige Einlagen um den Boden herum, längs dessen Mittelfuge, um die Zarge herum,
und noch ein doppelter Streifen im Hals... Ob der Bauer die Einlegestreifen gemacht oder
gekauft hat weiß man nicht.
Traditionellere Einlage um Boden und Zarge; keine verzierte Mittelfuge, einfach furnierter
Hals.
Der Lack ist von Hand aufgetragener Schellack.
Eine Kostbarkeit, eine Ramirez von 1903, die neben den Topmodellen heutiger Gitarrenbauer eher
sehr schmucklos aussieht.
Aber der Zeitgeist ist halt so: das Ergebnis, die Gitarre, muss möglichst schön verziert,
perfekt lackiert und auch symmetrisch gebaut sein. Und es kann passieren, dass sich ein
Instrumentenbauer, der ein Instrument zwecks Reparatur öffnen muss, über die "schlampige und
ungenaue" Arbeit im Inneren der Kiste mokiert. Als ob symmetrische und blank polierte Balken und
dergleichen eine Gewähr für besseren Klang gäben. Die Zeit für flott, aber sicher und mit
handwerklichem Können durchgeführte Arbeit, die man an Spuren erkennen kann scheint vorbei.
Rosettenvergleich
Ein dramatisches Beispiel für technischen Fortschritt, die daraus resultierende Perfektion bei
gleichzeitiger Verbilligung ist die Tatsache, dass man eine Lautenrosette computergesteuert mit
einem Laser in eine Decke brennen kann. Unten je zwei Fotos der Rosetten von einer für unter 400
Euro zu kaufenden Billiglaute und meiner Renaissancelaute von R. Lechner.
Zunächst die oberflächlichen Unterschiede zwischen den beiden Rosetten: die mit dem Laser
gebrannte ist nicht besaitet, weil sie überarbeitet werden soll. Außerdem hat sie keine
Deckenbalken (es ist eben eine sehr günstige Laute, und die Konstruktion entspricht nur
äußerlich historischen Vorbildern), während meine Laute nach Venere Balken hat, die allerdings
vom Erbauer nicht geschwärzt wurden. Heutzutage ist es üblich, die durch die Rosette sichtbaren
Balken schwarz zu färben, damit sie das Muster nicht beeinträchtigen. Das haben die
Instrumentenmacher in Renaissance und Barock nicht getan.
Aber welcher Schock, als ich die Laute aus dem Koffer nahm!
Was im Foto schon dramatisch aussieht, ist in der Wirklichkeit noch viel krasser: die
gelaserte Rosette sieht von oben aus, als sei sie zweidimensional, als läge ihre Stärke im
Molekülbereich! Man sieht praktisch keine Tiefe, das Ding sieht aus, wie aus Papier gestanzt.
Deshalb habe ich auch um das Bild aus der schrägen Perspektive gebeten: hier sieht man, dass die
Decke doch eine gewisse Stärke hat, aber durch die "angebrannten" geschwärzten Schnittflächen
wird das Auge weiterhin verunsichert.
Weiterhin fällt die große Perfektion auf. Vergleicht man Segmente des Musters, fragt man sich
"Ist es perfekt, oder nur nahezu perfekt?"
Die handgeschnitzte Rosette hingegen ist nicht perfekt aber lebendig, man sieht Arbeitsspuren
und kann ahnen, dass hier nicht mit der Lupe und in Zeitlupe gearbeitet wurde, sondern flüssig
und gekonnt. Wenn man Rosetten historischer Lauten kennt, weiß man, dass das Bemühen um ähnliche
Ästhetik nicht über akribisches Nachahmen, sondern durch ähnliche Arbeitsweise entsteht.
Veränderung der Standards
Denkt man über Ästhetik nach, befasst man sich mit den Auswirkungen der umgebenden Wirklichkeit
auf die Wahrnehmung, und umgekehrt den Auswirkungen der Wahrnehmung auf die Wirklichkeit. Will
sagen: nachdem wir jahrelang von Gitarren umgeben waren, die äußerlich auf absolute Perfektion
getrimmt waren, verloren wir die Fähigkeit, den Charme und die Schönheit älterer Instrumente zu
würdigen, die der Ästhetik unserer Zeit noch nicht unterworfen waren.
Links: die originale Gerle-Laute, kostbar, aber ohne Details, die heute für selbstverständlich
gehalten werden:
Griffbrettspitzen und Randspan, rechts zu sehen.
Die gut erhaltene originale Gerle - Laute aus dem Kunsthistorischen Museum Wien ist zum Beispiel
ein spektakuläres Instrument: Die Muschel ist komplett aus Elfenbein, Hals und Kopf sind
ebenfalls mit Elfenbein furniert. Bei dieser kostbaren Ausführung überrascht, dass die Decke
keinen Randspan hat, und auch das Griffbrett endet nicht mit den Ebenholzspitzen, die bei
späteren Lauten häufig zu sehen sind. Beides wird heute als Muss empfunden - eine Laute ohne
Randspan und Griffbrettspitzen sieht irgendwie nicht komplett aus.
Der heutige Lautenbauer muss quasi, auch wenn er eine "Schülerlaute" oder eine Kopie eines sehr
frühen Instrumentes an den Mann bringen will, Verzierungen anbringen, die erwartet werden, auch
wenn das Produkt dann sehr anders aussieht als zum Beispiel die Gerle oder die Laute aus dem
Bild "Musizierende Mädchen" vom anonymen "Meister der weiblichen Halbfiguren". Eigentlich
schade, denn eine sehr schlichte frühe Laute, die gut klingt, kann einen enormen ästhetischen
Eindruck machen!
Was jemand schöner findet, die gelaserte Rosette oder die handgeschnittene, die im Stil späterer
Instrumente verzierte Laute oder die einfache Sechschörige ist eine Frage der Sehgewohnheit, der
Erziehung. Wenn man wenig über diese Dinge weiß und also unvoreingenommen vergleicht, bevorzugt
man vielleicht die maschinell hergestellte Version.
Es ist ja denkbar, dass die Lasertechnik noch verbessert wird, und der menschlichen Machart
angeglichen. Auch die allzu große Perfektion könnte man eventuell durchbrechen, schließlich
haben richtig gute und teuere Drumcomputer auch eine Funktion, die (geringe) Fehler per Zufall
einstreut, damit die Maschine menschlicher wirkt. Schöne neue Welt...